Am Morgen wandert der erste Blick vieler Menschen zunächst auf das Handy. Abends ist der kleine Bildschirm oft das Letzte, was man vor dem Einschlafen sieht. Egal, ob zu Hause, unterwegs oder auf der Arbeit: Fast jeder trägt das Smartphone mittlerweile fortwährend mit sich herum. Der ständige Gebrauch könne nicht nur ein Zeitfresser sein, sondern sich auch negativ auf das Gehirn auswirken, befürchten manche Fachleute.

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„Der Effekt, den Handynutzung auf unser Gehirn hat, hängt davon ab, wie stark wir die Geräte nutzen und was wir an diesen Geräten machen“, sagt Hirnforscher Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig. Grundsätzlich verändere sich das Gehirn in seinen Verschaltungswegen, wenn man etwas Neues tue – auch wenn man die Bedienung eines Handys lerne. „Synapsen werden stärker, Verarbeitungswege werden verändert, weil man besser in der Nutzung wird. Und dieses Besser-Werden ist ein Lerneffekt.“

Multitasking verschlechtert Konzentrationsfähigkeit

Viele Menschen aber nutzen das Handy in einem Multitasking-Modus – zu ganz verschiedenen Zwecken. „Das kann man kaum voneinander trennen, weil die Geräte uns ständig begleiten, wir immer darauf schauen oder wir es, wenn wir nicht darauf schauen, aktiv unterdrücken müssen, das Handy in die Hand zu nehmen“, sagt Korte. Das koste Rechenkapazität im Gehirn.

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Smartphones können einer Studie zufolge selbst dann die Aufmerksamkeit beeinflussen, wenn man sie nicht nutzt. Das berichteten Forscherinnen und Forscher der Universität Paderborn 2023 nach Konzentrationstests im Fachblatt „Scientific Reports“. Demnach verringert schon die Anwesenheit eines Smartphones die Aufmerksamkeitsleistung. Zudem habe das Handy negativen Einfluss auf die Arbeitsgeschwindigkeit und die kognitive Leistungsfähigkeit. Schlussfolgerung: Mit dem Smartphone arbeiten Menschen langsamer.

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„Wenn man immer einen Teil der Rechenkapazität im Hirn darauf verwendet, die Handynutzung vorzubereiten, daran zu denken oder das Handy sogar zu bedienen, wenn man etwas anderes nebenher macht, macht uns das mit der Zeit leichter ablenkbar“, sagt Korte. Demnach konditioniert man sich dazu, immer weniger darauf zu achten, was man gerade tut, sondern konzentriert sich mehr auf das, was um einen herum passiert – etwa ob das Handy ein Signal sendet.

Einige Studien zeigen, dass man im Multitasking-Modus doppelt so lange braucht, um etwas zu lernen. Man macht 40 Prozent mehr Fehler und kann das, was man gelernt hat, schlechter abrufen“, sagt Korte. „Menschen, die sehr häufig im Multitasking-Modus arbeiten, haben ein schlechteres Gedächtnis.“ Dies sei jedoch reversibel, betont er. „Wenn man sein Verhalten ändert, dann wird nach einiger Zeit die Gedächtnisleistung auch wieder genauso gut wie vorher.“

Zudem gehen dem Experten zufolge mit übermäßiger Handynutzung Zeiten des Tagträumens und Nichtstuns verloren. „Studien zeigen, dass digitale Medien einen auch weniger kreativ machen können, wenn wir sie zu viel nutzen, weil der Leerlauf verloren geht“, sagt Korte. Dabei seien gerade dies die Zeiten, in denen man normalerweise auf die besten Ideen komme.

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Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche

Besonders bei Kindern könne zu viel Zeit vor dem Smartphone oder Tablet negative Auswirkungen haben – und das umso gravierender, je früher sie solche Geräte übermäßig nutzen. „Man sieht an Kindern, die bereits in der Kindergarten- und Grundschulzeit intensiv Zeit vor Tablets und Smartphones verbringen, dass ein wichtiger Verbindungsstrang zwischen den beiden großen Spracharealen, dem Broca-Areal und dem Wernicke-Areal, leidet“, erklärt Korte. Eine Folge davon könnten unter anderem Sprachentwicklungsstörungen sein.

Zudem könnten sich Kinder, die sehr früh viel am Handy seien, oft weniger gut in die Lage anderer Menschen hineinversetzen. „Sie sind weniger empathisch. Dabei geht es nicht nur darum Gefühle zu haben, sondern auch sich vorstellen zu können, was andere Menschen denken“, sagt Korte.

Der Hirnforscher befürchtet, dass sowohl die Gefahren einer Sucht als auch die des passiven Zuschauens insbesondere bei Kindern und Jugendlichen verstärken werden. Damit gehe auch das „weniger Trainieren des Gehirns und der Sprache“ einher. „Es gibt den Trend, dass man sich auf Social Media immer weniger mit anderen austauscht, sondern mehr zum passiven Videojunkie à la TikTok wird“, erklärt Korte.

Auch Isabel Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe internetbezogene Störungen und Computerspielsucht am Universitätsklinikum Tübingen, sieht den Trend mit Sorge: „Die Nutzergruppe wird gerade auch mit TikTok immer jünger. Es wird immer weniger geschriebene Sprachen eingesetzt und entsprechend sind die sozialen Netzwerke immer zugänglicher für Kinder, die die Schriftsprache noch nicht beherrschen.“

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Internetnutzung kann zur Sucht werden

Letztlich könnten Internet- und Handynutzung manche Leute abhängig machen, glaubt Korte. „Es gibt Menschen, die so stark abhängig werden, dass sich Internetnutzung wie ein Suchtverhalten auswirkt, weil man beispielsweise andere Dinge liegen lässt und ständig Dinge aufschiebt.“

Fachleute sprechen dann von einer Internetnutzungsstörung. Hier sind vor allem Online-Computerspiele von Bedeutung. Computerspielsucht wurde 2017 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt. Zu den Kriterien dafür gehöre etwa eine verminderte Kontrolle über das Nutzungsverhalten, erklärt Brandhorst. Außerdem: „die Priorisierung gegenüber anderen Lebensbereichen wie Schule, Familie, Freunde, aber auch Körperhygiene, Gesundheit und Schlaf. Das dritte Kriterium ist die Fortsetzung des Verhaltens trotz negativer Konsequenzen.“

Um von einer Erkrankung zu sprechen, müsse dieses Verhalten in der Regel über zwölf Monate oder wiederkehrend auftreten und bedeutsames Leiden hervorrufen, erklärt Brandhorst. Diese Kriterien ließen sich analog auf eine Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung übertragen. Offiziell anerkannt ist diese Störung aber bisher nicht.

Auswirkungen auf die Psyche

Die übermäßige Nutzung von Smartphones und insbesondere sozialer Medien, die vorwiegend per Handy konsumiert werden, steht auch im Verdacht, sich negativ auf die Psyche auszuwirken. Gesichert ist dies aber nicht: Verschiedene Studien deuten zwar auf einen Zusammenhang mit Depressionen und Angststörungen hin, doch andere stellen keine Korrelation fest. Daten, die benötigt würden, um eine eindeutige Einschätzung zu treffen, würden „von den großen Firmen wie Meta oft unter Verschluss gehalten“, heißt es in einem Statement des Science Media Center.

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Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass soziale Medien etwa den sozialen Vergleich fördern. „Gerade Jugendliche vergleichen sich sehr stark. Beispiel Instagram: Wie sehen andere aus? Wie sehe ich aus? Werde ich dem gerecht?“, merkt Korte an. Dabei gerate in den Hintergrund, dass soziale Medien lediglich einen Bruchteil der Realität abbilden.

Gesunder Umgang mit dem Smartphone

Die Nutzung eines Handys ist laut Hirnforscher Korte nicht per se schädlich. „Aber die Art, wie wir die Geräte nutzen, tut uns nicht gut.“ Ein gesunder Umgang bedeute, dass die „Barriere zwischen uns und dem Gerät so groß ist, dass wir nur auf den Knopf drücken, wenn das auch wirklich notwendig ist“, so Korte.

Dafür könne man etwa die räumliche Distanz vergrößern: das Handy zum Beispiel beim Lesen eines Buches abends nicht direkt neben sich legen oder das Gerät in sozialen Interaktionen einfach ausschalten. Hirnforscher Korte zieht den Vergleich „Keiner trägt den ganzen Tag die Chipstüte und die Schokolade mit sich herum, weil die Gefahr viel zu groß wäre, dass man es eben dann doch mal zu sich nimmt.“

„Ich würde immer mal wieder hinterfragen, habe ich es noch unter Kontrolle oder nicht“, rät Brandhorst. „Zum Beispiel, indem ich bei mir selbst Social-Media-Pausen einfordere und dann schaue, wie es mir damit geht.“

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RND/dpa



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