Hamburg. Mit dem großen hatte es zuletzt nicht geklappt, und auch das „kleine Nordderby“ hielt für den THW Kiel seine Tücken bereit. Am Freitagabend trennten sich die Zebras in der Handball-Bundesliga vom HSV in Hamburg nach einer dramatischen Schlussphase mit 28:28 (16:15) und gaben dabei eine Fünf-Tore-Führung in den letzten zwölf Minuten aus der Hand. Für THW-Cheftrainer Filip Jicha eine in jeder Hinsicht „bittere Pille“.

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Ein bisschen fühlt es sich an wie eine handballerische Trotzreaktion. Genau hier am Volkspark, wo das Final Four um den DHB-Pokal 28 Jahre lang die Fans elektrisierte, die Barclays Arena zur Kultstätte des deutschen Handballs avancierte, kreuzen der HSV und der THW nun genau an dem Wochenende ihre Klingen, an dem die Pokal-Karawane ihre Zelte in Köln aufgeschlagen hat. Mit Hamburger Spirit prescht der HSV vor 10 173 Zuschauern erst einmal los zum 3:0, während sich Rune Dahmke (1./3.) und Eric Johansson (2.) warmwerfen, Jogi Bitter im Hamburger Tor prüfen.

Der Kieler Ellefsen á Skipagøtu ist schwer zu bremsen, rast auf die Abwehr zu

Nach einer Viertelstunde ist die Partie wieder ausgeglichen (7:7/16.). Weil Samir Bellahcene im Tor einige Bälle pariert, Domagoj Duvnjak und Eric Johansson auf den defensiven Halbpositionen früh stören. Gegen Dani Baijens klappt das gut, Linkshänder Zoran Ilic bekommen Johansson und später Nikola Bilyk nicht ganz in den Griff. Die Stimmung ist aufgeheizt, immer wieder initiiert der Hamburger Kreisläufer Niklas Weller Trash-Talk-Ansätze. Macht ja auch Spaß! Genau wie die Wucht, mit der Elias Ellefsen á Skipagøtu im weiten Bogen von weit hinten kommt, auf die gegnerische Abwehr zurast, kaum zu bremsen ist, sehenswert zum 8:8 (17.) und 10:11 aus Kieler Sicht abschließt (21.), aber auch Räume für seine Nebenleute kreiert.

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THW-Cheftrainer Filip Jicha hatte Filip-Jicha-Dinge in Aussicht gestellt, und vielleicht ist die überraschend frühe Einwechslung von Karl Wallinius (24.) so eine Sache. Der zuletzt überwiegend bankdrückende Schwede kommt mit viel Energie und Charisma, bleibt aber gegen Bitter (25.) und bei einem Wurf neben das Tor (30.) auch glücklos. Der THW hat die bessere Spielanlage, der HSV muss – allen voran Spielmacher Leif Tissier – viel Tempo gehen für seinen Erfolg. Kiel führt zur Pause mit 16:15. Kommen da noch mehr Jicha-Schachzüge?

Weinhold sorgt nach der Pause für Understatement und stabilisiert die Deckung

Seine Läufer und Springer auf dem Feld stellen die Weichen (vermeintlich) ganz allein auf Sieg. Steffen Weinhold mischt jetzt seit Wiederanpfiff mit – sieht mit seiner ganzen Routine Rune Dahmke an den Kreis gelaufen kommen (15:17/31.), erledigt den nächsten Treffer selbst (16:18/32.), bringt Weinholdsches Understatement ins Kieler Positionsspiel. Auch defensiv neben den Innenblock-Giganten Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek, wo Beton jetzt der Baustoff der Wahl ist und Konsequenz das probate Gewerk gegen müder werdende Gastgeber, bei denen Chefcoach Torsten Jansen wenig personelle Optionen bleiben.

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Die Zebras bauen Stein um Stein weiter am Erfolg, und als Rune Dahmkes „Strahl“ durchs Hamburger Labyrinth Patrick Wiencek erreicht, stellt der aufs erste Vier-Tore-Plus (24:20/43.), der souveräne Niclas Ekberg erhöht vom Strich auf 26:21 (48.). Kiel verdichtet, Hamburg ermüdet, Jogi Bitter verhindert Schlimmeres, und die Zuschauer feiern ihre Helden weiter. Die schwarz-weiße THW-Fankurve von Minute zu Minute enthusiastischer.

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Wäre da nicht Teufelskerl Bitter, der irgendwie mit seinen Reflexen gegen Dahmke (53.), Ekberg (54.) oder Weinhold (55.) doch die Hamburger Flamme am Glimmen hält. Nur noch 26:24 – wird das hier noch ein Krimi? Ja! Kieler Nerven flattern: Nikola Bilyk mit Stürmerfoul und Zeitstrafe (56.), nur noch 27:26 (58.). Jetzt Ruhe bewahren! Tomáš Mrkva pariert gegen Ilic (59.), Pekeler zum 28:26 (59.), Weller zum 28:27 (60.). Auszeit THW – noch 27 Sekunden. Wieder so ein Krimi wie in Lemgo. Wer trägt die Verantwortung? Johansson auf Pekeler – Siebenmeter! Ekberg gegen Bitter … Bitter hält, verletzt sich, Frederik Bo Andersen mit der Schluss-Sirene zum 28:28. „Dieser Punkt fühlt sich an wie drei – wir hatten nichts zu verlieren und haben die letzten Minuten genossen“, sagt der 41-jährige Ex-Nationalkeeper und hält sich den Oberschenkel.

Der THW wollte Ruhe und Selbstbewusstsein schöpfen. Dieser Plan ist misslungen. Ein enttäuschter Hendrik Pekeler bilanziert: „Bei fünf Toren Führung in der 50. Minute darfst du keinen Punkt mehr verlieren. Dieses Spiel spiegelt unsere Saison wider.“ Auch Nikola Bilyk („Unerklärlich!“) und HSV-Trainer Jansen („Wir haben mit dem Mut der Verzweiflung alles aufs Spiel gesetzt“) können ihr Pech beziehungsweise Glück kaum fassen. Filip Jicha bilanziert mit Blick auf den HSV-Keeper und einer Prise Galgenhumor: „Das ist brutal bitter. Ich habe die nötige Abgezocktheit vermisst.“ Am 21. April müssen die Zebras als nächstes bei den Füchsen Berlin antreten.

HSV Hamburg – THW Kiel 28:28 (15:16)

HSV Hamburg: Bitter (1.-60. Minute/ 15/1 Paraden), Vortmann (n.e.) – Mortensen 9/3, Tissier 3, Weller 3, Corak, Andersen 2, Hartwig n.e., Severec, Risom 1, Bergemann, Ilic 7, Valiullin, Baijens 3.

THW Kiel: Bellahcene (1.-26. Minute/5 Paraden), Mrkva (ab 26./5) – Ehrig n.e., Duvnjak, Reinkind 1, Øverby, Weinhold 1, Wiencek 2, Ekberg 7/1, Johansson 5, Dahmke 4, B. Szilagyi n.e., Wallinius 1, Bilyk 2, Pekeler 1, Ellefsen á Skipagøtu 4.

Schiedsrichter: Christian Hannes/David Hannes (Köln/Dortmund) – Strafminuten: HSV 2 (Weller), THW 10 (Pekeler, Weinhold, 2x Wiencek, Bilyk) – Siebenmeter: HSV 3/3, THW 2/1 (Ekberg scheitert an Bitter) – Spielfilm: 3:0, 5:2 (10.), 6:5, 7:7 (16.), 11:9, 11:12 (23.), 13:13, 15:16 – 17:19, 19:20 (39.), 20:24, 21:26 (48.), 26:27 (58.), 28:28 – Zuschauer: 10 173 in der Barclays Arena in Hamburg.

KN



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