Als um sechs Uhr die südkoreanischen Wahllokale schlossen, deutete sich der Erdrutschsieg der Oppositionspartei bereits an. Die ersten Auszählungen vom Mittwochabend prognostizierten eine knappe Zwei-Drittel-Mehrheit des linksliberalen Lagers: Nahezu 200 der 300 Nationalratssitze würden demnach an die Minjoo-Partei gehen. Es wäre ihr größter Sieg seit mehreren Dekaden.

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Die Parlamentswahl bedeutet zweifelsohne einen herben Verlust für den konservativen Präsidenten Yoon Suk Yeol, der noch während des Wahlkampfs auf eine Mehrheit seiner Partei gehofft hatte. Die Resultate haben weitreichende Folgen, da der 63-Jährige offiziell noch drei weitere Jahre im Amt bleiben wird.

Schon zuvor war es für Yoon schwierig, seine wirtschaftsfreundliche Politik in Gesetze zu gießen, doch nun muss er sich auf noch deutlich stärkeren Widerstand im Nationalrat einstellen. Im schlimmsten Fall, wenn die Opposition auf über 200 Sitze kommt, dann kann diese den Präsidenten nicht nur bei Gesetzesvorhaben umgehen, sondern rein rechnerisch ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einleiten. Dass Yoon also zur „lahmen Ente“ wird, daran führt kein Weg vorbei. Doch ebenso möglich wäre, dass er seine Legislaturperiode politisch nicht überdauern wird.

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Umstrittene Annäherung mit Japan

In jedem Fall wird sich auch die Außenpolitik des ostasiatischen Tigerstaats ändern. Yoon hatte in seinen ersten zwei Jahren einen harten Kurs gegenüber Nordkorea gefahren, während er mit Japan eine umstrittene Annäherung anvisiert hatte. Letztere wurde insbesondere von der Linken abgelehnt: Denn auch wenn die zwei Nachbarstaaten demokratische Werte teilen und sich kulturell wertschätzen, wiegen die historischen Wunden schwer. Japan hatte die koreanische Halbinsel während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kolonialisiert und sich in den Augen vieler Südkoreaner nie glaubwürdig von den Gräueltaten distanziert.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-Yeol, hier bei einer Veranstaltung in Seoul, geht geschwächt aus der Parlamentswahl raus.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-Yeol, hier bei einer Veranstaltung in Seoul, geht geschwächt aus der Parlamentswahl raus.

Die Polarisierung des Landes verläuft vor allem auch entlang innenpolitischer Themen. Es gibt starke Kluften zwischen den Geschlechtern, zwischen jung und alt, rechts und links. Bei der Wahl ging es vielen Südkoreanern weniger um eine Stimme für die Opposition, sondern vor allem gegen den Präsidenten. Denn dieser hatte sich im Zuge mehrerer Skandale zunehmend unbeliebt gemacht. Auch innerhalb der Journalismus-Branche avancierte Yoon zuletzt zur persona non grata, denn mehrfach ließ er Razzien in Medienhäusern durchführen und Geldstrafen gegen kritische Reporter verhängen.

Hohe Wahlbeteiligung

Doch ganz gleich, wie das Resultat auch gedeutet wird; für die Demokratie stellt der Mittwoch ein schillernder Tag dar. Über zwei Drittel der 44 Millionen Stimmberechtigten haben schließlich den Urnengang angetreten. Es ist Südkoreas höchste Beteiligung an einer Parlamentswahl seit 32 Jahren.

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Erst Ende der 1980er Jahre avancierte die damalige Militärdiktatur zur Demokratie – auch dank dem Blut vieler Studierender und Aktivisten, die sich das freie Wahlrecht auf der Straße erkämpften. Mittlerweile gilt Südkorea als vielleicht vorbildlichste Demokratie Asiens, zumindest jedoch als lebhafteste.

Während der letzten Wochen konnte man dies im Stadtbild der Hauptstadt Seoul mit bloßen Augen sehen: Überall warben Politiker im öffentlichen Raum um Stimmen – mit Megaphon auf Pickup-Lastern, in Fußgängerzonen und vor U-Bahneingängen. Das Recht der politischen Mitbestimmung ist nach wie vor für die meisten Südkoreanerinnen und Südkoreaner ein hohes Gut, das es wertzuschätzen gilt.



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