Kiel/Mönkeberg. Sechs Jahre nach dem Unfalltod eines Bauarbeiters im Mönkeberger Neubaugebiet „Hegebuchenrade“ sollte sich der damalige Geschäftsführer einer Baufirma wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Doch der Prozess im Kieler Amtsgericht ist am Montag geplatzt, bevor er richtig begonnen hatte: Als der 32-jährige Angeklagte seine Personalien angeben soll, stellt sich heraus, dass er kaum Deutsch spricht.
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Ein Dolmetscher für Serbokroatisch stand kurzfristig nicht zur Verfügung. „Eine Kommunikation auf Augenhöhe ist so nicht möglich“, befand der Vorsitzende und setzte den Prozess nach einem halbstündigen Rechtsgespräch mit der Staatsanwältin und den Verteidigern aus. Er soll am 12. Juni von Neuem beginnen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem zur Tatzeit 26-jährigen Serben vor, trotz mangelnder Sprachkenntnisse von der Sturmwarnung für den 15. März 2018 gewusst zu haben. Damals kündigte der Deutsche Wetterdienst auch für den Kreis Plön Sturmböen bis 70 km/h in Küstennähe an. „Im Laufe des Tages nimmt der Wind gefährlich an Fahrt auf“, hieß es. „Achten Sie besonders auf herabfallende Gegenstände!“
Prozess in Kiel: Identität von Unfallopfer war zunächst unbekannt
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Angeklagte habe es trotz Sturmwarnung für den Bereich Mönkeberg und gesetzlicher Sicherheitsbestimmungen unterlassen, die frisch gemauerte Giebelwand abzustützen. Zudem sollen deren Lagerfugen nicht vollständig verklebt worden sein. Die Folge: Die Wand kippte um.
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Beim Einsturz begrub das tonnenschwere Gebäudeteil an jenem Donnerstagnachmittag einen Bauarbeiter osteuropäischer Herkunft unter sich. Herkunft, Alter und Identität des Opfers waren zunächst unbekannt. Sein Tod warf einen Schatten auf das Vorzeigeprojekt der Gemeinde Mönkeberg.
Tödlicher Unfall in größtem Neubaugebiet von Mönkeberg
Nach Angaben von Polizei und Feuerwehr wurde der Unfall um 16.40 Uhr gemeldet. Das Opfer wurde mit einer Hubrettungsbühne aus dem Rohbau geborgen und vor Ort reanimiert, starb aber auf dem Weg ins Krankenhaus. Schon damals verwies ein Polizeisprecher auf den Sturm als mögliche Unfallursache und kündigte an, man werde prüfen, ob die Baustelle ausreichend gesichert war.
Bis zum Richtfest des „größten Neubaugebiets der Ortsgeschichte“ im Juni 2018 waren sechs Jahre Bauzeit vergangen. Der vom Unfall betroffene Neubau gehört nach Informationen der Kieler Nachrichten zu den elf „Gartenhofhäusern“, die als letzte Gebäude mit zweijähriger Verzögerung fertiggestellt wurden. Die umgestürzte Giebelwand soll zwischen 2. Februar und 12. März 2018 gemauert worden sein.
Von 100.000 Unfällen auf dem Bau endeten 74 tödlich
Zeit- und Kostendruck erhöhen die Unfallgefahr auf Baustellen, warnt generell die Gewerkschaft IG Bau. Laut Statistik gab es im Jahr 2022 bundesweit rund 100 000 Unfälle auf deutschen Baustellen, die in 74 Fällen tödlich endeten. In 16 Fällen wurden die Opfer – wie im Fall Mönkeberg – von herabfallenden Gegenständen getroffen. Nur Abstürze forderten noch mehr Menschenleben (35).
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Die Besonderheit des Gartenhofprojekts in Mönkeberg: Investor Hans-Jürgen Schauenburg, ehemaliger Chef der Frank-Gruppe als Bauherrin, kaufte damals alle elf Häuser, um sie zu einem Quadratmeterpreis von 8,50 Euro zu vermieten. Als vielfacher Vater und Großvater versprach der Unternehmer jungen Familien mit zwei Kindern 100 Euro Miet-Rabatt. Fünfköpfige Familien sollten 150 Euro Rabatt bekommen.
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Viele Ermittlungen: Prozess in Kiel startet erst nach sechs Jahren
Zur Frage, warum der Prozess erst sechs Jahre nach dem Tod des Bauarbeiters eröffnet wird, nennt Gerichtssprecherin Myriam Wolf „umfängliche und teilweise zeitaufwendige Ermittlungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht“. So sei die Identität des Verstorbenen zunächst unklar gewesen – möglicherweise ein Indiz für Schwarzarbeit.
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Zur Feststellung der Verantwortlichkeit seien Nachunternehmerverträge zwischen den Bauausführenden geprüft worden, so Wolf. Zur Unfallursache sei ein Gutachten eingeholt worden. Möglicherweise hätten die hohe Arbeitsbelastung bei der Kripo sowie die Corona-Pandemie die Ermittlungen verzögert. Die Anklage sei im November 2021 vorgelegt worden.
Am Kieler Amtsgericht sei das Hauptverfahren nach einem Dezernatswechsel eröffnet worden, teilt die Sprecherin mit. Zudem habe man Akteneinsichtsgesuche an die Berufsgenossenschaft und Zivilgerichte gestellt sowie Termine mit zwei auswärtigen Verteidigern absprechen müssen. Nach Wolfs Einschätzung spricht nichts für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung.
KN