Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat das Urteil im Fretterode-Prozess aufgehoben. Damit hat das oberste deutsche Gericht dem Antrag auf Revision von Staatsanwaltschaft und der Vertretung der Nebenklage stattgegeben. „Wegen sachlich-rechtlicher Fehler“, heißt es in einer BGH-Mitteilung. Das Verfahren werde nun an eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen und neu aufgerollt, teilen die Nebenklägeranwälte Sven Adam und Rasmus Kahlen mit.

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Das milde Urteil des Landgerichts in Mühlhausen im Fretterode-Prozess gegen zwei Neonazis aus dem nahen Umfeld des Neonazi-Kaders Thorsten Heise hatte im September 2022 überregional eine Welle der Entrüstung in den sozialen Medien, aber auch in der politischen Landschaft ausgelöst. Das Thüringer Gericht war mit seiner Strafbemessung weit unter den Forderungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage geblieben.

Gegenstand des Fretterode-Prozesses war der Angriff auf zwei Journalisten, die im April 2018 vor dem Wohnhaus des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Heise in Fretterode Fotos und Filmaufnahmen gemacht hatten. Damals hatten zwei vermummte Männer, die wenig später als Gianluca B. und Nordulf H. identifiziert wurden, die Fotografen zunächst vertrieben und dann mit dem Auto verfolgt. Bei Hohengandern kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, bei der die Neonazis einen Schraubenschlüssel, ein Messer, einen Baseballschläger und Pfefferspray verwendet hatten.

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Der Fotograf erlitt bei der Attacke eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel, seinem Begleiter wurde mit dem schweren Schraubenschlüssel auf den Kopf geschlagen. Er erlitt eine Fraktur des frontalen Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die hinteren Reifen zerstochen.

Gericht bleibt hinter Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück

Zudem verschwand bei dieser Gelegenheit eine Kamera, von der die Staatsanwaltschaft annimmt, dass sie von den Angreifern entwendet wurde. Entsprechend hatte sie im Verfahren für den jüngeren der beiden Angeklagten auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten zur Bewährung und für den älteren auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten plädiert. Dahinter war das Gericht deutlich zurückgeblieben.

Die beiden 23 und 28 Jahre alten rechtsextremen Angeklagten waren am Ende des Prozesses zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung beziehungsweise 200 Arbeitsstunden verurteilt worden. Damit würdigte die Strafkammer lediglich die Straftaten Sachbeschädigung sowie gefährliche Körperverletzung. Einen gezielten Angriff auf Journalisten oder einen gemeinschaftlichen schweren Raub habe die Kammer nicht feststellen können, hatte die Vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung erklärt.

Jagdszenen in Fretterode: Neonazi Gianluca B. beim Angriff auf Journalisten.

Jagdszenen in Fretterode: Neonazi Gianluca B. beim Angriff auf Journalisten.

Fretterode-Prozess: Anwalt spricht von „skandalösem Urteil“

Hier hatte die Staatsanwaltschaft nach dem Urteil erhebliche Zweifel angemeldet. So sei weder die politische Motivation der Angeklagten, die beide aus der rechtsextremen Szene stammen, berücksichtigt worden, noch der Raub von Teilen der Fotoausrüstung, hatte Staatsanwalt Benedikt Ballhausen argumentiert. Auch der Göttinger Rechtsanwalt Rasmus Kahlen, der einen der angegriffenen Journalisten vor Gericht vertreten hatte, hatte sich der Einschätzung angeschlossen.

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Das Urteil sei seitens der Nebenklage im Punkt der „rechtswidrig unterbliebenen Verurteilung wegen schweren Raubes“ angreifbar, so Kahlen. Sein Mandant sei Eigentümer der Kamera, mit der die Bilder des Angriffs gefertigt wurden und die im Zuge des Angriffs unter Anwendung von Gewalt mit Waffen entwendet wurde. „Das Gericht erkennt mit dem Urteil den Raub nicht an“, so Kahlen.

Nebenkläger Kahlen fand schon in seiner Revisionsankündigung deutliche Worte gegen ein, wie er sagt, „skandalöses Urteil“. Es reihe sich leider ein in eine Tradition von milden Strafen gegen Neonazis. Er kritisierte den mangelnden Willen der Richter, die Täter in ihrem organisatorischen Umfeld zu betrachten.

Heute merken Kahlen und Adam an: „Die Verurteilung wegen schweren Raubes hatte das Landgericht verweigert, weil es die Aussagen der Nebenkläger hinsichtlich des Raubes einer Spiegelreflexkamera in Zweifel gezogen hat und stattdessen insoweit den Neonazis mehr Glauben geschenkt hat, die den Raub und weite Teile des Tatgeschehens insgesamt bestritten haben. Auch neonazistische Beweggründe der Täter wollte das Landgericht nicht erkannt haben.“

Dieser Artikel erschien zunächst beim „Göttinger Tageblatt“.



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