“Fahren oder bauen?” Diese Frage stellt sich Klaus-Dieter Josel an diesem Montag selbst. Entschieden haben sie sich dann bei der Deutschen Bahn (DB) fürs Bauen. Dafür wird aber von 2026 an auf wichtigen Bahnstrecken im Freistaat immer wieder Stillstand herrschen, zur Generalsanierung von Gleisen, Oberleitungen, Signaltechnik, Bahnhöfen und was sonst nötig ist, um einen Eisenbahnverkehr aufrechtzuerhalten. Von einem “Kompromiss” spricht Josel, zwischen dem Mach- und dem Zumutbaren. “Dieses Vorgehen ist alternativlos”, sagt der DB-Konzernbevollmächtigte für Bayern. “Wir sind ja in Rückstand geraten bei der Modernisierung.”
Also: Strecken zu und bauen. Um den Sanierungsstau im Eisenbahnnetz aufzulösen, will die DB bundesweit etliche Korridore sanieren – zentrale Achsen für den Personen- und den Güterverkehr. Das wird auch im Freistaat zu etlichen Einschränkungen und Streckensperrungen führen. Wie genau, ist zwar noch unklar. Trotzdem ist schon jetzt unter privaten Gütereisenbahnen die Sorge groß, dass ihnen die Baumaßnahmen am Ende mehr schaden als nützen könnten.
Auch DB-Mann Josel weiß natürlich um das, was er einen “Grundkonflikt” nennt zwischen Fahren und Bauen. In der Vergangenheit habe man Strecken oft während des laufenden Betriebs saniert, sagt er. Effizienter sei es aber, die Strecken komplett zu sperren. “Fünf Monate”, rechnet Josel pro Bauvorhaben. Und von denen wird es nach Planungsstand sieben in Bayern geben. Den Anfang macht demnach von Februar 2026 an die Strecke Nürnberg-Regensburg. In der zweiten Jahreshälfte soll dann der sich südlich von Regensburg anschließende Abschnitt zwischen Obertraubling und Passau gesperrt und überholt werden. 2027 folgen die Gleise zwischen München, Rosenheim und Salzburg und 2028 die zwischen Würzburg und Nürnberg. Den Abschluss bilden bestenfalls die Strecken Würzburg-Ansbach-Treuchtlingen und Ulm-Augsburg.
Rechnet man alle Strecken zusammen, kommt man auf gut 700 Kilometer, die von Bauvorhaben betroffen sein werden. Die weiteren Details sollen nun in den nächsten Monaten erarbeitet werden. Für den Nahverkehr dürften dabei Schienenersatzverkehre mit dem Bus quasi zum Standardrepertoire gehören. Wichtige Knotenpunkte wie die Bahnhöfe Regensburg und Rosenheim sollen jedoch von den Maßnahmen weitgehend verschont bleiben, die Sache ist eh schon kompliziert genug. Um die Menschen zu informieren, ist außerdem eine eigene Website zu den Bauvorhaben geplant – und eine “Infotour” durch die betroffenen Regionen.
Einer der größten Streitpunkte ist allerdings jetzt schon der Umgang mit der Strecke zwischen Obertraubling und Passau. Sie ist für den Güterverkehr von besonderer Bedeutung, stellt sie doch über Nürnberg eine Verbindung zwischen den Nordseehäfen einerseits und Österreich, Ungarn und den Balkanstaaten andererseits her. Auch für den internationalen Personenverkehr ist die Route interessant. Allerdings seien für eine so wichtige Achse die Reisegeschwindigkeiten und die Kapazitäten vielerorts zu niedrig, stellte die Industrie- und Handelskammer in Regensburg 2020 in einem Gutachten fest. Langfristig brauche es daher unter anderem eine “bedarfsgerechte Ertüchtigung des topografisch schwierigen Abschnitts” zwischen Regensburg und Passau. Auch der DB gilt eine Sanierung als unvermeidbar. Unter anderem Stationen, Gleise, Stellwerkstechnik und Oberleitungen benötigen ein Update. Eine zusätzliche Herausforderung bieten die Schienenstränge bei Osterhofen, wo mooriger Untergrund so befestigt werden muss, dass Züge wieder schneller passieren können.
“Nicht-Bauen ist überhaupt keine Alternative”
“Nicht-Bauen ist überhaupt keine Alternative”, bestätigt Peter Westenberger. Allerdings lässt der Geschäftsführer des Verbands der Güterbahnen am Telefon Skepsis durchblicken, ob es für jede Streckensanierung eine monatelange Vollsperrung brauche. Vor allem aber befürchtet er, dass die Güterbahnunternehmen zu großräumigen Umwegen gezwungen sein könnten, würde die Strecke zwischen Obertraubling und Passau gesperrt. Denn in der Region sei die Bahninfrastruktur “so ausgedünnt” worden, dass es kaum Alternativen gebe. Die Folge, so Westenberger: Ein Teil des Warentransports könnte auf die Straße abwandern. Und das nicht nur während der Zeit der Bauarbeiten, sondern dauerhaft, das zeigten Beispiele aus anderen Ländern. Dabei hätten viele Güterbahnen jetzt schon finanziell zu kämpfen.
Tatsächlich sind die Ausweichoptionen in Ostbayern überschaubar. Eine derzeit diskutierte Route könnte hinter Nürnberg beginnen und dort über Tschechien gen Wien führen. Von dort ginge es dann wahlweise weiter nach Ungarn – oder zurück gen Wels, Linz und Passau. Rund 200 Kilometer mehr als sonst müssten dabei die Züge nach Berechnungen des Güterbahnen-Verbands zurücklegen. Dabei gebe es kürzere Alternativen: Demnach würde die Strecke Nürnberg-München-Salzburg einen Umweg von “nur” 160 Kilometer bedeuten. Das Problem: Die Gleise dort gelten als überlastet. Und auch Teile des Personenverkehrs werden sich wohl durch dieses wie andere Nadelöhre drängen müssen.
Bei der Deutschen Bahn weisen die Verantwortlichen darauf hin, dass die Planungen für die sogenannten Umleiter nicht abgeschlossen seien. Wie der Ausweichverkehr am Ende laufen werde, lasse sich daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, dazu brauche es noch mehr Abstimmung: zum einen mit Tschechien, zum anderen mit den Güterbahnen. Deren Sorgen müsse man ernst nehmen, sagt Josel. Allerdings auch: “Wir müssen bauen, damit wir fahren können.”
Denn das Fahren macht im Freistaat schon jetzt genug Probleme. Ebenfalls am Montag teilte die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) mit, dass im vergangenen Jahr nur 87 Prozent der Regionalzüge und S-Bahnen pünktlich waren – sprich mit weniger als sechs Minuten Verspätung ankamen. Weitere 6,3 Prozent der Verbindungen seien sogar ganz ausgefallen. Laut BEG sank die Pünktlichkeitsquote damit auf einen historischen “Tiefststand seit der Bahnreform in den Neunzigerjahren”. Häufigster Grund für die Verspätungen und Ausfälle: “Einschränkungen durch die oftmals marode Bahninfrastruktur”.