Der Ort des Protestes war gut gewählt: Der Billhafen-Löschplatz in Rothenburgsort ist seit Langem ein Hotspot der Subkultur im Hamburger Osten. Immer wieder finden hier bei gutem Wetter spontane Raves statt, vor 20 Jahren war die kleine Landzunge der Picknickplatz der Künstlerinnen und Künstler vom Brandshofer Deich, die später das Gängeviertel besetzten.

An diesem Samstag Anfang April erhebt sich der 100 Meter hohe Rohbau der Elbtower-Baustelle wie ein riesiges Bühnenbild über dem Billhafen-Löschplatz – die ideale Kulisse für die Aktion des Initiativenbündnisses AG Ost. Es ist bestes Frühlingswetter, aus den Lautsprechern ertönt der Ton-Steine-Scherben-Klassiker: “Halleluja, der Turm stürzt ein!” An die 300 Menschen sind gekommen, es gibt einen Stand mit Elbtower-Dosenwerfen, Menschen mit Bauhelmen tragen Schilder auf denen “Euer Ruin ist unser Gewinn” steht, oder “Power to the tower”.

“Wir wollen auf den Mangel von Räumen aufmerksam machen”, sagte eine Sprecherin der AG Ost. In diesem Bündnis versammeln sich unterschiedliche Hamburger Initiativen aus Hammerbrook, Rothenburgsort, Grasbrook oder der Hafencity: Etwa Hallo e. V., die bis vor zwei Jahren im Kraftwerk Bille das Hallo-Festival veranstaltet hat, oder Mikropol e. V., die sich darum bemüht, auf dem Areal des ehemaligen Branntweinmonopols in Rothenburgsort ein Stadtteilzentrum zu ermöglichen, und das Mundhallen-Kollektiv, ein Verbund aus Künstlerinnen und Handwerkern, deren alte Halle 2020 abgerissen wurde und die sich seither von einem Ausweichquartier zum nächsten hangeln. Aber auch die von den Hafencity-Entwicklungsplänen bedrohte Rudervereinigung Bille ist bei der AG Ost dabei, ebenso wie die Initiative Dessauer Ufer, die dafür streitet, das in einem Lagerhaus auf dem Grasbrook, einer Außenstelle des KZs Neuengamme, ein Erinnerungsort entsteht. “Im Elbtower ist genug Platz für alle Initiativen und für mehr”, sagt die Sprecherin. “Und wenn Hamburg sagt: Wir wollen eine lebendige Stadt, dann muss die Stadt auch etwas dafür machen.”

Ein Atelier mit Rooftop-Sauna? Oder doch besser ein riesiges Vogelhaus?

Seit Ende Oktober 2023 steht die Elbtower-Baustelle still, von den
geplanten 245 Metern sind erst etwa 100 Meter im Rohbau fertiggestellt. Ab August 2023 hatte Signa, der Konzern des österreichischen
Immobilienmagnaten René Benko, der hinter dem Elbtower steckt, keine
Rechnungen mehr bezahlt, inzwischen hat das Unternehmen Insolvenz angemeldet. Der unvollendete Rohbau des Elbtowers könnte “das Scheitern einer Stadtentwicklungspolitik von oben nicht treffender symbolisieren”, sprach eine weitere Rednerin in einem vogelartigen Astronautenkostüm in das Mikrofon, und auch, dass man den “Tower der geplatzten Träume von Grund auf neu denken” müsse.

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Initiativen schon mal ein Bauschild drucken lassen, auf dem steht, was sie aus dem Elbtower-Torso machen wollen: Einen “Standort für bedrohte Initiativen, Kultur und Stadtleben” soll aus dem Elbtower werden. In die unteren Geschosse könnten Ateliers und die Werkräume der Mundhalle kommen, in die obersten Geschossen ein Stadtteilzentrum und eine Rooftop-Sauna. Außerdem sollen eine Kantine, ein Co-Working-Space, eine Poliklinik Elbbrücken und eine Kita Elbblick Platz finden – und natürlich müsste auch der Anleger der Rudervereinigung Bille am Fuß des umgewidmeten Elbtowers liegen.

Eine ganz andere Nutzung schlägt eine Initiative namens Birdtower Hamburg vor, die auch beim Protesttag dabei ist: Etwa 100.000 Vogelpaaren könne der Birdtower “genug Platz zum ungestörten Brüten in bester Lage” bieten und “unzählige Nisthilfen für verschiedenste Singvögel, von denen derzeit gut ein Fünftel in Hamburg als zumindest gefährdet eingestuft werden”, erklärt eine Rednerin.

Dass sich im Rohbau des Elbtowers Vögel einnisten – dafür braucht es womöglich gar keine Initiative. Inzwischen hat nicht nur die Muttergesellschaft Signa, sondern auch deren Tochter Elbtower Immobilien GmbH Insolvenz angemeldet. Schätzungsweise 500 Millionen Euro sind schon in dem Rohbau geflossen. Fachleute schätzen, dass die Signa-Gesellschafter und -Gläubiger einen Großteil der Summe abschreiben müssen, damit es sich für einen neuen Investor lohnen könnte, den Turm weiterzubauen. Doch zum Schleuderpreis will die insolvente Signa das Gebäude nicht hergeben. Gerade erst hat der Immobilienkonzern einen Notkredit über 100 Millionen Euro aufgenommen, um nicht in die Lage zu kommen, Immobilien in Notverkäufen hergeben zu müssen. Eine baldige Wiederaufnahme der geplanten Bautätigkeit ist also wenig wahrscheinlich.

Bei der Stadt hofft man jedoch nach wie vor darauf, dass ein neuer Investor den Elbtower wie ursprünglich geplant zu Ende baut. Sollte sich aber kein Käufer finden, könnte ein Wiederkaufsrecht greifen, dass die Stadt sich beim Verkauf des Grundstücks ausbedungen hat. In diesem Fall bekäme Hamburg den angefangenen Turm relativ günstig. So furchtbar unrealistisch ist die Perspektive also gar nicht, dass aus dem gescheiterten Investorentraum ein gemeinnütziges Projekt für die umliegenden Stadtteile werden könnte.



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