Gastbeitrag von Joachim Krause: Warum sitzt Gerhard Schröder an seinem 80.Geburtstag nicht hinter Gittern?
Sonntag, 07.04.2024, 18:30
Politik-Experte Professor Joachim Krause hinterfragt, warum der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder trotz kritischer Verbindungen zu Wladimir Putin und umstrittener Lobbyarbeit für russische Firmen heute straffrei seinen 80. Geburtstag feiern darf.
Am 7. April feiert der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen 80. Geburtstag. Kein früherer Bundeskanzler ist derart in die Kritik geraten wegen seiner engen Bindung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner Tätigkeit als Lobbyist für russische Energiefirmen. Und: von Reue keine Spur. Manche fordern, dass er strafrechtlich belangt wird.
Spricht man mit Strafrechtlern darüber, dann wird klar, warum Gerhard Schröder straffrei bleiben wird. Nicht, weil er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, sondern weil das deutsche Strafrecht eine Verurteilung nicht zulässt und die Strafverfolgung daher sinnlos ist. Warum das so ist, wird deutlich, wenn man sich die möglichen Verstöße anschaut.
Ansatz: Verstoß gegen den Amtseid des Bundeskanzlers
Ein Ansatz könnte ja sein, ihn wegen eines Verstoßes gegen den Amtseid des Bundeskanzlers zu belangen. Immerhin hat er geschworen, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden und das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und verteidigen. Tatsächlich hat er seinerzeit gegenüber Russland eine Politik betrieben, die massiv den deutschen Interessen geschadet hat. Aber diese Feststellung, selbst wenn man sie noch so präzise belegen würde, dürfte nicht ausreichen, den früheren Bundeskanzler deshalb vor Gericht zu stellen. Es gibt für Verstöße gegen Amtseide kein Gerichtsverfahren, sie gelten nicht als justiziabel.
Ansatz: Verdacht auf Landesverrat
Eine andere Frage wäre, ob er wegen Verdacht auf Landesverrat belangt werden kann. Hier geht es um die Paragraphen 93 und 94 des Strafgesetzbuches, also um den Verrat von Staatsgeheimnissen. Keine Staatsanwaltschaft wird sich aber auf ein derartiges Verfahren einlassen, sofern nicht klar erkennbar und mit Beweisen unterlegt ist, um welches Staatsgeheimnis es sich im Einzelnen handelt und wie und wo der Verrat nachgewiesen werden kann. In Paragraph 97a des StGB heißt es allerdings: „Wer ein Geheimnis, das wegen eines der in § 93 Abs. 2 bezeichneten Verstöße kein Staatsgeheimnis ist, einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird wie ein Landesverräter (§ 94) bestraft.“
Über den Experten
Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Chefredakteur von SIRIUS. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent tätig. Neben seiner akademischen Laufbahn hat er an internationalen diplomatischen Missionen teilgenommen. Seine Forschungsarbeit ist in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert.
Das könnte möglicherweise ein Anknüpfungspunkt sein, denn Schröder hat aus seiner Zeit als Bundeskanzler und seiner sonstigen starken Verbindung zur deutschen Energiewirtschaft intime Kenntnisse über diese gewinnen können, die für die russische Politik bedeutsam war, die Deutschland in Abhängigkeiten bringen wollte. Aber auch hier würde eine Staatsanwaltschaft vor unlösbaren Problemen stehen: Zum einen wäre zu klären, was Schröder hätte wissen können, was Kenner der Branche nicht ohnehin wussten und: wo und wie will man die Weitergabe einer exklusiven Information an russische Stellen nachweisen wollen? Dass Schröder Lobbyist von Gazprom war, ist unbestritten, nur lässt sich nicht der Nachweis führen, dass er im Rahmen dieser Tätigkeit Informationen weitergegeben hat, die nur er exklusiv kannte und die dann zum Nachteil der Bundesrepublik verwendet worden sind.
Ansatz: Unterstützung eines Angriffskriegs
Ein weiterer Ansatzpunkt wäre der Verdacht auf Unterstützung eines Angriffskriegs. Aus der umfangreichen Lobbyarbeit Gerhard Schröders (unter Mitwirkung der sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Brigitte Zypries) ließe sich unter Umständen der Vorwurf ableiten, wonach Schröder zur Vorbereitung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 beigetragen habe. Die Frage, die eine Staatsanwaltschaft zu klären hätte, wäre, ob Schröder eine im Sinne des § 13 des Völkerstrafgesetzbuches strafbare Tat begangen hat. Immerhin hat er sich zum Instrument einer russischen Politik gemacht, die die Ukraine schwächen und Deutschland in Abhängigkeit von Russland bringen wollte.
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Der entsprechende Paragraph des Völkerstrafgesetzbuches lautet: „(1) Wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ Dieser Tatbestand trifft zweifelsohne auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu, aber nicht auf Schröder, der bestenfalls indirekter Beteiligter an der Vorbereitung war. Aber lässt sich seine Beteiligung an der Vorbereitung eines Angriffskrieges juristisch verfolgen? Offenkundig nicht, denn in § 13, Absatz 4 heißt es: „Beteiligter einer Tat nach den Absätzen 1 und 2 kann nur sein, wer tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken.“ Diese Qualifikation erfüllt Gerhard Schröder auf keinen Fall.
Das bedeutet, dass auch hier eine strafrechtliche Verfolgung Gerhard Schröders keine Aussicht auf Erfolg hat. Allerdings muss man sich fragen, ob ihm angesichts seiner großen Nähe zu Putin nicht aufgefallen ist, dass dieser kriegerische Pläne gegen die Ukraine hegte und dass seine Lobbyarbeit möglicherweise der Vorbereitung eines größeren Krieges gedient hat? Aber das sind Fragen, mit denen man Schröder politisch konfrontieren muss, nicht juristisch.
Ansatz: Verdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung
Man könnte auch prüfen, ob Verdacht auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung besteht. In der internationalen Fachliteratur zum System Putin gilt es als gesichert, dass der russische Staatspräsident Wladimir Putin Kopf einer Machtvertikale ist, die den russischen Staat und seine Institutionen sowie die wichtigsten Industriezweige und vor allen den Energiesektor kontrolliert. Diese Machtvertikale ähnelt in Aufbau und Struktur Institutionen der organisierten Kriminalität. Ziel der Mitglieder der Machtvertikale ist die Bereicherung an den Erlösen der russischen Wirtschaft, wobei von der systematischen Begehung einschlägiger Straftaten auszugehen ist (Unterschlagung, Betrug, Korruption, Erpressung, Raub und Diebstahl).
Zudem wurden von dieser mafiaartigen Machtvertikale Morde in Auftrag gegeben, die teilweise im Ausland, auch in Deutschland, verübt worden sind. Unter den Mitgliedern der Machtvertikale, die sich kritisch gegenüber der „Spezialoperation“ in der Ukraine ausgesprochen haben, ist seit zwei Jahren eine auffällig hohe Zahl von offenkundig inszenierten Selbstmorden, plötzlichen Herztoden oder Verkehrsunfällen zu beobachten gewesen. Auch das sind typische Indikatoren für die Existenz einer kriminellen Vereinigung. Die Tatsache, dass Gerhard Schröder sich bislang nicht kritisch zum russischen Überfall auf die Ukraine geäußert hat, könnte als Indiz dafür gesehen werden, dass er sich selber als Mitglied dieser Machtvertikale ansieht.
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Es muss allerdings eine sehr ambitionierte Staatsanwaltschaft sein, die sich dieses Verdachts annimmt. In einem umfangreichen und stichhaltigen Verfahren müsste erst einmal der Nachweis geführt werden, dass die Putinsche Machtvertikale eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Paragraphen 129 StGB ist. In einem weiteren Schritt müsste geklärt werden, ob die Firmen Gazprom und Rosneft, für die Schröder als Lobbyist gearbeitet hat und bei denen er Aufsichtsratspositionen eingenommen hat, integrierter Teil dieser kriminellen Vereinigung waren, oder ob sie unter die Ausnahmeregelung des Paragraphen 129, Absatz 3 fallen, wonach eine kriminelle Vereinigung dann nicht vorliege, wenn „die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist.“
Spätestens da wird es für jede Staatsanwaltschaft aussichtslos werden, den entsprechenden Nachweis für Schröders Schuld zu finden.
Ansatz: Hochverrat
Noch weniger Aussichten hätten Strafverfahren, die Gerhard Schröder Hochverrat gemäß Paragraph 82 StGB nachweisen wollten. Hier geht es um Personen, die mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt den Bestand der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen oder die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung ändern wollen. Weder das eine noch das andere kann man Gerhard Schröder unterstellen und es würde sich kein einziger Staatsanwalt dafür hergeben, hierüber eine Untersuchung anzufangen.
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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.