Analyse von Constantin Eckner: Bayern-Debakel zeigt die Zerrissenheit zwischen Tuchel und seinem Team
Bayern München hat mit der Niederlage bei Aufsteiger 1. FC Heidenheim einen neuen Tiefpunkt in dieser Saison erreicht. Max Eberl möchte auch in den kommenden Wochen an Cheftrainer Thomas Tuchel festhalten, aber dieser erreicht die Mannschaft wohl nicht mehr.
Am Dienstag steht Bayern München vor einer großen Herausforderung beim Auswärtsspiel gegen Arsenal in der Champions League – der letzte mögliche Titel kann in der Königsklasse geholt werden. Doch man gewinnt mittlerweile den Eindruck, dass es im Duell mit dem Premier-League-Team gar nicht mehr darum geht, Arsenal zu schlagen, sondern nicht unterzugehen. Die Bayern haben die vorangegangenen drei Aufeinandertreffen mit dem Club aus Nord-London jeweils 5:1 gewonnen. Aber das war ein Arsenal mit mittelmäßiger Spielanlage und gezeichnet von einer verfehlten Transferpolitik.
Bayern beweist wieder, dass man nicht um Titel mitspielen kann
Die Rollen wurden getauscht. Bayern wirkt gezeichnet – vom Misserfolg, von Selbstzweifeln und von einer gewissen Orientierungslosigkeit. Cheftrainer Thomas Tuchel, dessen Abgang zum Saisonende bereits feststeht, mag von seiner Natur her etwas missmutig daherkommen, aber in solch einer Verfassung wie aktuell haben wir den eigentlich so smarten Schwaben lange nicht erlebt.
Die Niederlage am Samstagnachmittag in Heidenheim vor 15.000 Zuschauern in der gemütlichen Voith-Arena war ein Rückschlag, den die Bayern in ihrer momentanen Verfassung nur schwerlich verdauen können. Wäre es ein einmaliger Ausrutscher gegen ein konterstarkes Team mit exzellenten Umschaltspielern wie Tim Kleindienst, Jan-Niklas Beste und Eren Dinkçi, könnte man das abhaken. Jedes Top-Team stolpert mal gegen einen Kleinen, außer anscheinend Bayer Leverkusen in dieser Saison.
Aber Bayern war bei der 2:3-Niederlage in Ostwürttemberg wieder einmal derart defensiv anfällig, dass man angesichts dessen eigentlich nicht um Titel mitspielen kann. Nach vorn hin mögen die Bayern hier und da noch überzeugen, auch wenn der viele Ballbesitz vor allem dann in Torchancen umgemünzt wird, wenn die kreativen Spieler mit ihrer Intuition und ihrem Spielverständnis zueinanderfinden. Das tun sie aber nur punktuell oder nicht methodisch. Harry Kane, der 100-Millionen-Euro-Stürmer, macht seine Tore, aber generell gibt es keine oder nur wenige Automatismen in der Bayern-Offensive.
Fehlende Struktur, keine Abläufe: Tuchel und sein Team fremdeln
Doch selbst wenn die Bayern wie in Heidenheim mit zwei Treffern in Front liegen, können sie ein Spiel nicht wie noch vor einigen Jahren verwalten und irgendwann den entscheidenden dritten oder vierten Treffer setzen. Stattdessen lässt sich die Abwehr oder Restverteidigung des Rekordmeisters von langen Bällen, Flanken vom Flügel oder Umschaltangriffen überrumpeln. Die Abstimmung zwischen Dayot Upamecano und Kim Min-jae war wieder einmal mangelhaft. Das zuletzt angestammte Innenverteidiger-Pärchen mit Matthijs de Ligt und Eric Dier kooperiert etwas besser, aber verteidigt trotzdem nicht alles souverän weg.
Über den Autor
Dr. Constantin Eckner ist Sportkommentator, Moderator und Autor. Begonnen hat er einst als Taktikanalyst für das Portal Spielverlagerung.de. Mittlerweile arbeitet er für internationale Sender wie ESPN und BBC sowie in Deutschland für SPORT1 und DAZN. Neben Fußball beschäftigt sich Eckner unter anderem mit American Football, Motorsport und Eishockey und sportpolitischen Fragestellungen.
Doch das dringlichere Problem sind die fehlenden taktischen Strukturen und nicht verinnerlichten Abläufe, sowohl mit Ball im Übergang ins vordere Spielfelddrittel wie auch in der Rückwärtsbewegung. Besonders im Mittelfeld wird mehr auf Verdacht und intuitiv verteidigt, aber das kann gegen gut eingestellte Konterteams wie Heidenheim oder ballsichere Top-Teams wie Arsenal zu wenig sein.
Tuchel wirkt wie ein frustrierter Geographie-Lehrer, der auf die Sommerferien wartet
Bayerns Sportvorstand Max Eberl hat Tuchel für das Spiel gegen Arsenal eine Jobgarantie ausgestellt und zugleich einen größeren Kaderumbruch für den Sommer angekündigt. „Thomas hat unter der Woche alles in den Besprechungsraum gelegt. Wenn dann so etwas von den Spielern zurückkommt, ist das nicht das, was Thomas verdient hat“, sagte Eberl nach dem Spiel in Heidenheim.
Als vor einer Weile bekanntgegeben wurde, dass Tuchel den Verein zum Saisonende verlassen würde, entstand der Eindruck, er könnte nun ohne Rücksicht auf möglichen Missmut bei manchen Stars seine Entscheidungen treffen. Aber seit der Bekanntgabe haben sich Tuchel und das Team allem Anschein nach noch weiter voneinander wegbewegt. Tuchel wirkt nun wie ein unzufriedener Geographie-Lehrer, der nur darauf wartet, dass endlich die Sommerferien anbrechen. Zuvor steht aber ein Ausflug nach London an – es droht eine Blamage.