»Let’s fucking shoot them!« Auf viel Gegenliebe stoßen die klimabewegten Aktivist*innen von Ende Gelände am frühen Samstagmorgen in Gelsenkirchen nicht. Ein Bauarbeiter mit Gewaltphantasien ist genervt, als er das Tor des Kohlekraftwerks Scholven anfährt und sieht, dass die Zufahrt dicht ist. Vor dem Kraftwerkseingang sitzen, stehen und liegen gut 30 Aktivist*innen und blockieren das Tor. Damit die Blockade ein wenig effektiver ist, haben sie ein Tripod mitgebracht. An dem dreibeinigen Gerüst hängt die bekannte Kletteraktivistin Cécile Lecomte. Die Stimmung unter den Aktivist*innen ist gut. Als ein paar Fotograf*innen sich die Blockade anschauen, werden sofort Parolen gegen die Kohleverstromung und für internationale Solidarität gerufen. Auf einem Transparent wird gefordert Energiekonzerne zu vergesellschaften.
Vor knapp einem Monat hatte Uniper einen Rerkodgewinn vermeldet. Eigentlich war der Konzern, dessen Hauptgeschäft der Handel mit Gas ist, im Zuge des Ukraine-Kriegs in die Krise geraten. Der Bund musste mit Milliarden einsteigen, um ihn zu retten. Vor knapp einem Monat meldete das Unternehmen allerdings einen Rekordgewinn von über sechs Milliarden Euro. Zurückzuführen ist das auf den höheren Verbrauch von Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken und die lange Zeit höheren Handelspreise. Das Bündnis Ende Gelände kritisiert diese Entwicklung ausdrücklich. »Täglich verursacht das Kraftwerk Scholven in Gelsenkirchen rund 20 000 Tonnen CO2. Damit trägt der Betreiber Uniper maßgeblich dazu bei, dass sich der Planet so extrem aufheizt, dass ganze Regionen von Überflutungen, Dürren oder Bränden verwüstet und unbewohnbar werden«, erklärt Bündnissprecherin Jule Fink. Statt des Kohleausstiegs habe die Bundesregierung nach Beginn des russischen Angriffskriegs eine »Energiekrise ausgerufen« und etliche Kohlekraftwerke wieder ans Netz geholt oder ihre Laufzeiten verlängert. Derzeit laufen 73 Steinkohlekraftwerke in Deutschland. Ihre Laufzeiten gehen bis ins Jahr 2038. Für Ende Gelände ein Problem. »Schon jetzt sterben hunderttausende Menschen an den Folgen der Klimakrise oder müssen ihre Heimat zu verlassen. Wir stoppen heute die CO2-Emissionen des dreckigen Kohlekraftwerks Scholven und nehmen den Kohleausstieg selbst in die Hand«, begründet Jule Fink die Aktion am Samstag.
Die Blockade der Kraftwerkszufahrt ist nicht die einzige Aktion von Ende Gelände in Gelsenkirchen. Ein paar hundert Meter entfernt sitzen etwa 70 Menschen auf den Schienen, die das Kraftwerk gewöhnlich mit Kohle beliefern. Ein Polizeisprecher kommentiert lakonisch, dass hier heute wohl kein Kohlezug mehr fahren werde. Mehrere Meter lang haben die Aktivist*innen die Gleise rot angemalt, sie wollen damit symbolisch auf die »Blutkohle« aufmerksam machen.
Blutkohle, was meinen die Aktivist*innen damit? In Deutschland wird seit 2018 keine Steinkohle mehr abgebaut. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts knapp 27 Millionen Tonnen Kohle nach Deutschland importiert. Fast fünf Millionen Tonnen stammen aus Kolumbien, wo der Abbau nicht nur Umweltschäden verursacht, sondern auch massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Zehntausende Menschen wurden für den Kohleabbau vertrieben, der Konzern Drumond gab Millionen für Paramilitärs aus. Gewerkschafter*innen und indigene Aktivist*innen wurden im Konflikt um die Kohle umgebracht. Ende Gelände zitiert in einer Pressemitteilung María Fernanda Becerra Muñoz von einer von dem Steinkohleabbau betroffenen afro-kolumbianischen Communitys. Muñoz erklärt: »Es ist Kohle, die mit Blut beschmiert ist, die mit irreparablen Schäden der Ökosysteme einhergeht und die Sozialgefüge so vieler Gemeinden zerstört hat. Als ein Volk Schwarzer Kleinbäuer*innen, Enkelkinder von versklavten Männern und Frauen, werden wir weiterhin Widerstand leisten, um unser Territorium zu verteidigen.«
Die Aktion am Samstag in Gelsenkirchen ist nur ein Symbol. Aber möglicherweise ein wirkungsvolles. Zumindest geht unter den Ende-Gelände-Aktivist*innen das Gerücht um, dass ein Kohlezug, der am Freitag wegen einer Blockade von niederländischen Klimaaktivist*innen den Hafen in Rotterdam nicht verlassen konnte, am Samstag auf dem Weg zum Kraftwerk Scholven wieder steckengeblieben ist. Der Grund dafür – die Gleisblockade.
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