Auch in diesem Jahr hat der grün regierte Bezirk das MyFest abgesagt. Damit sorgt er dafür, dass der 1. Mai immer unpolitischer wird.

Schlagzeuger bei Myfest Straßenfest in Berlin

Politische Initiativen kritisieren die Entpolitisierung durch das MyFest Foto: Monika Skolimowska/dpa

BERLIN taz | Ohne fliegende Steine und Bullen, die Linke durch Reizgas durchflutete Straßen jagten, war der 1.Mai in Kreuzberg früher kein 1. Mai. Dank des MyFest ist er seit Anfang der 2000er vielmehr dann kein 1.Mai mehr, wenn die Lastenrad-fahrenden Yuppies fehlen, die Bionade zischen und Seifenblasen in die Luft pusten.

Ist das schlecht? Obwohl eigentlich alles daran nach „Ja!“ schreit, ist es das nicht. Das MyFest hat mit Anwohner*innenständen, Konzerten und Bühnen dafür gesorgt, dass der Tag der Arbeit in Kreuzberg weniger gewalttätig verlief. Zugleich wurde die politische Dimension durch Ansprachen und unter Einbindung regionaler Gruppen aufrechterhalten. Obwohl politische Initiativen das MyFest seit Jahren wegen vermeintlicher Entpolitisierung kritisieren, ist anzuerkennen, dass durch das Stadtteilfest eine konstruktivere politische Atmosphäre geschaffen wurde, in der Gespräche anstatt von Gewalt im Vordergrund standen.

Diejenigen, die den 1.Mai politischer begehen wollten, hatten außerdem weiterhin die Möglichkeit dazu. Dafür sorgten Antifa-Gruppen und Autonome, die jährlich die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration organisierten sowie Veranstaltungen, wie das Mai-Fest der Linken auf dem Mariannenplatz.

Das MyFest ist für 2024 abgesagt

Problematisch ist also weniger, dass es das MyFest gab. Problematisch ist vielmehr, dass es es nicht mehr gibt. Denn nachdem das Straßenfest seit 2020 drei Jahre lang coronabedingt ausfiel, sagte der grün regierte Bezirk die Veranstaltung nun auch für 2024 ab. Warum? Das weiß keiner so genau. Das Thema im Bezirksparlament zu diskutieren, hält er anscheinend nicht für nötig.

Ohne handfeste Argumente hat der Bezirk, vorneweg Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne), das von An­woh­ne­r*in­nen selbst organisierte Stadtteilfest abmoderiert. Bürokratische Vorwände werden vorgeschoben und den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen vorgeworfen, Anträge und ein Sicherheitskonzept nicht rechtzeitig eingereicht zu haben (obwohl bis einschließlich 2020 immer alle Genehmigungen erteilt worden waren). Zudem sei es zu voll, zu eng, zu laut, äußerte sich Hermann. Die Bür­ge­r*in­nen wünschten sich ein „kleineres und politischeres Format“.

Um die Bür­ge­r*in­nen­be­dürf­nis­se scheint es jedoch beim besten Willen nicht zu gehen. Denn anstatt alternative Formate voranzutreiben, verbringt der Bezirk lieber seine Zeit damit, Bürger*innen, die sich für ein etabliertes Format engagieren, Hürden in den Weg zu legen und damit für ein Ende des beliebten Stadtteilfestes zu sorgen.

Mit der Untergrabung des MyFest sorgt der Bezirk dafür, dass der Tag der Arbeit immer weniger mit dem zu tun hat, wofür er ursprünglich stand. Es wird politische Teilhabe minimiert und durch ein Saufgelage ersetzt. Und eins steht fest: Ob MyFest oder nicht, die Ber­li­ne­r*in­nen werden sich ihre Caipis am 1.Mai nicht nehmen lassen. In diesem Sinne wären die Grünen gut beraten die Feiernden in ihrem Rausch wenigstens von politischen Reden begleiten zu lassen.



Source link www.taz.de