Die Haltung von Karl Lauterbach war eindeutig: „Ein klares Nein“, „inakzeptabel“, eine „unerträgliche Bevormundung der Ärzte“, schimpfte er 2016 in der Zeit der großen Koalition in seiner Funktion als SPD-Gesundheitsexperte. Damals wollte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Pharmafirmen die Möglichkeit einräumen, die mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandelten Preise für neue Medikamente geheim zu halten.

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Nun, als Gesundheitsminister einer Ampelregierung, plant Lauterbach genau das – zum Erstaunen der gesamten Branche. Einiges deutet sogar darauf hin, dass es bei dem Vorhaben um etwas geht, was es in Deutschland eigentlich nicht geben dürfte: Ein Gesetz, das vor allem die Wünsche eines einzigen Unternehmens erfüllt. „Lex Lilly“ wird die geplante Gesetzesänderung in der Gesundheitsszene genannt. Gemeint ist der US-Pharmariese Eli Lilly, der in Deutschland stark investiert und im Milliardenmarkt für Abnehmspritzen mitmischt.

Kassen befürchten bis zu 30 Milliarden Euro Mehrkosten im Jahr

Aber der Reihe nach: In Deutschland können die Pharmafirmen nach der Zulassung eines neuen, patentgeschützten Medikaments zunächst jeden beliebigen Preis von den gesetzlichen Krankenkassen verlangen. Erst Monate später beginnen Verhandlungen mit den Kassen, bei denen ein Preis in Abhängigkeit vom Nutzen des Präparats festgelegt wird – rückwirkend ab dem 7. Monat nach der Marktzulassung.

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Dieser sogenannte Erstattungspreis ist öffentlich bekannt und wird in vielen anderen Ländern weltweit als Referenz für die eigene Preisgestaltung genutzt. Deshalb gab es schon bei der Einführung dieses Verfahrens vor über zehn Jahren die Forderung der Pharmaindustrie, die Preise geheim zu halten. Das damalige Argument der Industrie – und jetzt auch das von Lauterbach: Bei vertraulichen Preisen seien die Unternehmen zu höheren Rabatten bereit, weil sich der Preisnachlass dann nicht mehr in einer Vielzahl weiterer Staaten auswirke.

Es gibt aber auch zahlreiche Gegenargumente. So rechnet der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen perspektivisch mit Mehrkosten von bis zu 30 Milliarden Euro im Jahr, wie aus einer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegenden Berechnung hervorgeht. Das Argument: Wenn die Preise nicht bekannt sind, würden Ärztinnen und Ärzte wieder verstärkt die patentgeschützten, teuren Originalpräparate verschreiben, statt preisgünstige Nachahmerprodukte zu verordnen.

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Selbst der Pharmaverband hatte das Thema nicht mehr auf der Agenda

Die ungeklärte Kostenfrage beschäftigt auch die Union. Die vertraulichen Erstattungsbeträge bei Arzneimitteln müssten im Hinblick auf die Folgen für die Beitragszahler diskutiert werden, forderte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge. „Es ist erstaunlich, dass Minister Lauterbach anstelle eines Gesamtkonzeptes immer neue Ankündigungen in den Raum stellt, die sich unmittelbar auf die Finanzen der Krankenkassen auswirken“, sagte er dem RND.

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Auch die Grünen äußern Vorbehalte. Eine Regelung, die zu deutlich höheren Arzneimittelpreisen im restlichen Europa führe, sei nicht im Interesse Deutschlands, denn es bestehe die Gefahr, „den europäischen Zusammenhalt zu beschädigen“, warnte die Gesundheitspolitikerin Paula Piechotta.

Dass die Geheimhaltungsregelung dennoch plötzlich in Lauterbachs Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz auftauchte, wunderte dem Vernehmen nach selbst den Pharmaverband vfa. Er hatte die Vertraulichkeit seit einiger Zeit gar nicht mehr weit oben in seinem Forderungskatalog, offenbar, weil sich die Pharmafirmen mittlerweile mit verschiedenen Strategien auf das Preisregime eingestellt haben.

Eli Lilly schafft 1000 neue Jobs in Alzey

Nun aber kommt Eli Lilly ins Spiel. Bei dem Unternehmen gibt es eine Besonderheit: Die neue Abnehmspritze des Herstellers namens „Zepbound“ ist hinsichtlich des Wirkstoffs und der Zusammensetzung identisch mit dem Diabetes-Medikament „Mounjaro“ des Konzerns. Das Abnehmmittel wird als „Lifestyle-Medikament“ nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, deshalb gibt es hierfür keine Preisverhandlungen. Aber für das Diabetes-Medikament muss mit den Kassen noch ein Preis vereinbart werden. Wenn dieser nun vergleichsweise niedrig und öffentlich bekannt wird, dürfte es für Lilly schwer sein, für das Abnehmpräparat ein Zigfaches zu verlangen – was unter anderen Umständen aufgrund der hohen Nachfrage möglich wäre. Der Ausweg: Der mit den Kassen verhandelte Preis bleibt geheim.

Lilly ist wichtig für Deutschland. Der Konzern will 2,3 Milliarden Euro in eine Fabrik im rheinland-pfälzischen Alzey investieren und 1000 Jobs schaffen. Dort soll auch der Wirkstoff für das Diabetes-Medikament beziehungsweise die Abnehmspritze hergestellt werden.

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Lauterbach selbst gab kürzlich einen Hinweis darauf, dass es zwischen dem Engagement von Lilly und der geplanten Gesetzesänderung durchaus einen Zusammenhang gibt. Er nannte zwar nicht explizit die Geheimhaltungsregelung, sagte aber: „Schon im Vorfeld des Gesetzes hat es in Erwartung des Gesetzes wesentliche Investitionen durch die Arzneimittelindustrie gegeben.“ Und dann zählte er mehrere Unternehmen auf. Gleich an erster Stelle nannte er: Eli Lilly.



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