Hannover. Lange Zeit war nicht ganz klar, was Stefan Raab da wirklich plant. Ist sein angebliches Comeback nur ein Aprilscherz? Kommt es im September tatsächlich zu einem neuen Kampf zwischen dem TV-Entertainer und Box-Legende Regina Halmich? Oder ist etwas völlig anderes in Planung? Inzwischen scheint die Sache klar: Auf der Plattform Eventim gibt es nun Tickets für den Raab-Boxkampf. Das Event soll in Düsseldorf stattfinden – die Ankündigung war offenbar kein Scherz.

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65 Millionen Mal wurde allein das erste Comeback-Video aufgerufen, das der Entertainer vergangene Woche auf seinem Instagram-Profil veröffentlicht hatte – 32.000 Mal wurde es kommentiert. Darunter finden sich zahlreiche begeisterte Posts von Fans, von Promis, von Influencern und Rappern, von Schuhherstellern und Autobauern – und von der Polizei Hannover. Auch Niclas M., der als „Anzeigenhauptmeister“ zum Internetphänomen wurde, taucht in einem bizarren Ankündigungsvideo auf. Manch einer glaubte zwischenzeitlich, Raab habe seine Figur nur erfunden, um die gesamte Medienlandschaft an der Nase herumzuführen.

Stefan Raab allerdings scheint sich wirklich wieder nach der Aufmerksamkeit seines Publikums zu sehnen. Fast zehn Jahre nach seinem Rückzug von der Bühne, baut der TV-Entertainer ganz gezielt einen Hype um seine eigene Person auf, inszeniert sich als Legende – und alle spielen mit. Die Frage ist nur: Romantisieren wir sein Schaffen nicht ein bisschen zu sehr? Und muss so ein Raab-Comeback jetzt wirklich sein?

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Große TV-Unterhaltung

Ohne Frage: Was Stefan Raab für die deutsche TV-Landschaft getan hat, ist beispiellos. Und sein Publikum schwärmt dieser Tage zurecht in den Kommentarspalten über die vielen schönen Fernsehmomente.

Da waren die wunderbaren Stunden mit Raab als ESC-Revoluzzer: Als er mit Guido Horn oder seinem Hit „Wadde hadde dudde da?“ die schnarchigen deutschen Beiträge aufmischte, waren das echte Fernseh-Highlights – und als er mit Lena Meyer-Landruth schließlich den Sieg holte, erst recht. Auch die darauffolgende ESC-Show aus Düsseldorf zusammen mit Anke Engelke und Judith Rakers war legendär.

Legendäre Momente: Raab vor 25 Jahren beim Grand Prix mit Guildo Horn.

Legendäre Momente: Raab vor 25 Jahren beim Grand Prix mit Guildo Horn.

Raabs Late-Night-Show „TV Total“ war für Millionen junge Menschen ein tagtägliches Gesprächsthema auf dem Schulhof. Etwa, wenn Raab mit Extrakten aus dem Hörbuch von Dieter Bohlen beim Pizzaservice anrief und sich „Hühner und Äpfel und Birnen“ bestellte. Wiederkehrende Bohlen-Sprüche wie „Tschüss du Betrüger“ wurden zu Running-Gags – genauso wie Raabs „Nippelbord“ inklusive des „Schgucke“-Mannes. Rubriken wie „Raab in Gefahr“, Telefonstreiche und Straßenumfragen waren über viele Jahre hinweg ein ganz großer Spaß.

Raab-Shows waren stets frischer Wind in der oft angestaubten TV-Branche – und kaum jemand bekam unterhaltsames Fernsehen so gut hin wie er. Seine Samstagabend-Shows hatten Lagerfeuer-Feeling, wie es sonst nur „Wetten, dass…?“ und Thomas Gottschalk schafften. Selbst das Aufkommen von sozialen Medien und On-Demand-Angeboten konnten dem Hype lange Zeit nichts anhaben: Wenn Samstagabend „Schlag den Raab“ lief, schrieben sich Menschen auf der früheren Plattform Twitter die Finger wund und kommentierten das Geschehen im „Second Screen“.

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Witze über Privatpersonen, jahrelanges Mobbing

Was in all der Nostalgie allerdings manchmal etwas untergeht: Raab hat auch viele Dinge getan, die als mindestens schwierig einzuordnen sind. Und das nicht nur rückblickend – auch damals schon wurde der Entertainer immer wieder dafür kritisiert. Typischer Raab-Humor war zwar stets von viel Selbstironie geprägt – vor allem bestand er aber aus der Verballhornung anderer. Und nicht zuletzt Privatpersonen, die gar nicht derart ins Rampenlicht wollten, waren davon oft betroffen.

2001 etwa machte sich Raab über den Nachnamen der damals erst 16-jährigen Model-Kandidatin Lisa Loch lustig. Mehrfach folgten in seiner Sendung „TV Total“ herablassende und anzügliche Witze – einmal etwa zeigte Raab ein Wahlplakat der fiktiven „Lisa-Loch-Partei“, auf dem ein kopulierendes Paar abgebildet war. Was andere zum Lachen brachte, hatte für die Schülerin erhebliche Folgen.

Jahrelang habe sie unter Mobbing gelitten, zudem sei in der Öffentlichkeit auf sie gezeigt worden. Loch habe obszöne Anrufe erhalten und sei auf offener Straße beleidigt und mit Spottgesängen verhöhnt worden. Schließlich habe die Schülerin sogar eine Psychotherapie machen müssen. Von all dem erzählte Loch später in einem Gerichtsprozess. Das Oberlandesgericht Hamm urteilte damals, Raab habe durch die öffentliche Verunglimpfung ihr Persönlichkeitsrecht schwer verletzt – dem jungen Model wurden 70.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Laut Aussage Lochs in späteren Interviews habe sich Raab bis heute nicht bei ihr für die Entgleisungen entschuldigt.

Der Maschendrahtzaun und seine Folgen

Der Fall mag eine alte Kamelle sein, doch Fälle wie diese hatten in Raabs Comedy-Kosmos System. Regina Zindler, deren Nachbarschaftsstreit um einen Maschendrahtzaun bei Barbara Salesch gezeigt wurde, erlebte 1999 einen „Shitstorm“, noch lange bevor es überhaupt soziale Medien gab. Grund war sicherlich die Verantwortungslosigkeit der Boulevardmedien, die den Nachbarschaftsstreit wochenlang zum Schmunzelthema machten – aber eben auch Raab, der die Privatperson über Wochen hinweg in die Öffentlichkeit zerrte.

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Er hat viele Menschen durch den Dreck gezogen, uns auch.

Regina Zindler

wurde von Raab öffentlich verhöhnt

Der „Maschen-Draht-Zaun“ ist heute ein herrlich nostalgischer Retro-Hit, der für die „guten alten Zeiten“ steht, und an den man sich gerne zurück erinnert. Für Regina Zindler aber war er eine Katastrophe.

TV-Sender und Fernsehzuschauer belagerten dauerhaft das Haus Zindlers. Die TV-Protagonistin verkaufte ihr Grundstück schließlich und zog um. Auch sie habe eine große psychischen Belastung erfahren, erzählte sie später Medien. Stefan Raab hingegen habe sich „nie für uns interessiert, nie gefragt, wie es uns geht“, sagt sie. „Er hat viele Menschen durch den Dreck gezogen, uns auch“, sagte sie einmal der „Bild“-Zeitung.

Ein fader Beigeschmack bleibt

Nichts zuletzt standen auch immer wieder Minderheiten im Fokus von Raabs Witzen. Kaum eine „TV Total“-Sendung ging etwa über den Äther, in der Raab nicht schwule Männer betont tuntig nachäffte und sie als größtmögliche Witzfiguren brandmarkte.

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Ein Video aus der Reihe „Raab in Gefahr“ ist noch heute auf der Plattform Youtube zu finden – es hat 1,1 Millionen Aufrufe. Darin besucht der Entertainer ein schwul-lesbisches Fußballturnier, äfft Spieler und Linienrichter nach, und fragt Sanitäter, ob sich die Spieler denn schon eine „Rosettenzerrung“ zugezogen hätten. Einem älteren Herren unterstellt Raab, er stehe ja nur am Spielfeldrand, um den Jungs mal „an den Popo zu packen“. Diese Form der Unterhaltung dürfte in den 2000er Jahren eine ganze Generation von jungen Schwulen und Lesben um ihr Coming-Out gebracht haben – sie wurden im Fernsehen praktisch dauerhaft als Witzfigur dargestellt.

All das ist lange her, die Zeiten waren andere – und es liegt nahe, dass Raab solche Sendungen wohl heute nicht mehr produzieren würde. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass Raab eben nicht nur der freche Witzbold von Pro Sieben war oder die „TV-Legende“, als die er heute oft bezeichnet wird. Raab hat mit seiner Arbeit auch auch ganz gezielt Menschen geschadet, und das immer wieder – das muss bei allem Nostalgiegefühl schon mitgedacht werden.

Der gelangweilte Entertainer

Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum ein Raab-Comeback nicht mehr ganz in die Zeit passt. Viele denken völlig zu recht gerne an die hochkreativen Formate der Entertainers zurück, in denen manchmal Prominente in Woks eine Bobbahn herunterfuhren und mal mit Autos Fußball spielten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Gerade in den letzten Jahren von Raabs Karriere blieben solche Highlights immer öfter aus.

Raabs Late-Night „TV Total“ wurde mit der Zeit zu einer Art Abfallprodukt, das nur noch zur Promotion seiner großen Shows diente, an denen irgendwann aber auch der Zahn der Zeit nagte. Raab wirkte in Sendungen oft gelangweilt und bereitete sich nicht einmal mehr auf seine Interviewgäste vor.

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Einmal veräppelte auch der junge Jan Böhmermann den Entertainer und legte ihn mit einem erfundenen China-Klau seiner Rubrik „Blamieren oder Kassieren“ rein. Die Aktion leitete den Anfang vom Ende ein – und verdeutlichte zur gut genug, wie lustlos Raab inzwischen geworden war.

Auch die Jahre nach seinem Ende vor der Kamera waren nicht gerade von außergewöhnlichen Show-Highlights geprägt. Raab produzierte etwa die Erfindershow „Das Ding des Jahres“, eine Art „Höhle der Löwen“-Abklatsch, der gerade einmal zwei Staffeln überlebte. Oder „Täglich frisch geröstet“ mit Influencer Knossi – eine schlechtere Version von „TV Total“, die zwischenzeitlich ebenfalls eingestellt wurde. Auch vom „Free European Song Contest“ (die Show gab es mal ganz ähnlich als „Bundesvision Song Contest“), hört man seit 2022 auch nicht mehr viel.

Raab-Nachfolger Pufpaff: Fernsehen wie vor 20 Jahren, mehr nicht.

Raab-Nachfolger Pufpaff: Fernsehen wie vor 20 Jahren, mehr nicht.

Weitere Raab-Shows, die immer wieder mal auftauchen, basieren auf dem, was längst schon da war – neue Ideen sieht man hier selten. „TV Total“ kehrte mit Sebastian Pufpaff zurück zu Pro Sieben, das „Turmspringen“ wurde für RTL neu aufgelegt – ebenso die frühere „TV Total“-Rubrik „Blamieren oder Kassieren“. Und seit 2022 ist auch noch die „TV Total“-Wok-WM zurück auf den Fernsehbildschirmen. Es ist Fernsehen wie vor 20 Jahren – mehr aber auch nicht.

Und wenn man es ganz genau nimmt, ist selbst Raabs Comeback-Ankündigung nicht sonderlich kreativ. Es gehört heute zum Standard-Repertoire eines jeden Influencers und einer jeden Influencerin, mit mysteriösen Ankündigungsvideos auf Social Media das Publikum zu verwirren, um dann die ganz große Bombe platze zu lassen. Zuletzt veräppelte etwa die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim die Medienlandschaft, um Publicity für ihre Fernsehshow zu generieren. Mysteriöse Ankündigungsvideos sind eine inzwischen abgedroschene Promomasche – haben mit kreativem Entertainment aber wenig zu tun.

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Neue Produktionsfirma

Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja auch ganz anders. Gerade erst hat Stefan Raab mit Ex-Pro-Sieben-Chef Daniel Rosemann eine neue Produktionsfirma namens Raab Entertainment gegründet, mit der er für den Sender RTL unter anderem eine EM-Sendung produzieren will. Von seinem bisherigen Kooperationspartner Brainpool hatte sich der Showmaster 2023 getrennt. Die Zeichen stehen also durchaus auf Neuanfang – und vielleicht fließen dann auch wieder die Ideen.

Was genau auf den Boxkampf folgt, ist bislang nicht ganz klar – geschweige denn, ob der Kampf überhaupt im Fernsehen ausgestrahlt wird. Auf Raabs Cappy, die im Instagram-Promovideo zu sehen ist, steht allerdings der ominöse Schriftzug „NWSDWH“. Es könnte der Hinweis auf eine neue Fernsehshow sein.

Sollte Raab tatsächlich wieder vor die Fernsehkameras treten, wird das auf jeden Fall kein leichtes Unterfangen. Trotz aller Kontroversen hat sich Raab in den vergangenen Jahrzehnten das Prädikat „TV-Legende“ erarbeitet. Seine neuen Projekte werden zeigen, ob er das auch bleibt – oder ob nicht der „Aprilscherz“ die bessere Wahl gewesen wäre.



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