Im niedersächsischen Gorleben hat der Abriss des Endlager-Bergwerks begonnen. Es soll mit 400.000 Tonnen Salz zugeschüttet werden.

„Gorleben soll leben“ steht auf dem Reststück einer Mauer, die das Gelände des ehemaligen Erkundungsbergwerks umschloss Foto: dpa

GORLEBEN taz | Über Jahrzehnte wurde der unterirdische Salzstock im niedersächsischen Gorleben als einziger Standort auf seine Eignung als Endlager für hochradioaktive Abfälle geprüft. Über Jahrzehnte entstand dort – wie führende Behördenvertreter wie der Chef des Atommüllbundesamtes BASE, Wolfram König, später einräumten – unter dem Deckmantel der Erkundung ein fast fertiges Endlager. Und über Jahrzehnte prägten mehrere miteinander verbundene weiße Gebäudekomplexe, der Förderturm und die Verladeanlage, das Bergwerk im Gorlebener Wald.

Es ist neblig an diesem Vormittag Anfang März. Doch unschwer lässt sich erkennen, wie sehr sich die Silhouette des Bergwerks in den vergangenen Wochen verändert hat. Die Verladeanlage ist verschwunden, sie wurde mitsamt dem brückenähnlichen Übergang zum Turm abgebrochen.

Der Grund: Gorleben schied aus den von Atomkraftgegnern immer wieder vorgebrachten geologischen Gründen aus dem Suchverfahren für ein Endlager aus. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Betreiberin des Gorlebener Bergwerks, reißt deshalb die oberirdischen Anlagen Stück für Stück ab, baut die Infrastruktur unter Tage ab und will anschließend die Grube mit Salz zuschütten.

In dem Vergabeverfahren für die Verfüllung des Bergwerks hat sich eine Bietergemeinschaft aus dem Ruhrgebiet durchgesetzt. An ihr sind die Firmen Redpath Deilmann aus Dortmund und Thyssen Schachtbau aus Mülheim an der Ruhr beteiligt. Die Aufgabe an die Auftragnehmer ist klar: Sie sollen das auf der nahegelegenen Halde lagernde Salz wieder unter die Erde bringen. Kein leichtes Unterfangen.

Atomkraftgegner fordern, dass beim Rückbau der Naturschutz berücksichtigt wird

Die Hohlräume des Bergwerkes wurden überwiegend durch Sprengungen geschaffen. Das so zerkleinerte Steinsalz brachten Bergleute an die Oberfläche und lagerten es auf der Halde ab. Im Lauf der Zeit hat sich das Material jedoch verdichtet, durch den Einfluss der Witterung ist es wieder steinhart geworden. Es lässt sich nur noch mit Fräsen lösen und transportfähig machen.

Die Arbeiten könnten beginnen, sobald die bergrechtlichen Genehmigungen vorliegen, sagt BGE-Sprecherin Monika Hotopp. Die ersten 100.000 Tonnen Salz könnten noch in diesem Jahr nach unter Tage gebracht werden. Insgesamt lagern auf der Gorlebener Halde rund 400.000 Tonnen Steinsalz. „Die markante Salzhalde wird nach und nach verschwinden und das Erkundungsbergwerk Schritt für Schritt verfüllt“, erläutert der technische Geschäftsführer der BGE, Thomas Lautsch. Nach Verfüllung der Gruben und Stollen sollen die beiden ins Erdreich getriebenen Schächte über einen weiteren noch auszuschreibenden Bauauftrag zugeschüttet werden.

Zu den vorbereitenden Arbeiten gehört auch die Bergung und der Abtransport von Material aus dem Bergwerk. „Es befinden sich noch rund 1.100 Tonnen Anlagen, Systeme und Komponenten unter Tage“, sagt Torsten Rabe, der BGE-Standort- und Projektleiter Gorleben. Dabei handele es sich etwa um die Lüfteranlage, Tankanlagen, Stahleinbauten und den Deckenkran der Werkstatt: „Was über Tage nicht mehr veräußert werden kann, wird von Verwertungsbetrieben entsorgt.“ In drei Jahren soll das gesamte Rückbauprojekt Gorleben beendet sein, schätzt die BGE.

Naturschutzbelange sollen berücksichtigt werden

Für Wolfgang Ehmke, den langjährigen Sprecher und Frontmann der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, ist es „eine wirklich gute Nachricht“, dass das Bergwerk zugeschüttet werden soll. Die Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen hatten dies immer wieder verlangt, seit der Gorlebener Salzstock im Jahr 2020 aus dem neu aufgerollten Suchverfahren für ein Atommüllendlager flog. Nur so lasse sich verhindern, dass noch einmal auf den Salzstock zurückgegriffen werde, falls die Suche stocke. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere Unionspolitiker fordern ohnehin, dass Gorleben zu Ende untersucht und dann auch als Atommüllkippe genutzt werden soll.

BI-Sprecher Ehmke verlangt, dass beim Rückbau des Bergwerks auch Naturschutzbelange berücksichtigt werden müssten. „Wir haben vorsorglich der BGE einen entsprechenden Katalog schützenswerter Flora und Fauna zukommen lassen“, sagt er. Wünschenswert sei überdies der dauerhafte Erhalt eines Mauerteils, der beim – bereits erfolgten – Abriss der Überwachungsanlagen stehen blieb. „Dieser Mauerrest mit den Graffiti, die von der bewegten Geschichte des Gorleben-Widerstandes zeugen, muss ein Denkmal für die industriepolitische Fehlentwicklung des letzten Jahrhunderts werden.“

Schließlich bleibe nach der Abschaltung der Atomkraftwerke der Müll. Die Suche nach einem Endlager werde sich noch Jahrzehnte hinziehen, für die Zwischenlagerung der hochradioaktiven Abfälle müsse inzwischen mit 100 Jahren gerechnet werden: „Drei Generationen haben von Atomstrom profitiert, 30.000 Generationen dürfen sich mit den Folgen herumschlagen“, betont Ehmke. Ihre traditionellen Sonntagsspaziergänge an den Gorlebener Atomanlagen und am Bergwerk wollen die Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen aus dem Wendland bis zum Ende des Rückbaus fortsetzen.



Source link www.taz.de