Matthias Nawrat ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Literatur. Dabei verfügt er über keinen zu höchster Brillanz geschliffenen Stil, hat keine gigantomanen Romane geschrieben, trotz seiner polnischen Herkunft gibt es in seinen Texten keine sorgsam kultivierten Identitätskomponenten, die brandaktuelle Themen beglaubigen könnten, und auch keine expressiven Formexperimente. Warum ist also gerade dieser Schriftsteller besonders? Was macht den Reiz seiner Bücher aus?

Beinahe wie ein Mann ohne Eigenschaften bewegt sich Nawrat gut integriert durch die hiesige Literaturlandschaft, und vielleicht ist gerade das sein Selbstbehauptungstrick, sein Schlüssel zu einer inneren Unabhängigkeit, die seine Texte vom Flimmern der zahllosen Gegenwartszeugnisse abhebt. Sie sind nahezu frei von Prätention, offen für die Alltagserfahrung, genau gestaltet. Und stets von Bewegung durch den Raum geprägt. Ein leicht nervöser Beobachtungsdrang scheint ihren Nährboden zu bilden. Schon die als Romane betitelten Veröffentlichungen Der traurige Gast (2019) und Reise nach Maine (2021) waren eigentlich genrefluide: nah an der persönlichen Erfahrung gebaut, aber alles andere als Memoirs; gleichwohl zu nüchtern-dokumentarisch, um als lupenreine Fiktion durchzugehen. Gerade aus diesem Dazwischen erwuchs eine eigentümliche Spannung, und man schenkte jedem Satz volle Aufmerksamkeit.



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