München – Es könnte auch der Workshopraum für einen Baristakurs sein oder der Meetingraum einer kleinen Kreativagentur. Ist es aber nicht. Zu Mia Fleischer kommen Menschen, die den Partner, die Mutter oder das eigene Baby verloren haben. An der langen Holztafel mit der hellen Tischplatte werden Abschiedsfeiern geplant und die Art der Bestattung festgelegt. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Schmerz noch sehr frisch ist. Dazu brauche man nicht noch düstere, kalte Räume, sagt Mia Fleischer.

Die 21-Jährige hat sich mit dem Büro, mit einem separaten Raum für Trauerfeiern, ihren Zukunftswunsch erfüllt. Dass sie Bestatterin werden wollte, habe sie direkt nach ihrem ersten Tag im Praktikum gewusst. Sechs Jahre später hat sie mit “Vita Nova” ihr eigenes Unternehmen gegründet. Sie organisiert den Transport von Verstorbenen, die Einäscherung, plant mit den Angehörigen die Abschiedsfeier und kümmert sich um die Bürokratie, wie um den Bescheid an die Rentenkasse und Versicherungen.

Mia Fleischer ist Münchens jüngste Bestatterin.
Mia Fleischer ist Münchens jüngste Bestatterin.
© Bernd Wackerbauer
Mia Fleischer ist Münchens jüngste Bestatterin.

von Bernd Wackerbauer

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Tabuthema Tod und Sterben: Eine 21-Jährige aus München macht sich als Bestatterin selbstständig

Aber das ist nur der Rahmen: “Mir geht es darum, dass Angehörige ihre Verstorbenen so persönlich und liebevoll wie möglich verabschieden können.” Deshalb bietet sie Familien auch an, die Verstorbenen gemeinsam zu waschen und für die Beerdigung anzukleiden. “Je nach Person können solche Rituale wichtig sein, um wirklich zu begreifen”, sagt die Bestatterin.

Das Abholen zuhause oder im Krankenhaus machen die “Jungs” – wie Mia Fleischer sie nennt. Ein Subunternehmen, auch Bestatter, die für sie die Überführung übernehmen und die verstorbenen Personen in ihre Kühlung bringen oder später zum Krematorium.

Die Gestaltung kann wie bei dieser Kinderurne ganz individuell sein, auch Urnen zum Selbstbemalen sind möglich.
Die Gestaltung kann wie bei dieser Kinderurne ganz individuell sein, auch Urnen zum Selbstbemalen sind möglich.
© Bernd Wackerbauer
Die Gestaltung kann wie bei dieser Kinderurne ganz individuell sein, auch Urnen zum Selbstbemalen sind möglich.

von Bernd Wackerbauer

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In ihrer Ausbildung in einem fränkischen Betrieb hat Mia Fleischer alle Aspekte des Berufs gelernt und ist auch selbst mit rausgefahren. Aber warum will eine junge Frau unter 20 ausgerechnet Bestatterin werden? “Das war eigentlich ein irrer Zufall”, sagt sie. Ihre Mutter habe das im Scherz gesagt, als sie auf der Suche nach einem ersten Praktikum war. Aber als sie weiter recherchierte, interessierte sie der Beruf wirklich. Mit 14 machte sie ihr erstes Praktikum in Aschaffenburg.

“Mir hat es richtig gut gefallen”, sagt Mia Fleischer, “natürlich nicht, dass da jemand gestorben war, aber weil man in so einer extremen Situation helfen kann.” Das Einfühlungsvermögen für Angehörige muss sie nicht künstlich herstellen. Mit 17 Jahren hat sie ihren Vater wegen einer Krebserkrankung verloren. “Ich hätte mir damals manches anders gewünscht, persönlicher und wärmer”, sagt sie.

Neue Ansätze im Bestattungswesen: Münchnerin bietet andere Formen der Beerdigung an

Also können Angehörige in Mia Fleischers Räumen heute Urnen selbst bemalen und Eltern ihre verstorbenen Babys vom Krankenhaus noch einmal im Kühlbettchen mit nach Hause nehmen, um sich in Ruhe zu verabschieden. Für die Trauergespräche fährt Mia Fleischer auch zu den Angehörigen nach Hause, wenn sie das wollen. Auf den Abschiedsfeiern arbeitet sie mit einer freiberuflichen Trau- und Trauerrednerin zusammen. “Das ist nicht nur so ein Heruntergeratter vom Lebenslauf. Bei Melissas Reden habe ich das Gefühl danach wirklich zu wissen, was das für ein Mensch war.”

Bei den Abschiedsfeiern sei alles möglich, Musiker, eigene Blumendekoration, Luftballons, Kerzenrituale, wo jeder noch mal sagen kann, welchen glücklichen Moment er mit dem Verstorbenen gerade präsent hat. Es darf auch gelacht und gescherzt werden, sagt Mia Fleischer. Darum zu trauern, dass jemand weg ist, sei das eine. “Aber wir feiern ja auch ein ganzes Leben”, sagt Fleischer. Manche Feiern seien so berührend, dass ihr selbst die Tränen kommen. “Aber ich erlaube mir das dann auch.”

Die Trauergespräche finden meist in den hellen angemieteten Räumen im Lehel statt. Bereit stehen Kaffee, Süßigkeiten und eine brennende Kerze.
Die Trauergespräche finden meist in den hellen angemieteten Räumen im Lehel statt. Bereit stehen Kaffee, Süßigkeiten und eine brennende Kerze.
© Bernd Wackerbauer
Die Trauergespräche finden meist in den hellen angemieteten Räumen im Lehel statt. Bereit stehen Kaffee, Süßigkeiten und eine brennende Kerze.

von Bernd Wackerbauer

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Trauerarbeit: Für jeden Menschen gibt es eine andere Art, damit umzugehen

Es gehört mit zu ihrem Ansatz, dass es möglichst natürlich und familiär sein soll. Sie habe auch schon eine Familie begleitet, die Bier auf den Sarg gießen wollte, statt Blumen oder Erde. “Wir haben nur einen Abschied, alles was zur Trauerbewältigung hilft, ist gut.” Aber nicht alles ist erlaubt. In Deutschland herrscht bisweilen Friedhofspflicht. Es ist daher nicht möglich, lose Asche auf Wiesen, Bergen oder in Wäldern zu verstreuen. Doch wenn Ländergrenzen für die Angehörigen nicht entscheidend sind, dann kann Mia Fleischer eine Überführung der Urne in die Schweiz organisieren. Dort sind Almwiesen-Bestattungen erlaubt.

Heute würde das Thema Tod und Sterben stark tabuisiert, sagt die junge Bestatterin. Die meisten Menschen, die zum ersten Mal einen nahen Angehörigen verlieren, wissen vorher wenig, was auf sie zukommt. Aber warum wird gerade in einer aufgeklärten Gesellschaft immer weniger über Tod und Trauer gesprochen? “Ich glaube, weil Menschen heute so große Angst vor dem Tod und ihrer eigenen Vergänglichkeit haben”, sagt Fleischer. “Alles was sie damit in Berührung bringt, drängen sie weg.”

Früher, als die gesundheitliche Versorgung schlechter war und Krieg und Krisen regelmäßiger, sei der Umgang “normaler” und in Familien präsenter gewesen. Für ihre Vorstellung eines zeitgemäßen Bestattungsunternehmens riskiert die 21-Jährige viel. “Ich hatte zuvor auch einige Absagen kassiert.” Dann fand sie die Bank, die ihr Konzept “Bestattungskultur mit Herz und Hand” schlüssig fand und ihr den nötigen Kredit gewährte. Als Frau ist sie im Bestattungswesen nun in der Minderheit. Und stellt bereits jetzt den nüchtern-professionellen Berufsethos der Branche in Frage.





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