Gebannt starren die drei Chinesen auf den Fernseher, der im Shaanxi-Gildenhaus in Chengdu neben der Bühne steht, und das obwohl um sie herum gerade der “Bayerische Abend” tobt, mit Blasmusik, frisch gezapftem Hofbräu-Bier und fettigem Schweinefleisch, das ja in beiden Kulturen in großen Mengen verzehrt wird. Zuerst vermutet man eine Fußball-Übertragung, doch dann stellt sich heraus: Die drei TV-Zuschauer sind einfach ultra-ambitionierte Studenten der Bavaristik – es läuft das Ochsenrennen aus Franz Xaver Bogners Kultserie “Irgendwie und sowieso”. Auch in Chengdu geht Sir Quickly auf Ringo als Erster durchs Ziel.

Vier Tage hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in China verbracht, am Donnerstagabend ist seine Delegation wieder in München gelandet, und man kann schon festhalten, dass die bayerische Leitkultur bei den Chinesen enorme Durchschlagskraft besitzt. Das merkt man zum Beispiel bei einem festlichen Mittagessen, das der Gouverneur der Provinz Sichuan und der dortige Sekretär der Kommunistischen Partei (großer Sisi-Fan übrigens) für Söder geben. Die Entourage der Gastgeber ist zunächst erfolgreich um unbewegte Mienen bemüht, aber das Konzept kommt an sein Ende, als ihr Gast sie zu einem Besuch auf der Wiesn einlädt. Lächeln, Nicken. Alle Dämme brechen, als Söder auch noch die Vorab-Verschickung eines bayerischen Bierfasses avisiert.

Auf einer atmosphärischen Ebene darf Söder seine Expedition zweifellos für sehr gelungen halten; deutsche Diplomaten vor Ort sagen, ein solch privilegierter Empfang, wie er dem CSU-Chef mit roten Teppichen und für seine Wagenkolonne gesperrten Straßen zuteil wird, sei ihnen auf der Ebene Ministerpräsident noch nie untergekommen. Eine faire politische Bilanz ist schon etwas schwerer zu ziehen.

Die mitreisenden Journalisten können ja nicht dabei sein, wenn Söder (“hohe Auszeichnung”) etwa mit dem chinesischen Premierminister Li Qiang zusammensitzt, dem zweiten Mann im Staat. Die aus Deutschland gewohnten gemeinsamen Pressestatements danach sind in China nicht üblich. Man ist auf Söders persönliche Erlebnisberichte angewiesen, die naturgemäß stets einen sehr souveränen bayerischen Ministerpräsidenten zum Hauptdarsteller haben. Söder versichert zum Beispiel ohne mit der Wimper zu zucken, Li Qiang (Regierungsschef von 1,4 Milliarden Chinesen) und er (Regierungschef von 13 Millionen Bayern) hätten “auf Augenhöhe” miteinander geredet.

“Pluspunkt für die nächste Bundeskanzlerwahl”

Das Presseecho auf Söders China-Reise ist jedenfalls hervorragend – misslicherweise in China noch deutlich hervorragender als in Deutschland. Die große Tageszeitung Global Times leitartikelt beinahe erleichtert, dass es “in Deutschland noch einsichtige Politiker gibt, die sich um die wahren Interessen kümmern und die deutsch-chinesische Freundschaft pflegen”. Sein Besuch, spekuliert das Blatt, könnte ein “Pluspunkt für die nächste Bundeskanzlerwahl” sein. Söder, das wird in diesen vier Tagen klar, wird hier nicht nur als Vertreter eines wichtigen Wirtschaftsstandorts hofiert, sondern nach wie vor auch als Aspirant für höhere Aufgaben.

Den Rhythmus des Delegationsprogramms gibt der Wechsel politischer und touristischer Termine vor, und es liegt in der Natur der Sache, dass ein Panda-busselnder Söder die Wahrnehmung stärker dominiert als ein steifer Händedruck mit einem örtlichen Funktionär. Auch Söders Vorgänger Horst Seehofer war mehrmals in China, musste aber laut Zeitzeugen immer erst dazu überredet werden, für Fotos zu posieren, die zumindest ansatzweise verrieten, dass sie in Peking entstanden und nicht in Plattling. Einen “Staatsbesuch für Instagram” nennt der Münchner Merkur Söders Trip. Und ja, er hat seine hübschen Fotos bekommen. Das chinesische Regime allerdings auch.

Dass dieser lustige Häuptling aus der Heimat des FC Bayern sich in ihrem Land wohlzufühlen scheint, kriegen auch die zahlreichen Zuschauer des chinesischen Staatsfernsehens mit. Keinerlei Kenntnis dürften sie dagegen von Söders Beteuerung haben, “die schwierigen Themen” wie die beklagenswerte Menschenrechtslage in China bei jedem Treffen angesprochen zu haben, auch bei jenem mit Premier Li Qiang. “Aber eben anders als andere”, so Söder, dezenter, weniger belehrend. Darauf reagiert habe jedoch keiner der chinesischen Regierungsvertreter.

Kritiker sagen, Söder habe sich instrumentalisieren lassen

Söder sieht sich nun dem Vorwurf ausgesetzt, dass sich da ein weiß-blauäugiger Regionalpolitiker von der Weltmacht China instrumentalisieren lässt. Und der Vorwurf kommt nicht nur von SPD und Grünen im bayerischen Landtag. Der Ministerpräsident müsse die Einhaltung von Menschenrechten “einfordern”, hatte die Gesellschaft für bedrohte Völker vor Söders Gespräch mit Li Qiang mitgeteilt. Andernfalls mache er sich zum “nützlichen Lakaien der chinesischen Propaganda”. Söder hat es dann, wenn man ihn richtig versteht, bei der Feststellung von “Unterschieden” im politischen System und Wertekanon belassen.

“Mehr Real- als Moralpolitik” ist sein erster Leitsatz der Reise; eine Überdosis Moral hat er – Überraschung! – bei der grünen Außenministerin Annalena Baerbock diagnostiziert. Zweiter Leitsatz: “Dialog statt Monolog”, man müsse auch mit heiklen Partnern im Gespräch bleiben. Und das, sagt Söder, sei doch “eine ähnliche Position” wie die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der in drei Wochen auch nach China reist, dem Vernehmen nach ebenfalls nach Peking und Chengdu. Die Ampel sei sich da wieder mal nicht einig, findet Söder.

Tatsächlich bewegt sich die bayerische “Panda-Diplomatie” grundsätzlich schon in dem Korridor, den die neue China-Strategie der Bundesregierung vorgibt. Zur Debatte steht, ob Söder dabei zielführend und elegant agiert. Die Strategie spiegelt die Lehre aus der Energieabhängigkeit von Russland wider: Deutschland soll unabhängiger werden von Rohstoffen aus China, das als “systemischer Rivale” gelten müsse. Zugleich soll aber die Handelspartnerschaft erhalten werden, bloß unter gerechteren Voraussetzungen.

Vom Handelsminister fordert er “faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen”

In diesem Punkt wird Söder Reise durchaus konkret – und sein Ton spürbar deutlicher. Beim Treffen mit Handelsminister Wang Wentao, sagt er, habe er “faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen” für deutsche Unternehmen verlangt. Dazu gehörten mehr Transparenz bei Genehmigungsverfahren und der Schutz geistigen Eigentums. Die bayerischen Manager (etwa von Wacker Chemie oder der Baufirma Max Bögl), die Söder zu dem Termin begleiten, sind dankbar, ihre aktuellen Probleme an hoher Stelle platzieren zu dürfen.

Hier sei der Söder-Besuch auf jeden Fall hilfreich, sagen deutsche Diplomaten: Die Anliegen der Unternehmen müssten den Chinesen einfach möglichst oft und von möglichst bedeutenden Gästen vorgetragen werden. Söder fährt nach eineinhalb Stunden mit dem Eindruck zurück ins Hotel, Wang Wentao habe alles “offen aufgenommen”. China könne schließlich auch kein Interesse an einem Handelskrieg und der Einführung von EU-Schutzzöllen auf seine Exporte haben.

Söder, der Anwalt der deutschen Wirtschaft. Söder, der respektierte Außenpolitiker. Das sind im übertragenen Sinn die Bilder, die nach Willen der CSU hängen bleiben sollen von diesen vier Tagen in Peking und Chengdu. Gewiss auch im Hinblick auf die bald zu beantwortende K-Frage in der Union. Das Schöne für die mitreisenden Journalisten ist, dass ein so eng getaktetes Programm auf fremdem Boden gelegentlich kleine Erkenntnisfenster öffnet, die daheim vermutlich geschlossen bleiben würden.

Es gibt kleine Dinge zu lernen über Söder, aber auch größere. Die kleinen gehen damit los, dass der erklärte Alkoholvermeider Söder lange Flüge gern mit einem Campari Orange beginnt. Sie gehen damit weiter, dass Söder seine geliebte Strickjacke unterm Anzug eiskalt auch bei seiner Audienz beim Premier trägt. Mutig, mutig!

“Your answers were amazing”

Plastisch wird außerdem, dass der private Söder kein Stammkunde bei Studiosus-Reisen ist: In der Verbotenen Stadt lässt er den Tourguide einfach stehen, als der ein bisschen zu detailliert übers kaiserliche China referiert. Noch breiter belegt ist nun Söders Faible, Witze über andere Leute zu machen, selbst wenn es sich dabei um seinen Staatskanzleichef handelt: “My minister eats everything”, auch Hasenköpfe, sagt er vor Studenten über Florian Herrmann. Der Minister isst nicht nur alles, er erträgt auch alles in Langmut und Treue.

Das Gespräch mit den offenkundig virtuos gecasteten, ideologiefesten Studenten an der Tshingua-Universität ist besonders erhellend. Die Fragen an den Gast wurden vorher sicher mit der Regierung abgestimmt, bloß halt nicht mit der bayerischen. Söder hat sich ein sehr ordentliches Konversationsenglisch angeeignet, aber als ihn die Studenten mit hochschul- und handelspolitischen Details traktieren, ist er sichtlich froh, dass ihm Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) und TUM-Vizepräsidentin Juliane Winkelmann beherzt zur Seite springen.

“Your answers were amazing”, sagt eine Studentin am Schluss zum frisch ernannten Ehrenprofessor Söder, seine Antworten waren unglaublich toll. Noch toller wären die Antworten aber womöglich gewesen, wenn Söder sich für Chinas freche Jugend ausnahmsweise mal ein paar zielgruppenorientierte Sätze zurechtgelegt hätte. Das ist die letzte Lehre dieser Reise: Mit der Standard-Söder-Show aus Bayern kommt man weit in China. Aber nicht ganz durch.



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