Brüssel. Die Proteste der Landwirte in Tschechien und in der gesamten EU erwecken den Eindruck, dass die Bauern trotz Zugeständnissen morgen alle ihre Höfe aufgeben würden. Sind die Proteste noch angemessen?

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Bis zu einem gewissen Grad kann ich diese Proteste verstehen, denn einer der Gründe ist der enorme bürokratische Aufwand. Hier sehe ich ein gemeinsames Interesse, wir Politiker und die Landwirte wollen unbedingt gegen die Vielzahl der Kontrollen und die Bürokratie ankämpfen. Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass wir heute mit sehr niedrigen Abnahme­preisen für Agrar­produkte konfrontiert sind – nicht nur in Europa, sondern weltweit. Das belastet jeden einzelnen Landwirt in Deutschland, Tschechien und anderswo sehr massiv. Wir müssen die Landwirte besser bezahlen, damit die Branche und vor allem die Kleinbauern eine Zukunft haben.

Die Landwirte wollen mehr EU-Subventionen und gleichzeitig weniger Vorschriften – und sind mit diesen Forderungen erfolgreich. Bekommen diejenigen mit den größten Fahrzeugen auch die meisten Zugeständnisse?

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Das glaube ich nicht, denn für mich war es immer wichtig, denjenigen zu helfen, die in der Landwirtschaft ehrlich arbeiten, egal, ob es sich um einen Kleinbauern oder einen mittleren oder großen landwirtschaftlichen Betrieb handelt. Insofern sind auch die Änderungen, die die Europäische Kommission in diesen Tagen vorgeschlagen hat, keineswegs Änderungen, die nur denen helfen, die große Landmaschinen haben. Aber wir lassen uns als Politiker nicht von Protesten treiben, nur weil jemand mit einem Traktor die Straßen blockiert.

Wir lassen uns als Politiker nicht von Protesten treiben, nur weil jemand mit einem Traktor die Straßen blockiert.

Genügen die Vorschläge der Europäischen Kommission zum Abbau von Umweltschutz­vorgaben, mit denen sie den Landwirten entgegenkommen will?

Nein, das reicht nicht aus, um die Landwirte zu unterstützen. Diese Zugeständnisse sind erst der Anfang, und wir müssen in dieser Richtung weitermachen. Wir müssen diesen bürokratischen Wildwuchs abbauen und es den Landwirten leichter machen, ihre Arbeit auf dem Feld und nicht am Schreibtisch zu erledigen. Ich habe Kommissar Janusz Wojciechowski gesagt, das ist ein guter Auftakt, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

Und was war seine Antwort?

Er stimmt zu, dass wir mehr tun müssen. Ich rechne also damit, dass es weitere Maßnahmen geben wird.

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Einige Proteste sind völlig eskaliert. Können Sie diese Wut verstehen?

Diese Gewalt ist absolut inakzeptabel. Wenn jemand seinen Frust über die Situation in der Landwirtschaft friedlich äußern will, dann bin ich offen für Gespräche. An einem Tisch lassen sich die Dinge viel besser klären als auf der Straße. Die ausufernde Gewalt führt nur dazu, dass die Bevölkerung immer weniger Verständnis für die Landwirte hat. Ich glaube nicht, dass die Bauern dieses Bild von sich abgeben wollen.

Die ausufernde Gewalt führt nur dazu, dass die Bevölkerung immer weniger Verständnis für die Landwirte hat. Ich glaube nicht, dass die Bauern dieses Bild von sich abgeben wollen.

Es scheint, dass die Proteste immer öfter eskalieren und auch nach den Zugeständnissen der EU kein Ende in Sicht ist.

Wir bauen bereits Bürokratie ab und führen weniger Kontrollen durch. In Tschechien konnten wir dank des Copernicus-Satelliten­systems die Zahl der Kontrollen um 50 Prozent reduzieren, was eine sehr erfreuliche Nachricht für die Landwirte ist. Viele andere Länder können das auch. Ich bin überzeugt, dass die Traktoren mit dem nahenden Frühling ihre Arbeit auf den Feldern verrichten werden und nicht mehr bei Protesten in den Innenstädten.

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Ich bin überzeugt, dass die Traktoren mit dem nahenden Frühling ihre Arbeit auf den Feldern verrichten werden und nicht mehr bei Protesten in den Innenstädten.

Sie rechnen also mit einem baldigen Ende der Bauern­proteste?

Ja, jeder vernünftige Landwirt wird in den nächsten Tagen seine Felder pflügen, um für eine gute Ernte zu sorgen, anstatt die Straßen zu blockieren. Wir hoffen, dass wir mit all unseren Maßnahmen die Getreidepreise in Europa erhöhen und die Rohstoff­preise stabilisieren können.

Alle wollen faire Preise für die Landwirte, aber manchmal stehen sich die EU-Länder selbst im Weg. Zum Beispiel kaufen tschechische Supermärkte jetzt viele Äpfel billig aus Polen, die früher nach Russland exportiert worden wären. Das setzt die tschechischen Obstbauern unter Druck. Haben Sie eine Lösung parat?

Das ist tatsächlich ein sehr empfindlicher Punkt in der tschechischen Landwirtschaft, denn der Obst- und Gemüse­anbau ist ein sehr heikles Thema. Wir haben sofort Hilfs­programme eingeführt, um unsere Landwirte zu unterstützen, vor allem die Obst-, Gemüse- und Hopfen­bauern. Es ist notwendig, die Gründung und den Fortbestand von Erzeuger­genossenschaften zu unterstützen, in denen sich die Apfelbauern zusammen­schließen. Denn die Macht der großen Lebensmittel­konzerne muss gebrochen werden, damit mehr Geld für die Bauern übrig bleibt. Wir brauchen dringend einen Vorschlag der Europäischen Kommission, der sich mit den vielen unlauteren Geschäfts­praktiken im Großhandel befasst, insbesondere dem In- und Export von Agrar­produkten.

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Glauben Sie, dass die Menschen mittlerweile verstanden haben, dass es nachhaltige Landwirtschaft nicht umsonst gibt?

Ich würde das gern mit Ja beantworten. Aber ich weiß auch, dass viele Menschen im Supermarkt immer nur das Preisschild am Regal sehen. Wir brauchen mehr Wertschätzung für landwirtschaftliche Produkte und die Einsicht, dass hohe Nachhaltigkeits­standards auch einen höheren Preis haben. Wir können nicht über faire Löhne reden, wenn wir im Supermarkt keine fairen Preise zahlen wollen.

Wir können nicht über faire Löhne reden, wenn wir im Supermarkt keine fairen Preise zahlen wollen.

Sind Lebensmittel also zu billig dafür, dass Landwirte davon leben können?

Ich will nicht unbedingt höhere Preise. Man muss die gesamte Wertschöpfungs­kette vom Landwirt über den Lebensmittel­hersteller bis zum Verkäufer betrachten. Als Landwirtschafts­minister will ich dafür sorgen, dass der Gewinn ausbalanciert ist, also nicht nur bei den großen Supermarkt­ketten bleibt. Die Läden sollten Geld verdienen, aber es muss gerecht zwischen Landwirt und Verkäufer verteilt werden.

Die Proteste der Landwirte fordern ein Ende des Green Deal, dem Umwelt- und Klimaschutz­programm der EU. Doch Experten warnen bereits, dass Europa viel zu wenig tut. Ist weniger zu tun also wirklich der richtige Weg?

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Wir dürfen auf keinen Fall von einem Extrem ins andere fallen. Es ist unerlässlich, dass wir das Klima schützen und Umwelt und Natur erhalten. Zum anderen muss die europäische Landwirtschaft im Vergleich zum Rest der Welt, zu Asien, Australien und Amerika, wettbewerbs­fähig bleiben. Um ehrlich zu sein, das ist schwierig. Unterm Strich sehe ich in den Vorschlägen der EU keine Abkehr von unseren Umwelt­ambitionen. In diesem Jahr dürfen die Landwirte zwar Felder bestellen, die sie eigentlich für mehr Artenvielfalt brachlegen müssten, das heißt aber nicht, dass sie alles anbauen können, was sie wollen, sondern sie müssen Pflanzen verwenden, die Stickstoff binden. Außerdem müssen die Landwirte die Schutz­zonen entlang der Gewässer beachten. Wir fordern also weiterhin Umweltschutz.

Alle Industrien in Europa müssen heute strengere Umwelt­auflagen erfüllen. Die Landwirte werden vergleichsweise weniger in die Pflicht genommen worden. Müssen sie nicht auch ihren Beitrag leisten?

Da muss ich widersprechen, denn ich denke, die Landwirte sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst. In den letzten zehn Jahren haben wir in Tschechien den Einsatz von Pestiziden deutlich reduziert. Wir liegen weit unter dem europäischen Durchschnitt. Jeder Bauer möchte sein Land an die nächste Generation weitergeben, an seine Kinder oder Enkel. Es ist also in seinem eigenen Interesse, das Land zu schützen und es fruchtbar zu halten. Wir sollten den Landwirten mehr vertrauen.

Wir sollten den Landwirten mehr vertrauen.

Das klingt, als gäbe es keine Probleme mit dem Umweltschutz.

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Natürlich gibt es da Probleme. Aber die größten Probleme sind die hohen Preise für Rohstoffe wie Diesel, die unsere Landwirte in Tschechien aber auch in Deutschland belasten. Außerdem gehen die Vorschriften, die von Bürokraten in der Europäischen Kommission in Brüssel gemacht werden, oft völlig an der Realität der Landwirte vorbei.

Die EU-Kommission hat Zölle auf russisches Getreide angekündigt. Reicht das, oder wollen Sie ein komplettes Import­verbot?

Ich habe bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit den baltischen Staaten und Polen einen Appell unterzeichnet, um die Einfuhr von Getreide und Ölsaaten aus Russland zu verhindern. Denn Russland setzt Getreide als Waffe gegen die Ukraine und damit auch gegen Europa ein. Das müssen wir stoppen und den Vorschlag der Kommission schnell annehmen.

Bisher gibt es nur einen Vorschlag für Zölle auf russisches Getreide, nicht für ein Import­verbot.

Zölle sind ein schnellerer Weg als der komplizierte Sanktions­apparat der EU. Die geplanten Zölle sind so hoch, dass das russische Getreide in Europa unverkäuflich wird. Die EU-Zölle sind im Grunde ein Stoppschild, und am Ende wird das Ergebnis das gleiche sein wie ein Import­verbot.

Brennende Reifen und Krawall: Bauernproteste bei EU-Ministertreffen eskalieren

Am Montag kamen die EU-Agrar­minister wieder in die Hauptstadt und mit ihnen auch wieder die Traktoren und der Protest.

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Die Kritik der Landwirte richtet sich auch gegen ukrainischen Weizen, der zollfrei in die EU komme und die Preise kaputt mache. Ist die Kritik berechtigt?

Die Menge an ukrainischem Weizen auf den europäischen Märkten hat definitiv zugenommen. Das ist nicht der einzige Grund für die niedrigen Weizen­preise, aber es beeinflusst sie natürlich. Nichtsdestotrotz müssen wir die Ukraine weiterhin unterstützen, und wir tun alles, damit das Abkommen über den zollfreien Handel mit der Ukraine auch nach dem 5. Juni bestehen bleibt.

Ein Ende der zollfreien Importe, wie es die Landwirte fordern, wird es mit Ihnen also nicht geben?

Ich unterstütze diese Forderung der Landwirte nicht, weil wir damit gegen das Assoziierungs­abkommen verstoßen würden, das noch vor dem Krieg mit der Ukraine geschlossen wurde. Wir müssen nach einer ausgewogenen Lösung suchen, die Solidarität und Hilfe für die Ukraine bietet und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf die Preise in Europa abfedert. Ich bitte die protestierenden Landwirte hier um Verständnis, wir werden ihnen auf andere Weise helfen.



Source link www.ostsee-zeitung.de