Großenbrode. Die Ostsee ist vier Grad kalt. Für die Großenbroderin Gabriella Szűcs ist das kein Problem. Die Eisschwimmerin macht noch ein paar Züge. Bei den Temperaturen kribbelt und brennt jeder Quadratzentimeter ihrer Haut. Es ist ein besonderer Abend im März. Eigentlich schwimmt die Lehrerin auch aus Sicherheitsgründen nur bei Tageslicht, doch an diesem Tag ist es schon 19 Uhr. Es dämmert bereits.

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„Es war der Todestag meines Vaters, ich wollte unbedingt noch an diesem Tag herausschwimmen, um ihm mit Blumen zu gedenken“, sagt sie rückblickend. „Wir hatten leichten Wellengang, Nordwind, nichts Ungewöhnliches“, erzählt die Eisschwimmerin. Seit Anfang Februar schwimme sie ohne Neoprenanzug. Normalerweise spüre sie die Wellen, auch Gräser, Algen oder Ähnliches. Szűcs: „An dem Abend bemerkte ich nichts dergleichen.“

Nach Bad in Ostsee: Blutende Wunden an den Beinen

Doch als sie nach etwa 20 Minuten wieder aus dem Wasser kam, fiel ihr die erste blutende Wunde auf. „Das Blut lief von unterhalb des rechten Knies förmlich in meinen Neoprenschuh. Beim näheren Hinschauen sah ich dann die zweite und dritte Wunde und das viele Blut. Zu Hause entdeckte ich dann die vierte Wunde. Die Verletzungen hörten nur langsam auf zu bluten.“ Sie versuchte, sich zu erinnern, ob sie zum Beispiel mit Treibgut zusammengestoßen war. Doch vielleicht aufgrund der Betäubung durch die Kälte hat sie den Moment der Verletzung nicht bemerkt. Ohnehin ist Eisschwimmen nicht ungefährlich und sollte nur unter der Einhaltung bestimmter Regeln gemacht werden.

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Nach einigen Tagen Recherche wird ihr plötzlich klar, was geschehen ist. „Ich wurde mehrfach von einem Neunauge gebissen.“ Denn die stark blutenden Bisswunden an beiden Unterschenkeln waren „punktuell und kreisförmig angeordnet“.

Gabriella Szűcs wurde beim Schwimmen in der Ostsee mehrfach von einem Neunauge gebissen.

Gabriella Szűcs wurde beim Schwimmen in der Ostsee mehrfach von einem Neunauge gebissen.

Der Biologe Karl Deutschmann von der Meeresbiologischen Station Laboe bestätigt, dass es sich tatsächlich so abgespielt haben könnte. Das Maul der Neunaugen besteht aus einer runden, bezahnten Saugscheibe. „Sie saugen sich an Fischen fest und raspeln dann mit ihren Zähnchen in die Haut rein, um sich von dem Blut des Fisches zu ernähren“, erklärt der Ostseeexperte. Gelegentlich komme es auch zu „Anheftungen“ an den Menschen. „Das hört man aber selten. Der Mensch gehört nicht zu den Zielen des Neunauges, das war eher ein Versehen.“ Deutschmann sagt: „Das Neunauge ist zudem eher selten und kommt nicht so häufig vor wie eine Scholle oder ein Dorsch.“ Neunaugen gelten sogar als gefährdet und stehen unter Schutz.

Neunaugen leben in Flüssen und im Meer

Unklar ist, ob es sich eher um ein bis zu einem halben Meter langes Flussneunauge oder eines der bis zu einem Meter langen Meeresneunaugen gehandelt hat. „Die Ostsee ist ein Brackgewässer und je nach Salzgehalt oder der Nähe zu Flussmündungen kann es beides gewesen sein“, erklärt Deutschmann.

Gabriella Szűcs hat die Verletzungen dokumentiert.

Gabriella Szűcs hat die Verletzungen dokumentiert.

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Egal ob Sommer oder Winter, Gabriella Szűcs schwimmt fast täglich in der Ostsee. Seit 2020 lebt die Lehrerin in Großenbrode. 2023 schwamm sie bereits 245 Tage im Jahr im Meer, 2024 sind es schon 70 Tage. „Ich schwamm mit verschiedenen Quallen, mit Krebsen, Plattfischen. Zweimal leisteten mir sogar Seehunde Gesellschaft, Schwäne, Möwen, Kormorane, Enten und weitere Vogelarten begleiten mich täglich“, sagt die Schwimmerin. Doch dies sei der erste Angriff eines Neunauges gewesen, berichtet sie und bestätigt so die Experteneinschätzung, dass es sich um einen Ausnahmefall handelt. Schwimmen will die Großenbroderin natürlich weiterhin. Szűcs: „Aber nicht mehr in der Dämmerung ohne Neoprenanzug.“

LN



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