Gerade einmal ein Jahr ist das Bürgergeld-Gesetz alt, da will die CDU diesen “gesellschaftlichen Missstand” wieder reformieren und in “neue Grundsicherung” umbenennen. “Der Name Bürgergeld insinuiert das Falsche”, erklärte Philipp Amthor (CDU) bei Louis Klamroths “Hart aber fair” (ARD): “Der Sozialstaat ist nicht für jeden da.” Ob die Leistung nicht jedem zustehe, wurde der Moderator angesichts dieser Aussage zurecht hellhörig. So wollte sich der Bundestagsabgeordnete nicht verstanden wissen. Die Leistungen stünden jenen zu, “die unverschuldet in Arbeitslosigkeit kommen und diejenigen, die etwas dafür tun wieder aus Arbeitslosigkeit hinaus” zu gelangen.

Es seien keine “Wohltaten, die Politiker verteilen, sondern als Sozialstaat verwalten wir treuhänderisch Geld für die Bürger, die ihrerseits Steuern bezahlen”, betonte e. Den rund 13.000 Totalverweigerer, die ohne sachlichen Grund eine zumutbare Arbeit ablehnten, stünden nach CDU-Ansicht keine Sozialleistungen zu. Für diese kleine Gruppe sollten sie um einhundert Prozent gekürzt werden.

 “Menschen wie Sie, Herr Wasilewksi, sind nicht das Problem des Sozialstaats”, richtete Amthor das Wort an den anwesenden Bürgergeld-Bezieher aus Mönchengladbach. “Was Sie neue Grundsicherung nennen, davon kann sich keiner etwas zu essen kaufen, für den Namen”, ließ der seiner Kritik freien Lauf.

Die Bürgergeld-Debatte: Mehr Druck, mehr Sanktionen, mehr Gerechtigkeit? Philipp Amthor diskutiert bei Louis Klamroth.
Die Bürgergeld-Debatte: Mehr Druck, mehr Sanktionen, mehr Gerechtigkeit? Philipp Amthor diskutiert bei Louis Klamroth.
© © WDR/Oliver Ziebe
Die Bürgergeld-Debatte: Mehr Druck, mehr Sanktionen, mehr Gerechtigkeit? Philipp Amthor diskutiert bei Louis Klamroth.

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Ricarda Lang richtet harte Vorwürfe an Philipp Amthor

Dass er einmal zu diesen schwächsten 5,5 Millionen Deutschen zählen würde, die Bürgergeld beziehen, habe der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann nicht gedacht. Doch nach 30 Jahren im Arbeitsleben wurde Thomas Wasilewski erwerbsunfähig. Heute versorgt der Vater dreier Kinder ehrenamtlich bei den “Suppentanten” und als LKW-Fahrer der Tafel andere Bürgergeld-Beziehende und Bedürftige mit kostenlosen Mahlzeiten. “Sie, liebe Politiker nennen das Wohlstandsverlust”, richtete er sich neben Amthor auch an die Vertreterinnen der Ampel-Koalition, Anke Rehlinger (SPD) und Ricarda Lang (Grüne): Die Menschen “kommen zu uns, weil sie nichts zu essen haben”.

563 Euro pro Monat bekommt ein alleinstehender Erwachsener heute als Regelsatz im Bürgergeld ausbezahlt. Ricarda Lang gab zu, dass ein Theaterbesuch oder ein Buch nicht drin seien. “Es ist ein Existenzminimum berechnet worden, das ist total hart”, meinte auch Saarland-Ministerpräsidentin Rehlinger. “Die Leute haben Hunger, weil das Bürgergeld nicht ausreicht”, bezeichnete Wasilewski die aktuelle Lage als “grausame Katastrophe für Menschen. Vor allem, wenn Sie von den faulen Arbeitslosen sprechen, die nicht arbeiten wollen”, fügte er mit Blick auf den CDU-Politiker hinzu.

“Sie arbeiten daran, das Bürgergeld und Menschen in Bürgergeld in Misskredit zu bringen”, warf auch Lang der CDU einen falschen Fokus vor und mit dieser Stimmung gegen das Bürgergeld die Betroffenen “vor den Bus” zu werfen. Amthor widersprach vehement: “Nein, es trifft die Stimmung in der Gesellschaft.” Immer wieder kam es zu Wortgefechten zwischen den beiden Politikern. Auch Klamroth musste des Öfteren einschreiten und die Diskussion wieder “ordnen”.

abgebildete Personen v.l.n.r. Anke Rehlinger (SPD, Ministerpräsidentin Saarland und stellv. Parteivorsitzende), Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen, Parteivorsitzende), Philipp Amthor (CDU, Bundestagsabgeordneter), Louis Klamroth, Marie-Christine Ostermann (Unternehmerin "Rullko Großeinkauf GmbH" und Präsidentin „Die Familienunternehmer“), Henry Maske (Box-Weltmeister, Gründer „Henry Maske Stiftung A place for kids“), Thomas Wasilewsk (Bürgergeld-Empfänger)
abgebildete Personen v.l.n.r. Anke Rehlinger (SPD, Ministerpräsidentin Saarland und stellv. Parteivorsitzende), Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen, Parteivorsitzende), Philipp Amthor (CDU, Bundestagsabgeordneter), Louis Klamroth, Marie-Christine Ostermann (Unternehmerin “Rullko Großeinkauf GmbH” und Präsidentin „Die Familienunternehmer“), Henry Maske (Box-Weltmeister, Gründer „Henry Maske Stiftung A place for kids“), Thomas Wasilewsk (Bürgergeld-Empfänger)
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abgebildete Personen v.l.n.r. Anke Rehlinger (SPD, Ministerpräsidentin Saarland und stellv. Parteivorsitzende), Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen, Parteivorsitzende), Philipp Amthor (CDU, Bundestagsabgeordneter), Louis Klamroth, Marie-Christine Ostermann (Unternehmerin “Rullko Großeinkauf GmbH” und Präsidentin „Die Familienunternehmer“), Henry Maske (Box-Weltmeister, Gründer „Henry Maske Stiftung A place for kids“), Thomas Wasilewsk (Bürgergeld-Empfänger)

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800.000 Arbeitnehmende müssen aufstocken

Heftige Debatten löste auch das Thema Sanktionen aus: Schon heute würde Totalverweigerern, die ein konkretes Jobangebot ablehnen, zwei Monate lang das Bürgergeld gestrichen. “Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, dass Menschen nicht dauerhaft auf null gesetzt werden können”, wäre laut Lang der CDU-Plan gar nicht möglich. “Das ist falsch”, warf ihr Amthor darauf vor, nicht zuzuhören und eine vorbereitete Rede vorzutragen. 

Statt zu sanktionieren, ginge es der Ampel-Koalition vor allem darum, Menschen durch das Bürgergeld zu qualifizieren und weiterzubilden, sodass sie dauerhaft in Arbeit kommen und nicht auf den Sozialstaat angewiesen wären. Aber laut Rehlinger verschiebe die CDU “die Diskussion in eine völlig andere Richtung […]. Die CDU hat in ihrem Papier stehen: Vermitteln, vermitteln, vermitteln. Das war der Drehtüreffekt, den keiner wollte, weil die Leute nicht so qualifiziert angekommen sind, wie sie gebraucht wurden.”

Diskutieren sollte man, so Lang, nicht über die 13.000 Totalverweigerer, sondern über die 800.000 “Aufstocker, die arbeiten gehen und dennoch die Tafel brauchen. Die verdienen bessere Löhne.” Da sich potenzielle Mitarbeitende aufgrund des geringen Abstands zwischen Bürgergeld und Lohn in der Vergangenheit gegen die harte Arbeit in der Logistik entschieden hatten, hatte Unternehmerin Marie-Christine Ostermann die Löhne in ihrem Betrieb bereits freiwillig um acht Prozent erhöht. “Aber das müssen wir erwirtschaften können”, wies sie auf wirtschaftliche Grenzen hin.

Zudem müsse für Arbeitnehmer “mehr Netto vom Brutto übrig bleiben. Fast 42 Prozent des Bruttolohns müssen für Sozialleistungen bezahlt werden” rechnete sie vor. “Da fragen sich Fachkräfte im Ausland, warum sie hier arbeiten sollen, weil sich Arbeit immer weniger lohnt.”

Zumindest in einem Punkt ist sich die Runde einig

“Wenn über Leistung gesprochen wird, ist es zutiefst ungerecht, dass Menschen mit mittlerem Einkommen mehr Steuern zahlen als Menschen mit extrem großen Erbschaften auf ihr Erbe”, war Lang gegenüber dieser vorgeschlagenen Steuerreduktion offen. Das könne auch dazu beitragen, “gerecht mit Leistung umzugehen”. Denn derzeit würde nicht nur Armut, sondern auch Chancen in vielen Fällen weitervererbt. 

Davon hielt Amthor wenig: “Wenn wir höhere Löhne wollen, mehr für den Sozialstaat wollen, dann geht das nicht, indem wir es von irgendwem hin- und herverteilen, sondern in dem wir mehr arbeiten.” Dafür sollte auch der Zuverdienst für kleinere und mittlere Einkommen erleichtert werden, war er sich mit den Vertreterinnen der Ampel-Regierung zum Schluss doch in einem einig.





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