Während der Pandemie hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) maßgeblichen Einfluss auf die Maßnahmen, die damals von der Politik ergriffen worden waren, um das Coronavirus und seine Folgen zu bekämpfen. Im RKI sollten die jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bewertet und so eine Grundlage für die politische Entscheidungsfindung erarbeitet werden. Nun aber wurden interne Protokolle des Corona-Krisenstabs des RKI aus dieser Zeit öffentlich – und die werfen Fragen auf.

Im Zentrum der Diskussion steht die Frage, ob Maßnahmen wie Maskenpflicht, Lockdowns oder Vorteile für Geimpfte intern weitaus kontroverser diskutiert wurden, als das nach außen hin kommuniziert wurde. So hat es laut Protokoll noch im Herbst 2020 Zweifel am Nutzen von FFP2-Masken gegeben, wenn “nicht qualifiziertes Personal” diese verwende. Auch heißt es im Protokoll einer Sitzung von Anfang Januar 2021, dass unsicher sei, ob Geimpfte ähnlich wie Genesene weniger zur Verbreitung des Coronavirus beitragen. Sie sollten deshalb “weiterhin keinen Sonderstatus erhalten”. Später wurden aber mit der 2G- und 3G-Regelung genau solche Privilegien für Geimpfte beschlossen – im April hatte das RKI seine Einschätzung geändert. Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass über all diese Fragen in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wurde. Das RKI hatte zu Beginn der Pandemie sogar sehr lange gegen das Tragen von Masken argumentiert, als in anderen Teilen der Welt längst Masken empfohlen wurden.

Für besondere Aufregung vor allem in den sozialen Netzwerken sorgt eine Passage in den teilweise geschwärzten Unterlagen, die sich auf eine Gesprächsrunde vom 16. März 2020 bezieht. Darin heißt es, eine neue Risikobewertung sei vorbereitet und solle “hochskaliert” werden. “Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald (geschwärzter Name) ein Signal dafür gibt.” Daraus entstand das Gerücht, es hätte politische Einflussnahme von außerhalb des RKI gegeben. Im Bundesgesundheitsministerium wies man das am Montag zurück: Hinter der geschwärzten Stelle verberge sich der Name eines RKI-Mitarbeiters.

Coronavirus: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumte Ende Januar ein, die langen Schließungen von Schulen und Kitas seien rückblickend ein Fehler gewesen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) räumte Ende Januar ein, die langen Schließungen von Schulen und Kitas seien rückblickend ein Fehler gewesen.

(Foto: Michael Weber/imago images)

Aus dem RKI selbst hieß es auf Anfrage, die Entscheidung zur Höherstufung sei von der Institutsleitung unter Einbindung des RKI-Krisenstabs getroffen worden. Diese habe sich “aus der damaligen epidemiologischen Gesamtlage” ergeben und sei auf Basis der “Grundlagen der Risikoeinschätzung des RKI” getroffen worden. Am 17. März hatte das RKI seine Einschätzung eines Gesundheitsrisikos für die Menschen in Deutschland von “mäßig” auf “hoch” geändert. Wenige Tage später begann der erste Lockdown.

Es haben bereits einige Politiker Fehler eingestanden

Die RKI-Protokolle sind öffentlich geworden, weil das Online-Magazin Multipolar auf die Herausgabe geklagt hatte. Das Magazin gilt als umstritten, manche Beobachter verorten es im rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Milieu. Der Herausgeber Paul Schreyer schreibt Bücher mit Verschwörungserzählungen über die Anschläge vom 11. September. Für die Bedeutung der Protokolle, die ja vom RKI selbst stammen, macht das keinen Unterschied.

Im Umgang mit der Pandemie hatten in den vergangenen Wochen mehrere Politiker Fehler eingestanden. So sagte etwa Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schon Ende Januar, die langen Schließungen von Schulen und Kitas seien rückblickend ein Fehler gewesen. “Damals wurde das aber von Wissenschaftlern, die die Bundesregierung beraten haben, angeraten.” Man habe es nicht besser gewusst, so Lauterbach, der seit Dezember 2021 Bundesgesundheitsminister ist. Auch Helge Braun (CDU), bis Ende 2021 Kanzleramtsminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU), sagte kürzlich dem Spiegel, die Bundesregierung habe etwa die Wirkung der Impfstoffe überschätzt. Man sei davon ausgegangen, dass Geimpfte auch vor Ansteckung geschützt seien. Man habe “das Impfen als eine Lösung für den Ausstieg aus der Pandemie beworben und eine Erwartung geschürt, die wir am Ende nicht erfüllen konnten”. Der frühere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte: “Wir haben Entscheidungen getroffen, denen ich heute nicht mehr zustimmen würde.”

Die Corona-Protokolle des RKI dürften die Debatte um politische Aufarbeitung der Pandemiezeit befeuern. Die FDP plädiert sei Längerem dafür, eine Enquetekommission des Bundestags einzusetzen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach ließ wissen, er halte dies für nicht notwendig. Deutschland sei insgesamt “relativ gut durch die Pandemie gekommen”, so Lauterbach am Montag. Es wären sehr viel mehr Menschen gestorben, hätte man nicht Maßnahmen wie die Lockdowns ergriffen. Die Pandemie müsse wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Insgesamt sei es nun aber “wichtig, nach vorne zu blicken”.



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