Während viele deutsche Unternehmen die Wirtschaftslage beklagen, Stellen abbauen oder die Produktion ins Ausland verlagern, setzt David Reger auf einen gegensätzlichen Kurs. Reger hat 2019 in Metzingen das Unternehmen Neura Robotics gegründet, das heute mehr als 170 Mitarbeiter beschäftigt. Reger arbeitet mit seinem Team daran, künstliche Intelligenz mit Robotik zu verbinden.

ZEIT für Unternehmer: Herr Reger, bis dato produzieren Sie Ihre kognitiven Roboter hauptsächlich in China. Jetzt haben Sie angekündigt, die Produktion nach Deutschland zu holen. Weshalb haben Sie sich 2019 überhaupt für die Volksrepublik entschieden?

David Reger: Als wir Neura Robotics vor viereinhalb Jahren gegründet haben, haben wir hier keine Investoren gefunden, wohl aber in China. Damals hat jeder gedacht, die Globalisierung sei ein Dauerzustand. Ich habe daran geglaubt, dass es sich auszahlt, deutsches Know-how mit chinesischem Kapital zu verbinden. Außerdem ist China ein riesiger Markt.

ZEIT für Unternehmer: Und heute?

Reger: Immer mehr Kunden haben Sicherheits- und Qualitätsbedenken und sagen uns, dass sie unsere Produkte nur noch kaufen, wenn sie nicht aus China kommen. Außerdem stehen den niedrigen Lohnkosten heute hohe Transportkosten gegenüber, und seit der Pandemie wissen wir, wie schnell Lieferketten reißen können. Auch die geopolitischen Unsicherheiten sind gestiegen: Donald Trump droht China schon jetzt mit Einfuhrsteuern von 60 Prozent für den Fall, dass er im November zum US-Präsidenten gewählt wird. Das hätte massive Auswirkungen für alle Unternehmen, die in China produzieren, und die Lieferketten.

ZEIT für Unternehmer: Aber wie gehen Sie jetzt mit Ihren chinesischen Investoren um?

Reger: Die haben wir dank neuer Investoren rauskaufen können. Mir ist aber wichtig zu betonen: China hat uns den Start ermöglicht, als kein anderer in unsere Vision investieren wollte, und wir haben gut zusammengearbeitet. Wir haben in China noch viele Partner und werden dort auch weiterhin für den asiatischen Markt produzieren – solange es geht.

ZEIT für Unternehmer: Um Roboter mit riesigen Datenmengen zu trainieren, brauchen Sie viel Energie. Und die ist hier deutlich teurer als in China. Unterschätzen Sie diesen Standortnachteil? Und wie viel Geld kostet Sie der Umzug überhaupt?

Reger: Die deutschen Energiepreise sind tatsächlich eine unserer größten Herausforderungen, denn Robotik und KI sind sehr energieintensiv. Und eine Produktion zu verlagern, ist in der Tat kostspielig, auch wenn ich Ihnen keine genauen Zahlen nennen möchte. Aber wir nehmen diese Nachteile in Kauf, weil wir durch die Verlagerung nicht nur unabhängiger von politischen Risiken werden, sondern auch viel gewinnen.

Ich hätte lieber, dass KI mir Tätigkeiten abnimmt, die ich nicht so gerne mache.

David Reger

ZEIT für Unternehmer: Was gibt es denn zu gewinnen?

Reger: Made in Germany ist immer noch ein Qualitätsversprechen, und die Welt weiß das. Und wenn wir es in Europa schaffen, sowohl mit den USA als auch mit China klarzukommen, könnte sich das zu einem weiteren Standortvorteil entwickeln. Ich meine nicht, dass wir unser Fähnlein in den Wind drehen, je nachdem, was geopolitisch gerade los ist. Sondern dass Deutschland wieder etwas zu bieten haben muss, das alle wollen und brauchen. Dann haben wir auch Einfluss in der Welt und können internationale Beziehungen aktiv mitgestalten. Nur müssten auch unsere Politikerinnen und Politiker diese Chance endlich erkennen. Leider haben einige teilweise schon aufgegeben, bevor das Rennen um die Zukunft richtig losgegangen ist.

ZEIT für Unternehmer: Was meinen Sie genau?

Reger: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir waren letztens auf einer Veranstaltung, wo viele Deutsche damit angegeben haben, dass die Unternehmen in Deutschland bei der Anwendung von Robotik weltweit auf Rang drei liegen. Da frage ich mich: Wollen wir wirklich nur Anwender einer bahnbrechenden Technologie werden? Ist das wirklich unsere Idee von Zukunft?

ZEIT für Unternehmer: Was ist denn Ihre Idee von Zukunft?

Reger: Dass wir nicht nur anwenden, sondern auch erschaffen! Aber ein Politiker – seinen Namen will ich jetzt nicht nennen – meinte bei der Veranstaltung zu mir, der Zug sei dafür schon abgefahren.

ZEIT für Unternehmer: Ist er aber nicht?

Reger: Nein! Haben Sie zu Hause einen Roboter stehen, der Ihnen – vielleicht abgesehen von Staubsaugerrobotern – bei irgendwelchen Arbeiten hilft?

ZEIT für Unternehmer: Nein.

Reger: Eben. Das wird sich schon bald ändern. In spätestens fünf Jahren, von uns aus auch gerne schon in zwei Jahren, werden humanoide Roboter, die mit KI ausgestattet sind, überall stehen und viele Aufgaben übernehmen, die wir nicht machen wollen oder für die Fachkräfte fehlen.

ZEIT für Unternehmer: Dank ChatGPT kann heute jeder KI nutzen. Ist das nicht schon mal was?

Reger: Das könnte man meinen. Aber bislang verwenden die meisten Menschen KI nur, um Bilder zu malen, kreative Texte zu schreiben oder Filme zu machen. Das sind Dinge, die ich ehrlich gesagt gerne selbst machen würde, wenn ich Zeit hätte. Ich hätte lieber, dass KI mir Tätigkeiten abnimmt, die ich nicht so gerne mache – also zum Beispiel meinen Müll rausbringt.



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