Nach einem der schwersten Terroranschläge in der russischen Geschichte mit 133 Toten und 152 Verletzten vermutet die Bundesregierung Islamisten hinter der Tat und warnt vor Gefahren auch in Deutschland. Es sei “davon auszugehen, dass die Terrorgruppe ‘Islamischer Staat Provinz Khorosan’ den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat”, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser der Süddeutschen Zeitung.

Da der Ableger der Terrormiliz IS auch in Deutschland aktiv ist, warnen Sicherheitsbehörden auch hierzulande vor Anschlägen. “Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibt akut”, sagte Faeser. “Vom ‘ISPK’ geht derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus.” Erst am Dienstag hatte die Bundesanwaltschaft in Gera zwei mutmaßliche Islamisten der Miliz festnehmen lassen. Sie sollen einen Anschlag auf das schwedische Parlament geplant haben. “Dieser Anschlag zeigt genauso wie der Sprengstoffanschlag vor Kurzem in der iranischen Stadt Kerman, wie ernst die globale Bedrohung durch islamistischen Terror zu nehmen ist”, so Faeser weiter.

In dem Veranstaltungszentrum Crocus City Hall bei Moskau hatten Attentäter am Freitagabend wahllos auf Besucher geschossen. Zudem gab es Explosionen im Gebäude und einen Großbrand. Schon kurz nach der Tat eskalierte auf internationaler Ebene ein Streit über die Hintergründe der Tat. Ein Ableger der Terrormiliz IS hatte den Anschlag bereits in der Nacht zu Samstag für sich reklamiert. Westliche Geheimdienste stuften die Bekennernachricht als echt ein.

Russlands Präsident Wladimir Putin deutete dagegen eine ukrainische Spur hinter dem Angriff an. Auch die Chefin des russischen Staatsmediums RT, Margarita Simonjan, sah die Verantwortlichen für den Anschlag nicht beim “Islamischen Staat”. Die Täter seien so ausgewählt worden, “dass man eine dumme Weltgemeinschaft davon überzeugen kann, dass es der IS war”, sagte Simonjan, die als Putin-Vertraute gilt.

Auf der Flucht festgenommen

In Moskau wartete die Öffentlichkeit am Sonntag auf einen Haftbefehl gegen die vier mutmaßlichen Täter. Bilder der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zeigten, wie die Täter mit verbundenen Augen und in gebückter Haltung dem Ermittlungsausschuss in Moskau übergeben wurden. Berichten zufolge sollen alle vier aus Tadschikistan stammen, offiziell bestätigt wurde das bisher nicht. Sie waren am Samstag nach russischer Darstellung auf der Flucht in der Region Brjansk festgenommen worden. Die Region grenzt an die Ukraine. .

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wies unterdessen die Versuche Putins zurück, der Ukraine eine Mitverantwortung für den schweren Anschlag zuzuschieben. “Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben”, sagte er in einer Videoansprache. Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe “dieser absolute Niemand Putin” einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine eigenen Bürger zu kümmern. In dieser Zeit habe Putin darüber nachgedacht, “wie er das in die Ukraine bringen kann”.

Das Entsetzen ist groß

Zahlreiche Staatsoberhäupter und Regierungen zeigten sich am Wochenende entsetzt über den Anschlag. Auch Papst Franziskus verurteilte die “unmenschlichen Taten”. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Faeser sprachen den Familien der Opfer ihr Mitgefühl aus. Gleichzeitig warnte Faeser im SZ-Interview vor den wachsenden Gefahren durch die hybride Kriegführung Russlands. “Wir erleben hier tatsächlich eine neue Dimension der Bedrohungen durch die russische Aggression”, sagte die SPD-Politikerin. “Wir sehen Einflussnahmeversuche durch Lügen, durch massive Desinformation. Aber auch die Spionage ist mindestens so aktiv.” Die Innenministerin warf dem Kreml zudem vor, Fluchtbewegungen nach Westeuropa gezielt zu fördern. “Russland will den Westen auch mit Migration destabilisieren”, sagte sie. “Menschen werden brutal instrumentalisiert.” Finnland erlebe das derzeit an der eigenen Grenze.

Nancy Faeser kündigte weitere Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen in Europa an. “Besonders wichtig ist, die Wahlen zu schützen”, sagte sie. “Wir müssen dafür sorgen, dass es keine Hackerangriffe auf Wahlbehörden oder auf die Übermittlung von Wahlergebnissen gibt.” In Deutschland werde dazu eine neue Früherkennungseinheit gegen Falschnachrichten aufgebaut, die mit künstlicher Intelligenz manipulative Nachrichten erkennen solle, “bevor sie zu einer großen Welle werden und das Netz fluten”. Pläne von Finanzminister Christian Lindner (FDP), den Etat des Bundesinnenministeriums 2025 zu kürzen, wies Faeser angesichts der Bedrohungslage zurück. Diese Regierung habe bislang nicht an der inneren Sicherheit gespart, sagte sie. “Und so muss es auch bleiben.”



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