Die bemerkenswerteste Botschaft für die krebskranke Princess of Wales kam nicht etwa von höchster Stelle. Nachdem Catherine, genannt Kate, die Frau von Thronfolger Prinz William, am Freitag um Punkt 18 Uhr Großbritannien und die Welt in einem Video über ihr Kranksein in Kenntnis gesetzt hatte, ging es in den sozialen Netzwerken sofort los mit den guten Wünschen. Politikerinnen und Politiker meldeten sich, Kleriker, Prominente. Die Macrons aus Frankreich zum Beispiel (“Ihre Stärke und Widerstandskraft inspirieren uns alle”), die US-amerikanische First Lady Jill Biden (“Du bist mutig und wir lieben dich”) oder der Erzbischof von Canterbury, der Gebete versprach. Auch Harry und Meghan schickten eine etwas kurz angebundene Nachricht aus Kalifornien: “Wir wünschen Kate und der Familie Gesundheit und Heilung und hoffen, dass sie dies privat und in Frieden tun können.”

So ein Strom an Genesungswünschen ist naturgemäß recht gleichförmig, doch plötzlich tauchte darin eine Instagram-Botschaft der Schauspielerin Blake Lively auf, die nicht zur allerersten Garde Hollywoods zählt und vor allem durch eine Beziehung mit Leonardo DiCaprio, ihre Ehe mit Ryan Reynolds und ihre Rolle in der Serie “Gossip Girl” bekannt wurde. “Ich bin mir sicher, dass es heute niemanden interessiert”, schrieb sie, “aber ich habe das Gefühl, dass ich das eingestehen muss.” Sie habe vor einigen Tagen einen dummen Witz über Kate gemacht, “und für diesen Post schäme ich mich heute. Es tut mir leid”. Der Beitrag, in dem Lively über das nachträglich bearbeitete Muttertagsfoto der Princess of Wales lästerte, ist mittlerweile gelöscht.

Britisches Königshaus: Blake Lively und ihr Ehemann Ryan Reynolds bei der Met Gala 2023.

Blake Lively und ihr Ehemann Ryan Reynolds bei der Met Gala 2023.

(Foto: Evan Agostini/dpa)

Nach Kates letztem öffentlichen Auftritt an Weihnachten und der Nachricht von ihrer Bauch-Operation Anfang Januar war eine Art Nachrichtenvakuum entstanden, das auf Plattformen wie X und Tiktok mit wilden Gerüchten und Verschwörungserzählungen gefüllt wurde. Von einer Schönheitsoperation am Po war die Rede, von einer bevorstehenden Scheidung und davon, dass Kate von einer Doppelgängerin vertreten werde, um die Öffentlichkeit darüber zu täuschen, dass sie im Koma liege oder gar tot sei. Das manipulierte Muttertagsfoto, mit dem Kate und William die Deutungshoheit hatten wiedererlangen wollen, machte die Sache nur schlimmer. In der Klinik, in der die Fürstin behandelt wurde, versuchte Personal kürzlich, an die Krankenakte zu kommen.

Mit Teilen der britischen Presse hat die königliche Familie eine Art Freundschaftsabkommen geschlossen: Ausgewählte Publikationen, die zur “Royal Rota” gehören, erhalten exklusive Informationen und authentisch wirkende, gerne mal selbst geknipste Fotos aus dem Palast. Sie berichten dementsprechend wohlwollend. Doch die Parallelöffentlichkeit auf Social Media lässt sich von lancierten Berichten nicht bremsen, im Gegenteil.

Die Netzwerke sind mit ihrem Klima der Anonymität generell ein fruchtbarer Nährboden für Spekulationen und Herabwürdigungen. Im Fall der Princess of Wales beteiligten sich daran aber auch Figuren, die auf den Plattformen alles andere als anonym unterwegs sind. Die Schauspielerin Lively war nicht die einzige. Der prominente US-Moderator Andy Cohen zweifelte auf X die Echtheit eines Videos an, das Kate und William beim Einkaufen zeigt (“That ain’t Kate”), sein Kollege Stephen Colbert befeuerte Gerüchte über eine angebliche Affäre Williams, und Kim Kardashian schrieb auf Instagram, sie sei “unterwegs, um Kate zu finden”. Angesichts der Krebsdiagnose fordern Kommentatoren nun, Kardashian solle den Beitrag löschen und sich entschuldigen. Am Sonntagnachmittag war er unverändert zu finden.

“Zeigt ein bisschen fucking Menschlichkeit”

Auf den Kommunikationsplattformen, und nicht nur dort, wird über den Umgang mit Kate in einer Mischung aus Selbstgeißelung (Blake Lively) und Geißelung diskutiert. Der Guardian zitierte die Feministin und Oberhaus-Abgeordnete Rosie Boycott mit den Worten: “Ich hoffe, die Leute schämen sich sehr, denn das Internet hat mit der armen Kate einen echten Tiefpunkt erreicht.” Die US-Schauspielerin Shannen Doherty, die selbst an Krebs erkrankt ist, schrieb auf Instagram, sie “bete dafür, dass wir alle daraus lernen, die Privatsphäre anderer zu respektieren, unabhängig davon, ob wir in der Öffentlichkeit stehen”. Und ihre Kollegin Jamie Lee Curtis textete sich auf Instagram geradezu in Rage: Man solle diese schwachsinnige Verschwörungserzählung “STOPPEN”. Eine Forderung, die auch von nicht-prominenten Nutzerinnen und Nutzern zu lesen war – zum Beispiel von einer Frau, die sich selbst als Monarchiegegnerin bezeichnet. “Hört mit den Scheißspekulationen auf”, lautete ihr Kommentar auf X. “Zeigt ein bisschen fucking Menschlichkeit.”

Ob jetzt die Achtsamkeit in den sozialen Netzwerken Einzug hält? Nach der Veröffentlichung von Kates Video dauerte es nicht lange, bis die ersten Beiträge auftauchten, die dessen Echtheit anzweifelten. Kate sei gar nicht Kate, sie sehe so verändert aus, so schmal und blass, hieß es. Man könnte auch sagen: krank.





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