Der Anstoß beim Fußball ist meist eine profane Sache. Mit Toni Kroos kann er zur Kunst werden, wie man jetzt weiß. Zunächst schien er sich mit dem Anpfiff in Lyon Richtung eigenes Tor zu bewegen, dann jedoch drehte er sich in die andere und schlug einen – zugehört, ihr Kritiker – Steilpass. Florian Wirtz nahm ihn entgegen, nutzte den Freiraum, die die übertölpelten Franzosen ihm gaben, und schoss nach sieben Sekunden sein erstes Tor für Deutschland.

Der Bundestrainer hat einen neuen Chef auf dem Platz bestellt, er hat umgehend einen neuen Chef auf dem Platz erhalten. Nach fast drei Jahren kehrte Toni Kroos zurück in die Nationalelf, und von einer Sekunde auf die andere war alles anders. Im Herbst noch verlor die Elf gegen die gegen die Türkei und nach einer fürchterlichen Leistung in Österreich 0:2. Die Fußballnation Deutschland schien endgültig geschrumpft.

Was sollte also diesmal schon drin sein gegen Frankreich, die Elf von Didier Deschamps, die in den beiden letzten WM-Finals stand, die Favorit auf den EM-Titel im Sommer ist, noch dazu, wo sich die deutsche Mannschaft nach einem Relaunch von Julian Nagelsmann wieder mal neu sortieren muss? Ein 2:0-Sieg war drin, so überzeugend, souverän und verdient, dass nun die Freudentaumelnden in ihrer Euphorie gebremst werden müssen.

Ein Paganini am Ball

Die Geschichte dieses Spiels lässt sich auf eine Formel bringen: Was ein einzelner Spieler doch ausmachen kann im Mannschaftssport Fußball. Lyon erlebte ein Comeback, gegen das war das von Elvis 1968 eine Fußnote in der Geschichte. Toni Kroos zeigte, was Deutschland lange an ihm vermisst hatte, und das gleich auf vielfache Weise. Da war zum einen seine außerordentliche Klasse zu bestaunen. Meine Güte, welch ein Spielmacher, welch ein Paganini am Ball ist dieser Kroos! Da stimmte das Timing in jeder Annahme, da kamen die Zuspiele in exakter Schärfe, da waren in seinen Drehungen die Winkel präzise gemessen. Wer diese Feinheiten beherrscht, dem gehorcht der Ball wie ein dressierter Pudel.

Zugleich gab Kroos seinen Mitspielern Sicherheit. Jonathan Tah und Antonio Rüdiger hinter ihm erwiesen sich als stabile Innenverteidigung, fehlerfrei im Spielaufbau. Robert Andrich lieferte bei seinem Debüt in der Startelf brav acht von zehn seiner Pässe bei Kroos ab. Alles suchte ihn, alles drehte sich um diese Sonne. Es war die hohe Kunst des oft geschmähten Querpasses, mit dem Kroos das Tempo verschleppte und erhöhte, die eigene Mannschaft im Rhythmus hielt, die andere aus demselben brachte. Deutschland versteckte unter seiner Anleitung den Ball vor dem Gegner, der kam manchmal eine Minute und länger nicht an ihn ran.



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