Berlin. Die Älteren werden sich erinnern: Ein hoffnungsvoller, frisch ins Amt gekommener Verkehrsminister erklärte die Sanierung der Bahn zur „Chefsache“ und forderte, er wolle „die Uhr wieder nach der Bahn stellen können“. Und er sagte noch etwas: Bei den Haushaltsverhandlungen habe die Bahnsanierung „absolute Priorität“.

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Das war vor knapp zwei Jahren. Neben Volker Wissing stand ein schmal lächelnder Bahnchef Richard Lutz. Zusammen schworen sie die Fahrgastnation auf ein mehrjähriges Tal der Tränen mit Streckensperrungen und Generalsanierung des maroden Streckennetzes ein. Am Ende des Jahrzehnts aber werde alles besser sein als je zuvor und die Verkehrswende gelungen.

Die jetzt vorgelegte Bilanz des Staatskonzerns für 2023 zeigt: Die Bahn steckt ganz tief drin im Tal der Tränen. Und es ist unklar, wann sie dort wieder herauskommt. Vermutlich ist es so wie bei einer ICE-Fahrt zwischen Berlin und Köln: Es dauert an jeder erdenklichen Stelle der Strecke länger – und länger – und länger.

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2023 waren weniger als zwei Drittel aller ICEs und Intercity-Züge (64 Prozent) weniger als sechs Minuten verspätet – 2024 geht es ähnlich weiter. 70 Prozent will Lutz in diesem Jahr erreichen. „Das wird ein Kampf“, sagt der Bahnchef dazu.

Es wird auch ein Kampf ums Geld. 17,2 Milliarden Euro fehlen der Bahn bis 2027, um ihre Sanierungsziele einzuhalten. Schuld ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen November, das zur Streichung von 60 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds führte. Diesen Sparzwang haben die Beamten aus den FDP-geführten Verkehrs-und Finanzministerien anscheinend hauptsächlich bei der Bahn abgeladen. Die Autofahrerrepublik Deutschland hat wieder einmal gewonnen, die „Chefsache“ von 2022 hat ihre erste Krise nicht überlebt.

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Wissing wird nach der nächsten Bundestagswahl seinem Nachfolger eine Bahn überlassen, die langsam durchs tiefe Tal der Tränen zuckelt. Seine Uhr kann er dann immer noch nach der Bahn stellen. Sie geht dann halt durchschnittlich eine gute halbe Stunde nach.

Vorbild Österreich?

Die Lage ist ernst. Aber die finanziellen Möglichkeiten für eine schnellere Sanierung sind längst nicht alle ausgeschöpft. Der Staatskonzern könnte mehr Schulden aufnehmen, das Eigenkapital erhöhen – oder ein Finanzierungsmodell wie in Österreich anstreben, wie es die Grünen fordern: Da beschafft sich die Staatsbahn ÖBB zwar selbst langlaufende Kredite, doch Wien zahlt Zinsen und die Tilgung. Wer sich österreichische Bahnhöfe anschaut, sieht den Unterschied sofort.

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In Deutschland ist noch nicht einmal klar, ob die erwarteten Erlöse aus dem Verkauf der Töchter Arriva und Schenker in die Sanierung fließen können. So wird es nichts mit dem schnellen Neustart nach der jahrelangen Bahn-Vernachlässigung, die die Handschrift der CSU trägt.

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Wissing kündigt an, dass der Staat als Eigentümer in Zukunft das Bahn-Management an die kürzere Leine nehmen will. Das hat er vor zwei Jahren zwar auch schon getan, nun scheint er es aber ernst zu meinen. Anders geht es auch nicht. Eine Aktiengesellschaft kann nicht politische Vorgaben zur Verkehrswende umsetzen. Das Eisenbahnsystem aus seinem Elend zu erlösen, muss die Politik schon selber tun.

Ein Hoffnungsschimmer aber steht auch in der Bahn-Bilanz. Die steigenden Fahrgastzahlen im Fernverkehr zeigen: Selbst im aktuellen Jammerzustand wird Bahnfahren immer beliebter. Die Kundschaft ist also ausreichend leidensfähig. Die Mitarbeitenden der Bahn, die in allen Fährnissen das Beste geben (und anscheinend inzwischen alle Krisenmanagement-Schulungen besucht haben), sind es sowieso.



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