Lübeck. Sie hängen schön aufgereiht nebeneinander im Hinterhof, die drei gusseisernen Schwergewichte. Zusammen bringen sie knapp eine Tonne auf die Waage. „Als ich sie zuerst gesehen habe, ungeschützt dem Wetter ausgesetzt, kam mir sofort der Wunsch in den Kopf, die müssen doch klingen und wieder die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Jörg Linowitzki. Dieser Gedanke liegt bei ihm sehr nahe; schließlich war und ist der Klang der Taktgeber im Leben des pensionierten Professors der Lübecker Musikhochschule.
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Seit 2019 engagiert sich der Kontrabassist ehrenamtlich im Museum Haus Hansestadt Danzig – wo die drei Glocken seit Jahrzehnten ausgestellt sind – und verwaltet seitdem das Haus aus dem 13. Jahrhundert in der Engelsgrube. Nun ist die Umsetzung seines Wunsches mehr als greifbar. Denn: „Am Mittwoch, 15. Mai, werden wir sie hier feierlich verabschieden; an dem folgenden Morgen um 7 Uhr fährt der Lkw vor, um sie abzuholen“, sagt er freudig. Dann kommen sie dorthin zurück, wo sie ursprünglich gegossen wurden und zwei Jahrhunderte lang ihren eigentlichen Dienst verrichteten – nach Danzig.
Professor aus Lübeck erklärt die Danziger Glocken
Professor Jörg Linowitzki (66) zeigt die Glocken im Innenhof des Museums Haus Hansestadt Danzig. Er gehört zum Stiftungsvorstand des Museums.
Quelle: Cosima Künzel
Glocken sollten eingeschmolzen werden
Eine Botschaft ist ihm an diesem Punkt extrem wichtig: „Wir haben diese Glocken nicht gestohlen. Sie wurden uns als Dauerleihgabe übergeben.“ Um dies verstehen zu können, muss man die unfreiwillige Reise des Kulturgutes von Anfang an erzählen. Während der Zeit des Nationalsozialismus, ab dem Jahr 1941, wurden unzählige Glocken in ganz Polen abgebaut und auf sogenannte Glockenfriedhöfe gebracht. Sie sollten eingeschmolzen werden und unter anderem als Patronenhülsen der Kriegsmaschinerie zur Verfügung gestellt werden.
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Die beiden kleinen Glocken wurden von den Nazis aus der Heilig-Leichnam-Kirche in Danzig gestohlen; die große Glocke entstammt der Kirchengemeinde Wotzlaff.
Quelle: Lutz Roeßler
Glücklicherweise sollten es die Nazis aber nicht mehr schaffen, das komplette Diebesgut aus Metall für ihre Zwecke zu verwenden. Und der Hamburger Glockenfriedhof hat dann die schweren Bombardierungen der Elbmetropole ohne größere Schäden überstanden. Danach setzte sich die Reise des klingenden Gutes weiter fort. So statteten die Kirchenoberen in Lübeck Anfang der 1950-er Jahre die St.-Michael-Kirche in Siems und die nicht weit entfernte Lutherkirche in Kücknitz mit Danziger Glocken aus, die zuvor noch in Hamburg gelagert waren.
„In den beiden Stadtteilen hatten viele Flüchtlinge aus dem Osten inzwischen ein neues Zuhause gefunden. Und man sagt, dass das Geläut dieser Glocken für Hunderte Familien ein Stück Heimat war“, sagt Linowitzki, der inzwischen zum dreiköpfigen Stiftungsvorstand des Museums gehört. Die St.-Michael-Kirche wurde dann im Jahr 2008 entwidmet; die Glocken gelangten so zusammen mit der Glocke aus der Luther-Kirche als Dauerleihgabe an das Museum Haus Hansestadt Danzig. Um sie nun zurückbringen zu können, mussten einige hohe bürokratische Hürden überwunden werden.
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„Ohne die Hilfe von Prof. Jaskiewicz und Dr. Evang wäre das alles nicht gegangen – um nur zwei Namen zu nennen“, merkt Linowitzki an. Dazu komme die massive Unterstützung der TT-Line. „Sie übernimmt komplett den Abbau und Transport der Glocken ohne jegliche Kosten, um hiermit ihren Beitrag für die deutsch-polnische Freundschaft zu leisten“, betont er dankbar.
Am Ziel angelangt, werden die Schwergewichte in die Obhut des Danziger Museums gegeben und am Stockturm in der Danziger Innenstadt ausgestellt. Anlässlich der Europäischen Hansetage sollen sie Mitte Juni offiziell enthüllt werden. Abschließend obliege es der polnisch-katholischen, der römisch-katholischen Kirche und hoffentlich auch den Danziger Bürgern, über den weiteren Umgang mit den Glocken zu diskutieren, resümiert der Initiator dieser Aktion.
LN