Lübeck. Sie war mit Freunden unterwegs, am Christopher Street Day. Es sollte eigentlich ein schöner Abend werden. Es kam anders. Ein Mann vergewaltigte sie.

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Die 20-jährige Lübeckerin hat im vergangenen Jahr Hilfe beim Weißen Ring in Lübeck gefunden. Nun möchte sie offen über das, was passiert ist, reden – zum bundesweiten Tag der Kriminalitätsopfer an diesem Freitag, 22. März. Seit 1991 macht der Weiße Ring mit diesem Tag auf Menschen aufmerksam, die durch Kriminalität und Gewalt geschädigt wurden, wie die junge Frau aus Lübeck.

Am Handgelenk gepackt und in den Waldweg gezogen

„Ich war mit Freunden unterwegs, ich habe an dem Abend viel Alkohol getrunken“, berichtet die 20-Jährige. Irgendwann gingen ihre Freunde nach Hause, sie selbst traf noch Bekannte und feierte weiter. Irgendwann wollte auch die letzte Bekannte gehen. „Sie zeigte auf einen Mann und sagte: Er ist in Ordnung, bei ihm kannst du bleiben.“ Das tat sie.

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„Ich war irgendwann so betrunken, ich konnte mich nicht mehr richtig artikulieren und bin nur noch geschwankt.“ Der junge Mann und sie verließen die Feier. „Dann packte er mich am Handgelenk und zog mich in einen Waldweg.“

Er drückte sie auf den Boden, mit dem Rücken zu ihm, zog seine Hose herunter, schob ihren Wickelrock beiseite, dann ging er noch weiter, sagt sie. „Ich habe ihm gesagt, dass er aufhören soll. Erst als ich das noch lauter gesagt habe, hörte er wirklich auf.“ Dann verabschiedete er sich und ging. „Ich wusste zuerst überhaupt nicht, was da eben passiert war.“

Vollkommen aufgelöst ging sie zu ihrer Schwester, erzählte ihr alles unter Tränen. Verstanden hat sie sich nicht gefühlt. Danach sprach sie mit Freunden. „Sie nahmen mich ernst. Sie haben gemerkt, dass es mir nicht gut ging.“ Die Freunde waren es auch, die vorschlugen, dass die 20-Jährige sich an den Weißen Ring wenden könnte. Dafür ist sie dankbar.

So kann der Weiße Ring tätig werden

Denn dort, sagt die Lübeckerin, hat man sie ernst genommen. Dort hatte sie ein Gespräch mit der ehrenamtlichen Opferhelferin Evelin Lell. „Das Wichtigste ist, dass wir zuhören“, sagt Lell, die bereits seit zwölf Jahren im Weißen Ring aktiv ist. „Wir fragen nicht nach Details, drängen nicht, sie sollen so viel erzählen, wie sie mögen.“

Der Verein hat die Möglichkeit, einen Scheck für ein bis drei Termine bei einem Therapeuten auszustellen – und zwar sehr kurzfristig. „Wir haben einen Pool von Therapeuten, auf die wir zugehen können.“ Das hat sie für die 20-jährige Lübeckerin so eingeleitet.

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Rund 45 Sexualdelikte in Lübeck zählt der Verein

Dass sie selbst heute offen darüber reden kann, verdankt sie den Gesprächen mit dem Verein und dem Therapeuten, sagt sie. „Mir wurde deutlich gemacht: Ich bin nicht Schuld. Manche haben vorher zu mir gesagt: Du hast ja auch Alkohol getrunken. Oder: Er hat ja auch aufgehört, als du das dann gesagt hast.“ Aber jetzt ist ihr klar: Der Mann hat sie in einer hilflosen Situation ausgenutzt. Es hätte gar nicht so weit kommen dürfen.

Wie der Lübeckerin geht es weiteren Menschen: Der Verein in Lübeck hat von rund 45 Sexualdelikten im vergangenen Jahr erfahren. „Die Dunkelziffer kennen wir nicht, und nicht alle Taten werden auch angezeigt“, sagt Heike Schulz, Außenstellenleiterin des Weißen Ring Lübeck, die an diesem Tag der Kriminalitätsopfer auch auf ein weiteres Feld aufmerksam machen möchte, mit dem der örtliche Verein konfrontiert wird: Erbbetrug.

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Lübeckerin wendet sich wegen Erbbetrugs an Weißen Ring

Eine, die sich aus diesem Grund Unterstützung beim Weißen Ring geholt hat, ist Katharine Gesatzke. In einem dicken Ordner hat sie alles abgeheftet, was sie über ihren Onkel und eine – wie sie sie bezeichnet – Erbschleicherin gesammelt hat. Nach dem Tod ihrer Tante hat sich eine Frau um ihren trauernden Onkel gekümmert, schildert sie. Die Frau hat dafür gesorgt, dass der Onkel sich stark von der Familie distanziert, hat ihn dazu gebracht, dass er die Vorsorgevollmacht so ändert, dass ihr eigener Name dort steht. Erschwerend kommt hinzu: Er wurde dement, verhielt sich sehr auffällig. Als er starb, sollte sie alles erben.

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Katharine Gesatzke begann, zu recherchieren, hat bereits einen steinigen Weg hinter sich, hatte Kontakt zum Landeskriminalamt, zum Amtsgericht und eben zum Weißen Ring Lübeck, in dem auch ein Jurist Mitglied ist und der direkt unterstützen konnte.

Eine 71-jährige Lübeckerin, die Ähnliches erlebt hat, meint: „Das Problem sind die Vollmachten, damit stehen alle Türen offen. Man investiert besser etwas Geld in einen Notar und Testamentsvollstrecker.“ Sie weiß, dass Ebbetrug nicht so selten vorkommt. „Allerdings sprechen nicht viele darüber, oft aus Scham, wenn es in der eigenen Familie passiert“, sagt sie. „Außerdem wollen die Betroffenen nicht geizig wirken, wenn es ums Erbe geht“, sagt Heike Schulz und fügt hinzu: Der Weiße Ring kann in solchen Situationen immer unterstützen.

LN



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