Brüssel. Die europäische Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatović hat Deutschland aufgefordert, den Schutz der Menschenrechte voranzutreiben und die soziale Situation der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das „hohe Maß an Armut und sozialer Ausgrenzung“ stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum Deutschlands. Zwar habe die Bundesregierung Maßnahmen zur Reform des Sozialsystems ergriffen. Es seien jedoch deutlich mehr Anstrengungen erforderlich, um gegen die „wachsende Ungleichheit“ in Deutschland anzugehen, heißt es in dem am Dienstag vorgelegten Bericht. Die Regierung müsse die Langzeitfolgen von Armut auf die Gesundheit, Bildung und Arbeitsplatzaussichten minimieren. Mijatović zufolge müsse Deutschland auch mehr tun, um den Kreislauf der Armut bei Kindern, die Armut bei älteren Menschen und bei Personen mit Behinderungen zu bekämpfen.

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Kritisch äußerte sich die Menschenrechtskommissarin des Europarates zum Recht auf Wohnraum in Deutschland. Zu den größten Problemen für ein menschenwürdiges Wohnen zählen laut Mijatović die hohen Mietpreise in vielen deutschen Städten. Sie spricht sich für Eingriffe in den Wohnungsmarkt aus. „Umfassende und langfristige Maßnahmen, inklusive durch entsprechende Änderungen des Mietrechts, sind erforderlich, um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beseitigen“, sagte Mijatović. Sie forderte die Behörden auf, eine auf den Menschenrechten basierende Wohnungsstrategie zu entwickeln und einen Nationalen Aktionsplan zur Überwindung von Obdachlosigkeit zu verabschieden.

Die Bundesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Doch 2022 wurden lediglich 295.000 fertiggestellt, für 2023 gibt es noch keine offiziellen Zahlen. Das Ifo-Institut geht aber von rund 245.000 Wohnungen aus.

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Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2022 in Deutschland mehr als 600.000 Menschen zeitweise wohnungslos. Etwa 50.000 von ihnen lebten auf der Straße, die anderen kamen bei Verwandten und Freunden unter oder schliefen in Notunterkünften.

Deutlich mehr muss Deutschland nach Einschätzung der Menschenrechtskommissarin auch bei der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung und der Durchsetzung von Kinderrechten tun. „Es gibt keine zentrale Behörde, die die Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Kinderrechte auf allen Ebenen und in allen Ressorts wirksam koordinieren könnte“, kritisierte Mijatović. Daher kämen Kinder häufig zu kurz, wie die Corona-Pandemie gezeigt habe.

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Besondere Aufmerksamkeit sollte Deutschland der wachsenden Fremdenfeindlichkeit und dem Rassismus widmen. Sie hätten das Potenzial, den sozialen Zusammenhalt zu untergraben und demokratische Institutionen zu destabilisieren. Erst im Herbst hatte eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) gezeigt, dass Rassismus gegenüber Schwarzen in Deutschland so groß wie in keinem anderen untersuchten EU-Land ist. 76 Prozent der Befragten gaben an, in den letzten fünf Jahren wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft Opfer von Rassismus gewesen zu sein.

Mijatović hatte mit ihrem Team im November und Dezember letzten Jahres Deutschland besucht und mit Behörden, Menschenrechtsaktivisten, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kinder- und Jugendvertretern gesprochen.



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