Es sind nur zwei Sätze auf Seite drei des neuen Sozialstaat-Konzepts der CDU – aber die haben es in sich. “Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine ihm zumutbare Arbeit ab (“Totalverweigerer”), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist”, heißt es in dem Konzept. “Ein Anspruch auf Grundsicherung besteht dann nicht mehr.” Kurz gesagt: Die CDU will Arbeitsunwilligen das Bürgergeld streichen – und zwar vollständig und dauerhaft.

Der Bundesvorstand hat das Konzept zur “Neuen Grundsicherung”, so soll das Bürgergeld nach dem Willen der CDU künftig heißen, am Montag einstimmig beschlossen. Jetzt ist Generalsekretär Carsten Linnemann zusammen mit den Bundesvorsitzenden des Arbeitnehmerflügels und der Mittelstandsunion, Karl-Josef Laumann und Gitta Connemann, ins Foyer der CDU-Zentrale gekommen, um es vorzustellen. Dass Connemann und ihre Mittelstandsunion die Verschärfung gutheißen, ist naheliegend. Das gilt auch für Linnemann – er hat vor Connemann die Mittelstandsunion geführt. Interessant ist deshalb vor allem wie Arbeitnehmerflügel-Chef Laumann die drastische Änderung begründet.

Laumann diagnostiziert beim Bürgergeld eine “abnehmende Akzeptanz”

Der gelernte Maschinenschlosser gilt als das soziale Gewissen der CDU. Er ist Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und schon seit knapp 20 Jahren Chef des Arbeitnehmerflügels der Bundes-CDU.

Leider gebe es in Deutschland gerade “eine abnehmende Akzeptanz des Bürgergeldes”, sagt Laumann. Das hänge “schlicht und ergreifend damit zusammen, dass wir eine Arbeitsmarktlage haben, wo der normale Bürger jeden Tag auf Schritt und Tritt sieht, dass es einen Arbeitskräftemangel bei uns in Deutschland gibt”. Dennoch bekomme man “beim Bürgergeld die Integration in den Arbeitsmarkt nicht gut genug hin”.

Grundlage der CDU-Sozialpolitik sollte immer sein, dass die Menschen keine Angst um ihre Wohnung und um ihren Lebensunterhalt haben müssen, wenn in ihrem Leben ein Bruch oder etwas Schlimmes passiere, sagt Laumann. “Es ist ganz wichtig, dass der Staat auch in dieser Frage Sicherheit garantiert.” Das sei das Menschenbild der CDU.

“Eine Maschine kann ich stilllegen, einen Menschen darf man nicht stilllegen.”

Zudem funktioniere ein Sozialstaat “immer nur auf einem guten Verhältnis von Solidarität auf der einen Seite und Eigenverantwortung auf der anderen Seite”. Das Bürgergeld sei aber zu sehr Richtung Solidarität ausgeschlagen – und zu wenig Richtung Eigenverantwortung. Außerdem sei es notwendig, “dass Menschen nicht nur Geld haben, sondern dass es auch einen guten Grund gibt, morgens aufzustehen”, sagt Laumann. “Eine Maschine kann ich stilllegen, einen Menschen darf man nicht stilllegen.”

Deswegen sei “eine gute Sozialpolitik eine Sozialpolitik, die die Menschen an die Hand nimmt, sie auch anleitet, wieder zu einem Leben zu kommen, wo sie eine Aufgabe haben”. Das müsse man “wieder stärker hinkriegen”. Dazu müsse “die Wirtschaft auch mal Menschen, die nicht so einen tollen Lebenslauf haben, eine faire Chance geben”. Aber wenn jemand eine zumutbare Arbeit ablehne, müsse das auch mit Sanktionen belegt werden können – auch um die Akzeptanz des Systems bei den Menschen zu erhalten, die die Sozialleistungen mit ihren Steuerzahlungen finanzieren. Es gehe zwar nur um wenige “Totalverweigerer” – wenn man gegen die nicht vorgehe, gefährde man aber die Akzeptanz des gesamten Systems. Die Menschen müssten das Gefühl haben, dass es gerecht zugehe.

Aber mit wem wolle die CDU die neuen Sanktionen durchsetzen, wird Generalsekretär Linnemann gefragt. SPD und Grüne würden den Vorstoß der CDU ja vehement ablehnen. “Wenn wir uns jeden Tag Gedanken machen”, was man mit wem durchsetzen könne, könnte man sich die ganze Programmarbeit sparen, antwortet Linnemann. Eine Partei dürfe “nie in Kompromissen denken, sie muss immer sagen, was sie machen würde, wenn sie die absolute Mehrheit hätte”.

Sozialrechtler Schlegel hält den Vorschlag für verfassungskonform

Der Generalsekretär hat auch keine Angst, dass der CDU-Vorschlag verfassungswidrig sein könnte. Zum einen wolle man Totalverweigerern nur die Grundsicherung streichen, sagt Linnemann. Die Kosten für Wohnung und Heizung sollten weiter vom Staat übernommen werden. Und man werde sicherstellen, dass Partner und Kinder von “Totalverweigerern” nicht Schaden nehmen. Außerdem habe man sich rechtlichen Rat geholt.

Das ist die Stelle, an der Rainer Schlegel ins Spiel kommt. Der Mann war bis Ende Februar Präsident des Bundessozialgerichts. Er hat die CDU beraten. Und er ist jetzt mit ins Foyer der Parteizentrale gekommen. Schlegel zitiert ausgiebig aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Und er interpretiert die Ausführungen zu den sogenannten Totalverweigerern. Schlegel findet, dass der Vorschlag der CDU verfassungsgemäß ist.

An der Stelle nickt Linnemann ziemlich zufrieden. Eine Frage kann der Generalsekretär aber nicht beantworten: Wie viele “Totalverweigerer” es denn in Deutschland gebe – und wie viel Geld man mit dem CDU-Vorstoß einsparen könnte.



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