Als der Schriftsteller aus Prag 1916 in München aus seiner Erzählung “In der Strafkolonie” las, sollen einige der zuhörenden Damen wegen der geschilderten Grausamkeiten in Ohnmacht gefallen sein. Franz Kafka hatte darin eine Maschine beschrieben, die den Delinquenten nach langer Folter exekutiert. Der Verurteilte stirbt ohne Verteidigung und ohne sein Vergehen zu kennen. “Die Schuld ist immer zweifellos”, stellt der das Urteil vollstreckende Offizier fest, und dieser Satz durchzieht auch das weitere Werk Kafkas.

Nostalgischer Charme statt blutiger Brutalität

Die “Kafkamaschine”, die der Musiker Frank Sattler anlässlich des 100. Todesjahrs des Autoren auf die Bühne des Tams-Theater baute, ist weitaus weniger bedrohlich. Das, was als “kafkaesk” zum alltäglichen Adjektiv für ebenso undurchschaubare wie schicksalhafte Vorgänge geworden ist, hat hier nostalgischen Charme und wirkt mit seiner völligen Sinnlosigkeit geradezu liebenswert. Immer wieder kommen auf dem großen Regal kleine und größere Dinge, die alle irgendwie miteinander verbunden zu sein scheinen, in Bewegung.

Meistens haben die beiden Schauspielerinnen Irene Rovan und Lena Vogt keinen Einfluss auf die Maschine, deren Sirren, Summen, Klappern und Scheppern den Soundtrack für die Inszenierung von Lorenz Seib liefert.

Ein geflügelter Plattenspieler spielt Klaviermusik, ein brotloser Brotschneider schneidet geräuschvoll ins Leere, ein Rohr wird kurzerhand zur Glocke oder ein Metronom gibt den Takt vor.

Vor, hinter und neben der Maschine bewegt sich das Darstellerinnenduo in Stepp-Overalls mit Vintage-Applikationen (Ausstattung: Claudia Karpfinger und Katharina Schmidt) nach mysteriösen, aber geschmeidigen Choreografien und reißt mit ihren Rezitationen die verstörende und doch seltsam komische Welt Kafkas auf. Das Material sind Notizen, Fragmente und literarische Miniaturen vor allem aus den acht Oktavheften.

Ein Stück ohne Handlung – doch das macht gar nichts

Alles scheint wie leicht hingetupft und doch werden die kleinen Begebenheiten voller Missverständnisse und Missgeschicke, der Ängste und des Scheiterns, mit konzentrierter Intensität erzählt. Lorenz Seibs Textauswahl fügt sich zu keiner Handlung und ist am Ende nicht einmal ein Puzzle, dessen Teile ein Bild ergeben würden. Die “Kafkamaschine” produziert vor allem einen entrückt traumhaften und gleichzeitig kristallklaren, dazu leicht beschwingten Bewusstseinsstrom, der nach kurzweiligen 70 Minuten ein glückliches Publikum entlässt.

Tams-Theater, Haimhauser Straße 13 A, bis 11. Mai mittwochs bis samstags, ab 20 Uhr, Karten unter Tel: 34 58 90





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