München – 3500 Bäume will München in den kommenden Jahren pflanzen, das hat der Bauausschuss beschlossen. Das ist vorausschauend, denn es wird heißer: In gut 30 Jahren sollen hier schon Temperaturen herrschen wie im italienischen Mailand. Und Deutschland hat ohnehin schon eine sehr hohe Zahl an Hitzetoten pro Jahr, wie US-Forscher errechnet haben. Bäume können da helfen: Sie spenden Schatten, speichern Wasser und kühlen die Umgebung. Mehr Grün in der Stadt kann den Hitzestress im Sommer um die Hälfte reduzieren, hat eine Studie der Technischen Universität München ergeben.

Und doch wirft das Projekt Fragen auf: Mehr als 50 Millionen Euro soll die Aufforstung in der bayerischen Landeshauptstadt kosten. Woher sollen die kommen? Wo sollen die Bäume überhaupt hin? Vor zwei Jahren geriet eine Pflanzoffensive für sogar eine halbe Million Bäume der Kommunalreferentin schon einmal ins Stocken, weil es einfach nicht genug öffentliche Flächen gibt. Mit genau solchen Problemen befasst sich Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut. Die Umweltwissenschaftlerin und Architektin leitet bei dem gemeinnützigen Thinktank den Forschungsbereich Stadtwandel. Sie erklärt in der AZ, warum Baumpflanzungen Städten helfen, aber kein Allheilmittel darstellen.

Mehr Bäume für München? “Viele kleinteilige Maßnahmen, die auf das große Ganze einzahlen”

AZ: Frau Bierwirth, München will in den kommenden Jahren Tausende Bäume pflanzen. Wo sollen die Städte denn den Platz für solche Maßnahmen hernehmen?
ANJA BIERWIRTH: Unsere Städte sind überwiegend bebaut. Das ist eine Tatsache. Alle Flächen sind irgendwie genutzt. Natürlich kann man punktuell Bäume an einer Straße pflanzen oder Parkflächen aufforsten. Aber wenn man es wirklich ernst meint mit der Anpassung an den Klimawandel und die Städte grüner bekommen will, dann müssen wir über die Umnutzung von Flächen reden. Dann müssen wir über die Rückdrängung des Autoverkehrs sprechen und über Entsiegelung.

Anja Bierwirth forscht seit 2008 am Wuppertal Institut unter anderem zu kommunaler Energiepolitik und nachhaltiger Stadtentwicklung.
Anja Bierwirth forscht seit 2008 am Wuppertal Institut unter anderem zu kommunaler Energiepolitik und nachhaltiger Stadtentwicklung.
© Wuppertal Institut
Anja Bierwirth forscht seit 2008 am Wuppertal Institut unter anderem zu kommunaler Energiepolitik und nachhaltiger Stadtentwicklung.

von Wuppertal Institut

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Jeder mag ja Grün in der Stadt. Aber was, wenn niemand etwas davon hat, weil keiner mehr dort wohnt? Gerade zum Beispiel in München gibt es viel zu wenig Wohnraum.
Ich würde das Wohnen nicht gegen ökologische Nutzflächen ausspielen. Das hilft ja auch nicht weiter. Am Institut beschäftigen wir uns viel mit der Frage: Wie kann man die Bestände besser nutzen? Wenn ich diesen Ort oder dieses Gebäude anpacke – was kann ich dann alles machen? Kann ich das Dach oder die Fassaden begrünen, kann ich Überschattung schaffen? Kann ich Rückhalteflächen für Starkregen anlegen, damit die Kanalisation nicht überlastet ist? Wie oft wird eine Straße aufgerissen, irgendein Kabel verlegt und dann wieder zugemacht. Dabei wäre das dann der richtige Moment, um etwa über den Straßenbelag nachzudenken: Was kann ich jetzt tun, damit das Wasser besser versickert? Kann ich eine Verkehrsinsel schaffen? Es gibt viele kleinteilige Maßnahmen, die auf das große Ganze einzahlen.

Und Bäume zu pflanzen wäre eine weitere solche Maßnahme?
Das ist eine Maßnahme von vielen. Bäume haben einen wichtigen Effekt, binden CO2, kühlen die Umgebung ab, halten die Luft sauberer. Das ist kein Allheilmittel, aber eine wichtige Maßnahme.

Aber gar nicht leicht durchzusetzen. Müssen für Bäume oder generell Grün Parkplätze weichen, protestieren schnell die Anwohner. Im vergangenen Sommer hat man das beim Verkehrsversuch in der Kolumbusstraße gesehen.
Die Logik ist doch eine andere. Es gibt nicht zu wenige Parkplätze, sondern es gibt zu viele Autos in den Städten. Das ist eine Frage des Blickwinkels. Vor einiger Zeit haben bei einer Untersuchung des ADAC einige Befragte angegeben, dass sie die Parkhäuser für zu eng halten. Sind unsere Parkhäuser wirklich zu klein für heutige Autos? Die haben doch jahrzehntelang funktioniert! Die Autos sind einfach heute zu groß geworden. Die Frage ist: Wie können wir da ansetzen? Man sollte also nicht fragen: Wie kriege ich zusätzliche Bäume in die Stadt? Sondern: Wie kann ich den Autobesitz reduzieren?

Für ein Projekt zur Verkehrsberuhigung mussten im Sommer einige Parkplätze in der Kolumbusstraße in der Au in München weichen. Nicht allen Anwohnern gefiel das.
Für ein Projekt zur Verkehrsberuhigung mussten im Sommer einige Parkplätze in der Kolumbusstraße in der Au in München weichen. Nicht allen Anwohnern gefiel das.
© IMAGO
Für ein Projekt zur Verkehrsberuhigung mussten im Sommer einige Parkplätze in der Kolumbusstraße in der Au in München weichen. Nicht allen Anwohnern gefiel das.

von IMAGO

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Die Bäume zu kultivieren und dann im Stadtgebiet zu pflanzen, kostet ordentlich. Und die deutschen Kommunen sind chronisch klamm. Wie können sie vorgehen?
Diese Diskussionen sind echt müßig. Es gibt ja so viel Geld für Dinge, die den Klimazielen konträr entgegenstehen. Dabei wissen wir doch: Wenn wir es nicht machen, wenn wir die Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn wir unsere Städte nicht fit machen für den Klimawandel, dass uns das dann deutlich teurer zu stehen kommt als heute die Aufforstung oder Verkehrsberuhigung. Wir können es uns gar nicht leisten, nicht zu investieren.

Warum müssen die Städte überhaupt investieren? Wenn es heißer wird, könnten die Menschen ja auch einfach im Haus bleiben. In Spanien wird zum Beispiel mittags Siesta gemacht…
Diese Entscheidung – gehe ich raus oder bleibe ich drinnen – können aber gar nicht alle Menschen treffen. Bauarbeiter und Paketboten müssen draußen arbeiten. Und manche Menschen wohnen in Gebäuden, wo es auch im Sommer drinnen sehr heiß ist, weil die nicht so gut isoliert sind. Wer wo wie guten Zugang zu sauberer Umwelt hat, fasst man unter dem Begriff Umweltgerechtigkeit zusammen. Der Zugang ist nämlich nicht gleich verteilt. Wer weniger Geld hat, wohnt oft dort, wo es weniger Grün gibt, also weniger saubere Luft, weniger sauberes Wasser, weniger Naherholungsgebiete. Das Grün in der Stadt hat nicht nur kühlende Wirkung, es hilft ja auch dem Wohlbefinden. Wir möchten zu Fuß gehen, Rad fahren, möchten im Park liegen. Jeder sollte doch die Möglichkeit dazu haben – nicht nur die Reichen. Berlin hat da zum Beispiel mit dem Umweltatlas eine gute Maßnahme für mehr Umweltgerechtigkeit ergriffen.

Was gibt es noch für Positivbeispiele?
In Barcelona gibt es die sogenannten Superblocks. Das ist ein Beispiel für Stadtentwicklung, das ich hoch spannend finde. Dabei werden jeweils mehrere Häuserblocks zusammengefasst. Innerhalb von diesem Bereich haben Fußgänger und Fahrradfahrer dann Vorrang. Autos fahren in Einbahnstraßen außen herum, so entstehen zahlreiche kleine Plätze, wo man Hochbeete oder Blumenkübel aufstellen kann. Studien zeigen, dass das einerseits den Autoverkehr reduziert. Und andererseits ist die Lebensqualität in den Blocks massiv gestiegen.

Am Ende mehr Lebensqualität durch Begrünung

Und nicht gesunken? Man könnte man meinen, viele beschweren sich, wenn sie nicht mehr vor der Haustür parken können…
In Madrid haben die Menschen auch geschimpft, als die Innenstadt verkehrsberuhigt werden sollte. Dann gab es nach einiger Zeit einen neuen Bürgermeister, der das rückgängig machen und die Straßen wieder für Autos freigeben wollte. Aber dann haben die Leute protestiert. Es gibt einige Städte, die sehr konsequent gesagt haben: Wir entwickeln die Stadt autoärmer. Gent zum Beispiel in Belgien oder Paris. Einen Parkplatz zu haben, ist für manche wichtig, aber es ist ein Partikularinteresse. Durch generelle Entwicklung, zum Beispiel hin zu weniger Autos, ergibt sich eine Qualität, die am Ende allen Menschen zugutekommt. Eine grünere Stadt ist eine gesündere Stadt, es gibt saubereres Wasser, weniger Schadstoffe in der Luft. Wenn ich das parallel denke zum reduzierten Verkehr, habe ich letzten Endes mehr Lebensqualität.

Die Autos einfach draußen zu halten, wird aber schwierig sein.
Das ist die große Schwierigkeit, dass fast alles gleichzeitig passieren muss. Ich kann nicht verlangen, dass niemand mehr Auto fahren soll, solange ich nicht den öffentlichen Nahverkehr optimiere und ausbaue. Oder indem Städte die sogenannte modale Mobilität fordern, indem sie Mobilitätsstationen schaffen, wo dann zum an einer S-Bahn-Haltestelle Car-Sharing-Autos oder Mieträder warten.

Die Bäume müssen einem Bauprojekt weichen.
Die Bäume müssen einem Bauprojekt weichen.
© Daniel von Loeper
Die Bäume müssen einem Bauprojekt weichen.

von Daniel von Loeper

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Manche können leicht aufs Auto verzichten

Eine Strategie, die München zum Beispiel verfolgt. Seit einigen Jahren werden solche Mobilitätsstationen angelegt. Aber man kann ja niemanden zwingen, mit dem Mietrad zu fahren.
Natürlich nicht. Es ist ein kultureller Wandel, der da stattfindet. Als die ersten Ampelanlagen aufgestellt wurden, haben sich die Menschen auch beschwert: Ich lasse mir doch nicht diktieren, wann ich über die Straße gehen kann! Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt. Genauso wie wir uns dran gewöhnt haben, dass wir in den Städten sehr viel Fläche für Parkplätze nutzen. Dabei ist es ja kein Menschenrecht, dass man überall parken können muss. Man muss sich im Klaren sein, dass es Konflikte geben wird und man die aushalten muss. Natürlich gibt es Menschen, die sind stark auf ihr Auto angewiesen: Handwerker, vielleicht die Krankenschwester, die so früh zur Arbeit fährt, dass sie keine U-Bahn nehmen kann. Es gibt aber auch Menschen, die können leicht verzichten und wollen das vielleicht sogar. Fangen wir doch erst einmal mit denen an.

Viele verschiedene Interessen liegen über Kreuz. Es ist ein ziemlicher Knoten, der da gelöst werden muss. Wie optimistisch sind Sie denn, dass wir unsere Städte auf den Klimawandel einstellen?
Mich ärgert manchmal, wie oft dieses Mantra – wie schwierig doch alles ist – immer wiederholt wird. Und umso stärker verfestigt sich das in den Köpfen der Menschen. Die Wege sind natürlich schwierig. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass das Ziel einen Mehrwert für alle darstellt.





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