Das Video einer Tiktok-Influencerin hat verdeutlicht, was die meisten ohnehin immer geahnt haben: Die Generation Z, also die ab Ende der 1990er-Jahre Geborenen, hat keine Lust auf Arbeit. In dem Clip ist eine junge Frau zu sehen, die weinend konstatiert: „8-Stunden-Werktage sind total verrückt!“ Sie habe danach keine Energie mehr für Freizeit.

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Die vermeintlich arbeitsfaule Generation Z und die etwas ältere Generation Y ist daher aktuell ein heiß diskutiertes Thema. Doch viele Annahmen beruhen lediglich auf Alltagsbeobachtungen. Martin Schröder, Soziologe an der Universität des Saarlandes, hat nun untersucht, was an den Zuschreibungen dran ist.

Herr Schröder, warum sprechen wir aktuell so oft über vermeintliche oder tatsächliche Generationenunterschiede?

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Ich glaube, das ist kein neues Phänomen, sondern war schon immer so. Aus dem antiken Griechenland gibt es Schriften, in denen den Jungen vorgeworfen wird, die Alten nicht mehr zu ehren. Es ist natürlich eine interessante Frage, warum diese gegenseitigen Vorwürfe so tief in unserem Geist verwurzelt sind.

Auch Sie haben sich zuletzt mit Generationenunterschieden befasst. Wie kam es dazu?

In diesem Fall war es so, dass eine Literaturagentur an mich herangetreten ist, eben weil das Thema so fasziniert. Ich könne ja ein Buch darüber schreiben, dass die Generationen Y und Z keine Lust hätten zu arbeiten. Das wisse eigentlich jeder und ich solle das jetzt mal wissenschaftlich nachweisen. Ich habe dann gedacht, dass ich die mangelnde Arbeitsmotivation ja die ganze Zeit bei den Studierenden in meinen Seminaren sehe und ich das sicher einfach nachweisen könnte.

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Und haben Sie die Generationenunterschiede gefunden?

Ich habe insgesamt fast 600.000 Befragungen genutzt, mit Menschen aus über 100 Ländern. Während ich an dem Projekt gearbeitet habe, war ich zwischenzeitlich aber etwas verzweifelt, weil ich so gut wie keine Unterschiede zwischen den Generationen feststellen konnte. Ich dachte mir, irgendwas muss ich falsch gemacht haben. Meine und unser aller Alltagswahrnehmung muss sich doch irgendwie in den Daten wiederfinden.

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Haben Sie den Fehler gefunden?

Es gibt keinen Fehler, zumindest soweit ich weiß nicht in meiner Untersuchung, wohl aber in unseren Annahmen. Wenn man von Generationen spricht, geht man davon aus, dass man Einstellungen durch das Geburtsjahr der Menschen erklären kann – unabhängig davon, wie alt sie gerade sind und ob ich sie heute oder in 20 Jahren befrage. Diese beiden Faktoren sind aber entscheidend: Menschen verändern ihre Einstellungen, wenn sie älter werden. Zum Beispiel werden sie etwas konservativer. Und natürlich entwickeln sich Einstellungen in der gesamten Gesellschaft über die Zeit weiter. Wenn man beides statistisch rausrechnet, bleiben keine Generationeneffekte mehr übrig. Wir verwechseln also die Effekte von Alter und gesellschaftlicher Veränderung mit den Effekten von Generationenzugehörigkeiten.

Martin Schröder ist Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes.

Martin Schröder ist Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes.

Was bedeutet das konkret in Bezug auf die Arbeitsmotivation der Generationen?

Zusammenfassend könnte man sagen, dass wir alle weniger motiviert für Arbeit sind als Menschen früher und dass junge Menschen schon immer unmotivierter waren als ältere. Generationenunterschiede gibt es auch nicht bei der Frage, wie wichtig Urlaub und Freizeit sind oder wie wichtig gute Arbeitszeiten wahrgenommen werden. Das gilt übrigens nicht nur für Deutschland, die Daten zeigen das Gleiche für viele andere Länder.

Was glauben Sie, warum spielt die Generation offenbar keine Rolle bei der Arbeitsmotivation?

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Wenn man von Generationen spricht, dann vermutet man, dass bestimmte Ereignisse, die ein Altersjahrgang im Jugendalter erlebt hat, nur diese Gruppe prägen, das aber ein Leben lang. Zum Beispiel beim Ersten Weltkrieg wäre das plausibel, weil bestimmte Jahrgänge in der Jugend psychisch stark geschädigt wurden. Andere, die zu alt oder zu jung zum Kämpfen waren, jedoch nicht. Die Gründe, die für heutige Generationeneffekte oft genannt werden, sind demgegenüber geradezu lächerlich. Ob bestimmte Jahrgänge mit SMS oder Whatsapp aufgewachsen sind, rechtfertigt keine Unterscheidung dieser Menschen in verschiedene Generationen, obwohl genau solche Unterscheidungen in der Literatur zu finden sind.

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Warum versuchen wir trotzdem, alles Mögliche mit Generationenzugehörigkeit zu erklären, wenn es eigentlich gar keinen Zusammenhang gibt?

Ich glaube, es gibt zwei Gründe. Erstens stimmt ja zunächst die Beobachtung, dass im Vergleich die jungen Menschen weniger Lust auf Arbeit haben. Nur sind es eben keine Generationeneffekte, sondern Junge waren schon immer weniger motiviert zu arbeiten und wir alle sind es heute weniger als früher. Der zweite Grund ist leider ein schlechter: Menschen diskriminieren einfach gerne. Wir teilen andere gerne in Gruppen ein und mit Vorliebe so, dass wir dann zu der besseren Gruppe gehören – also zum Beispiel zu den fleißigen Boomern. Das ist auch der Grund, warum Forschung, die Generationeneffekte anzweifelt, kaum Beachtung findet. Meine Ergebnisse sind eigentlich nicht die ersten dieser Art.

Wir halten also an Vorurteilen fest, weil sie uns besser erscheinen lassen?

Genau. Bei Frauen und Männern behauptet niemand ernsthaft, dass es wegen des Geschlechts eine unterschiedliche Arbeitsmotivation gibt. Bei den meisten Stereotypen wie Sexismus und Rassismus haben wir zum Glück ein Problembewusstsein, die Diskriminierung ist sogar strafbar. Nur beim „Generationismus“ verwenden wir die Zuschreibungen völlig selbstverständlich.

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Was wird denn nun eigentlich aus dem geplanten Buch?

Das werde ich nicht schreiben. Seite für Seite zu erklären, dass es keine Unterschiede zwischen Generationen gibt, wäre nicht so spannend. Für mich persönlich ist das völlig okay. Aber allgemein ist es etwas deprimierend: Die Generationen-Gurus und Jugendforscher mit den steilsten Thesen bekommen am meisten Aufmerksamkeit und verdienen damit gutes Geld. Es gibt Leute, die finanziell darauf angewiesen sind, falsche Thesen über die Generationen zu verbreiten.



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