Beim Formel‑1-Saisonstart in Bahrain präsentierte er vor den TV-Kameras seine eigene heile Welt, die in Wahrheit längst nicht mehr existiert: Red-Bull-Teamchef Christian Horner, Hand in Hand mit seiner Ehefrau, dem ehemaligen Spicegirl Geri Halliwell im weißen Kleidchen, tapfer lächelnd, aber doch verkrampft, sodass die eher peinliche Inszenierung deutlich wurde.

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Denn Horner steht seit Wochen in der Kritik, seit ihm eine untergebene Mitarbeiterin das vorwarf, was offiziell „unangemessenes Verhalten“ genannt wurde, wobei es aber mit ziemlicher Sicherheit um sexuelle Anzüglichkeiten und Übergriffigkeiten geht. Entsprechende Chats und unappetitliche Fotos wurden anonym geleakt. Als Fake bezeichnet Horner sie nicht, er sagt dazu immer nur, er kommentiere keine anonymen Quellen und bleibe bei seinen Aussagen, er sei unschuldig, was ja schließlich auch der Red-Bull-Konzern nach einer Untersuchung festgestellt habe.

Womit die Sache kompliziert wird. Denn Horner ist auch Mitspieler und Symbol in einem Machtkampf innerhalb von Red Bull – und zwar nicht nur im Rennteam, sondern im Gesamtkonzern des Energydrink­herstellers, einer GmbH. Dort gibt es seit dem Tod von Firmengründer Dietrich Mateschitz zwei Fraktionen, die einander gegenüberstehen: Der thailändische Mehrheitsgesellschafter Chalerm Yoovidhya mit seinen 51 Prozent und die österreichisch-deutsche Seite mit Mateschitz-Sohn Mark Mateschitz, der die 49 Prozent seines Vaters erbte, und seinem für alle Sportfragen zuständigen CEO Oliver Mintzlaff.

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Horner und Red Bull Racing – das gehört von Anfang an zusammen. Der 50-Jährige steht seit der Stunde null des Teams an der Spitze. Als Dietrich Mateschitz 2004 das Jaguar-Team kaufte und zu Red Bull machte, holte er – auf Empfehlung von Bernie Ecclestone und mit Unterstützung von Helmut Marko, seinem Beraters in Motorsportfragen von Beginn an – den jungen Horner als Teamchef. Der hatte damals eine nicht besonders erfolgreiche Rennfahrer­karriere hinter sich, sich aber als Teamchef in der Formel 3000, der heutigen Formel 2, mit dem Aufbau des Arden-Teams bereits bewährt.

Horner sieht sich als Macher

Das Wachsen von Red Bull Racing über die Jahre zu einem Erfolgsteam und der Ausbau des Firmensitzes in Milton Keynes zum Technologiezentrum (Red Bull Powertrains, Red Bull Tech) geschah unter der Führung von Horner, der zuletzt 13 Millionen Euro im Jahr verdiente. Mit diesen kommerziellen Erfolgen im Rücken wuchs auch sein Selbstbewusstsein, sich als der wahre Macher des Teams zu sehen, unabhängig von Schlüsselfiguren wie Designgenie Adrian Newey oder einem „Überfahrer“ wie Max Verstappen oder auch Marko, den er im Herbst 2023 schon mal aus dem Team zu drängen versuchte. Damals musste er einen Rückzieher machen – weil sich Verstappen hinter Marko stellte. Aber Horner schaffte es im Laufe der Zeit immer mehr, sich bei der Thai-Seite, die eher am wirtschaftlichen als am sportlichen Aspekt interessiert ist, als unentbehrlich zu präsentieren.

Christian Horner und Berater Helmut Marko zeigen sich vor dem Grand Prix in Saudi-Arabien.

Christian Horner und Berater Helmut Marko zeigen sich vor dem Grand Prix in Saudi-Arabien.

So stellte die sich bis jetzt hinter ihn. Der „unabhängige“ Anwalt, der den Fall untersuchen sollte, wurde von der Thai-Fraktion – auf Empfehlung von Bernie Ecclestone, Horners Trauzeugen – bestellt und bezahlt. Dessen 150-seitigen Abschlussbericht bekamen Mintzlaff und Co., die Horner schon Anfang Februar allein aufgrund der in der Konzernzentrale in Fuschl vorliegenden Dokumente entlassen wollten, aber durch die Besitzverhältnisse nicht konnten, wohl nicht einmal zu sehen. So konnte die kurze Pressemitteilung in die Welt gesetzt werden, nach Abschluss der Untersuchung sei Horner „freigesprochen“, die Vorwürfe zurückgewiesen – ohne jede weitere Information.

Für Horner ist das genug, um darauf zu beharren, seinen Platz zu behalten. Die Frage ist, ob er dem Druck von außen auf Dauer standhalten kann. Die Formel 1 ist durch Rechteinhaber Liberty Media heute amerikanisch kontrolliert, Ford, künftiger Motorenpartner von Red Bull ab 2026, ein amerikanischer Konzern. In den USA sind seit #MeToo Themen mit sexuellem Kontext extrem heikel. Ford-Boss Jim Farley forderte in einem offenen Brief bereits „volle Transparenz“. Teamintern steht auch Adrian Newey inzwischen nicht mehr auf der Seite von Horner, sondern auf der von Verstappen und Marko. Sky-Experte Ralf Schumacher sagt: „Wenn Christian Horner mit aller Gewalt an seinem Sitz festhält, beschädigt er Red Bull. Das Team zerstört sich gerade von innen selbst.“

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Am vorherigen Wochenende in Dschidda schien die Eskalation nur wenige Augenblicke entfernt: Erst hatte sich Horner auf der Fia-Teamchef-Pressekonferenz für viele Beobachterinnen und Beobachter schon lächerlich gemacht, weil er sich komplett als Opfer darstellte und um Bedauern für sich und seine „arme Familie“ warb.

Kurz vor dem Qualifying kamen dann zunächst in englischen Medien, wohl gezielt gestreut, Gerüchte auf, Red Bull wolle Marko suspendieren – wegen Weitergabe interner Informationen. Interessanterweise hätte eine solche Entscheidung gar nicht von Horner allein kommen können, denn Marko, Motorsport­koordinator der ersten Stunde bei Red Bull, Vertrauter des 2022 verstorbenen Red-Bull-Gründers Mateschitz, ist nicht beim Rennteam, sondern bei der Red Bull GmbH angestellt. Also müssten die Thais ihre Hand im Spiel gehabt haben.

Marko stellte sich daraufhin jedenfalls vor die TV-Kameras, bei ORF und Sky Deutschland, und bestätigte: Ja, es könne sein, dass er schon in zwei Wochen in Australien nicht mehr dabei sei.

Ob durch eine Suspendierung oder aufgrund seiner eigenen Entscheidung, ließ er dabei offen: „Ich habe morgen noch einmal ein Gespräch mit meinem Chef. Aber es muss alles passen, damit ich da überhaupt weiter arbeiten will.“ Mintzlaff war da schon auf dem Weg nach Saudi-Arabien, um Schaden vor allem vom Gesamtkonzern abzuwenden und auch etwas Ruhe ins Rennteam zu bringen.

Verstappen positioniert sich

Nötig, denn die Drohungen gegen Marko riefen Weltmeister Verstappen auf den Plan: Der stellte sich hinter seinen Mentor, drohte indirekt mit einem Weggang: „Ich habe großen Respekt vor Helmut. Wir haben zusammen sehr viel erreicht. Er und Didi Mateschitz haben das Team von Tag eins an aufgebaut. Deshalb sind ihm alle Loyalität schuldig. Auch ich.“ Er habe auch jedem im Team klargemacht, „dass Helmut eine Schlüsselfigur in unserem Team ist und dass es wichtig ist, dass er bleibt. Er war und ist ein wichtiger Bestandteil meiner Entscheidungen, auch für die Zukunft. Wenn eine so wichtige Stütze uns verlassen würde, wäre das auch nicht gut für mich und für das Team, denn am Ende zählt die Gesamtleistung eines Teams.“

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Im Fahrerlager, speziell im Team selbst, mehrten sich Stimmen, die behaupten, dass Horner sich auf einem Egotrip befinde. Der glaube „allen Ernstes, dass er auch ohne Verstappen, Newey und Ford gewinnen kann, weil er sich für den Architekten des Erfolgs hält“. Aus Italien kamen Informationen, dass Ferrari versuche, die Situation auszunutzen. Sowohl Newey als auch seine rechte Hand, Technikdirektor Pierre Waché, stünden auf der Abwerbeliste und seien erneut angesprochen worden. Und neben Ford, dem geplanten Motorenpartner ab 2026, hat auch der derzeitige, Honda, inzwischen in einem Statement Transparenz und die Aufklärung der ganzen Affäre gefordert.

In der Formel 1 aktuell nicht zu stoppen: Weltmeister Max Verstappen trotzt dem Chaos bei seinem Rennstall Red Bull.

In der Formel 1 aktuell nicht zu stoppen: Weltmeister Max Verstappen trotzt dem Chaos bei seinem Rennstall Red Bull.

Am vorherigen Samstag, dem Renntag, eine Kehrtwende: Marko und Mintzlaff kamen nach einem Meeting in Dschidda ins Fahrerlager – demonstrierten Einigkeit. Beide bestätigten ein „gutes Gespräch“, Marko: „Natürlich muss wieder Ruhe ins Team einkehren. Das hat Priorität. Wir waren uns in allen Punkten einig.“ Nachfrage: Das heißt, er macht weiter? Marko: „Ja, ich mache weiter.“ Die ganze Saison und auch die ganze Laufzeit des Vertrags? „Das sind drei Jahre, aber wie gesagt, es muss wieder Ruhe einkehren.“ Er erwähnte auch: „Die Dinge müssen geklärt werden. Wenn jemand schon vorhatte, mich zu suspendieren, gibt es dafür keine rechtliche Grundlage.“

Boykott­aufrufe feministischer Frauengruppen gegen Red Bull

Was schon andeutete – die Sache ist noch nicht vom Tisch. Der Auftritt von Mintzlaff und Marko zeigte jedoch: Die österreichisch-deutsche Seite ist nicht gewillt, klein beizugeben. Am Sonntag gab es in Dubai Gespräche zwischen Mintzlaff, dem zweiten Red-Bull-Geschäftsführer Franz Watzlawick und Yoovidhya.

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Es schien, dass Mintzlaff glaubte, er könne der Thai-Seite klarmachen, dass deren Unterstützung Horners ein Risiko für das Image des Konzerns bedeute – und damit auch für die Verkaufszahlen. Schließlich gab es gerade aus den USA schon Boykott­aufrufe feministischer Frauengruppen gegen Red Bull. Kurz nach dem Gespräch gab es Gerüchte, Yoovidhya sei bereit, nachzugeben, Horner könne eventuell schon vor dem Australien-GP am nächsten Wochenende freigestellt werden. Eine Bestätigung stand bei Redaktionsschluss aus.

Von allein ist Horner sicher nicht bereit, das Feld zu räumen. Nach dem Rennen in Saudi-Arabien, dem erneuten Doppelsieg durch Verstappen und Perez, lieferte er auf Fragen zur Zukunft wieder endlose Antworten über die Ungerechtigkeit der Medien und der sonstigen Welt gegenüber dem Team, dessen hart arbeitenden Mitarbeitern und auch ihm selbst. Die betroffene Mitarbeiterin will inzwischen in England vor ein ordentliches Gericht gehen.



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