Berlin. Was haben die Schlümpfe und Deutschland gemeinsam? Nach der Ansicht des unbekannten Erstellers eines für die AfD werbenden Kurzvideos sind beide blau. Unter anderem dieses eher harmlos wirkende Video, verbreitet auf dem Tiktok-Account einer 16-jährigen Schülerin, hat Ende Februar den Einsatz von drei Streifenpolizisten an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern ausgelöst.
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In einer weiteren Onlineveröffentlichung soll die Schülerin erklärt haben, Deutschland sei kein Fleck auf der Landkarte, sondern Heimat. Der Direktor der Schule soll durch die E-Mail eines Hinweisgebers von diesen Veröffentlichungen erfahren haben. Am 27. Februar um 9.45 Uhr kontaktiert er deshalb die örtliche Polizei. Die Schülerin, so meldet er laut Polizeiangaben, habe mutmaßlich staatsschutzrelevante Inhalte verbreitet.
Die Polizei rückt mit zwei Beamten und einer Beamtin in Uniform aus. In der Schule angekommen, begutachten die Polizisten die Online-Veröffentlichungen und kommen zur Einschätzung: Es besteht kein Anfangsverdacht einer Straftat. Trotzdem findet kurz später ein Gespräch der Polizisten und des Schulleiters mit der Schülerin statt – eine sogenannte „Gefährderansprache“.
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Was die Mutter der 16-Jährigen sagt, und was die Polizei mitteilt
Rund zwei Wochen später, am 13. März, erfährt die Öffentlichkeit davon. Die Mutter der Schülerin spricht mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. „Das ist so eine heftige, mit Verlaub, Stasischeiße, ich hätte das in meinem ganzen Leben nicht für möglich gehalten, was meiner Tochter hier angetan wurde“, zitiert das Blatt die Frau. Ihre Tochter sei von den Polizisten aus dem Chemieraum der Schule geholt und durch die ganze Schule hindurch zum Lehrerzimmer eskortiert worden. „Und dann sagten die Polizisten zu meiner Tochter, dass zu ihrem eigenen Schutz die Beamten sie darum bitten möchten, solche Posts in Zukunft zu unterlassen“, berichtet die Mutter der Jungen Freiheit.
Die zuständige Polizeiinspektion Stralsund stellt den Vorgang etwas anders dar. „Da der Grat zwischen erlaubtem und strafbarem Handeln mitunter schmal ist, entschlossen sich die Beamten zusammen mit der Schulleitung, mit der 16-Jährigen ein Aufklärungsgespräch mit präventivem Charakter zu führen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Hierfür bat der Schulleiter die Schülerin aus dem Unterrichtsraum, während sich die Beamten in der Nähe auf dem Flur befanden und somit nicht von Mitschülern der Klasse wahrgenommen wurden“, schreibt die Polizei weiter. „Das Gespräch fand bei der Schulleitung statt. Dabei zeigte sich die Schülerin verständnisvoll gegenüber den polizeilichen Maßnahmen und dem präventiven Ansatz dahinter, da es darum ging, sie vor möglichen Anfeindungen zu schützen, die sich aus ihren Aktivitäten in sozialen Netzwerken ergeben könnten.“ Auch die Mutter sei telefonisch informiert worden und habe Verständnis für den Einsatz gezeigt.
„Racial Profiling darf es in Deutschland unter keinen Umständen geben“
Er ist der Erste auf diesem Posten: Der neue Polizeibeauftragte des Bundes beim Deutschen Bundestag, Uli Grötsch (SPD), warnt vor allem vor der Unterwanderung und Beeinflussung der Polizei durch Rechtsextremisten. In seiner Arbeit setzt er auf Kooperation – aber er könne auch robust vorgehen. Gewählt wurde er vom Bundestag am Donnerstag, am Freitag bekommt er seine Ernennungsurkunde.
Infrage steht seitdem nicht nur, ob es angemessen war, dass die Polizisten dieses Gespräch mit der 16-Jährigen führten. Schon die anfängliche Verständigung der Polizei durch den Schulleiter erscheint vielen Beobachtern überzogen. Schließlich lässt sich bei beiden in Rede stehenden Social-Media-Veröffentlichungen auch ohne juristisches Fachwissen leicht erkennen, dass es sich nicht um strafbare Inhalte handelt.
Schulleiter hätte andere Möglichkeiten gehabt
Zudem hätte der Schulleiter offenbar weitere Möglichkeiten gehabt, sich über eine mögliche Strafbarkeit zu vergewissern. „Wir halten in Mecklenburg-Vorpommern eine ganze Reihe an Unterstützungssystemen vor, um Schulen in diesen Fragen, zum Beispiel bei Verdacht auf Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, zu unterstützen“, erklärt Daniel Trepsdorf, Leiter des Regionalzentrums für demokratische Kultur Westmecklenburg in der Landeshauptstadt Schwerin. „Von den Schulämtern über das Landesberatungsnetzwerk bis hin zu den Demokratiezentren stehen geschulte Fachkräfte zur Verfügung. Ebendiese begleiten beraterisch sowie sozialpsychologisch die Jugendlichen und Pädagogen, die Eltern und die Leitung der jeweiligen Bildungseinrichtung“, sagt Trepsdorf. Dazu gehöre auch die koordinierte Abstimmung mit Polizei und Justiz. Vor diesem Hintergrund sei das Gebot der Stunde aber, „nicht zu eskalieren, sondern im Gegenteil sensibel zu agieren, Interventionsmöglichkeiten fallspezifisch zu prüfen und Handlungswege offenzuhalten“. Auch für die betreffende Schule in Ribnitz-Damgarten halte das Landesberatungsnetzwerk „passende Instrumente und Methoden für eine konstruktive Auseinandersetzung mit einer herausfordernden Thematik bereit“.
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Nach der Veröffentlichung der Jungen Freiheit steht nun der Schulleiter im Fokus der Öffentlichkeit. Mehrere Politikerinnen und Politiker der AfD greifen den Fall auf. AfD-Chefin Alice Weidel erklärt, der Fall zeige die Methodik auf, „mit der die politische Elite gegen Andersdenkende vorgeht“, Beatrix von Storch erstattet Anzeige gegen den Schulleiter – wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung und der Nötigung.
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Staatsschutz ermittelt nach Bedrohungen
Die mutmaßlich überzogene Reaktion eines einzelnen Schulleiters wird in der Darstellung rechtspopulistischer Onlinemedien und rechter bis rechtsextremer Politiker und Aktivisten zum Symptom für eine vermeintlich flächendeckend stattfindende Umerziehungskampagne von links erklärt.
Der rechtsextreme österreichische Identitären-Aktivist Martin Sellner verbreitet unterdessen auf Telegram die Kontaktdaten der Schule, mit dem Hinweis, dort könne man den Schulleiter erreichen. In zahlreichen Online-Veröffentlichungen wird der Mann mit vollem Namen und Foto an den Pranger gestellt.
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Deshalb ist die Polizei nun ein weiteres Mal im Umfeld der Schule tätig. Ein Sprecher des Schweriner Bildungsministeriums teilt auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) mit: „Aufgrund von zahlreichen E-Mails und Drohanrufen an der Schule ermittelt inzwischen der polizeiliche Staatsschutz.“
Der Polizeieinsatz am 27. Februar soll nun auch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern thematisiert werden. Die CDU-Landtagsfraktion forderte am Freitag, Sondersitzungen des Innen- und Bildungsausschusses anzusetzen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Daniel Peters bezeichnete die bisherigen Erklärungen der Landesregierung zu dem Vorfall als unbefriedigend.