Das Gespräch mit einem Schulleiter , das wir kürzlich geführt haben, ist in hoher Frequenz kommentiert worden. Im vergangenen Jahr haben wir zwei Interviews  mit dem Ex-Lehrer Tayfun Taylor geführt. Was sagt er zum Rundumschlag des Rektors?

Hier einige Statements des Rektors in Kurzfassung:

– „Wir haben von Jahr zu Jahr mehr mit selbstbezogenen jungen Menschen zu tun, die sich an keinerlei Regeln halten“

– „Jeder Schulleiter kann sofort eine Reihe von Kollegen nennen, die er lieber heute als morgen los wäre – ohne dafür irgendeine Handhabe zu haben.“

– „Das eigentliche Problem sitzt in der Politik. Und in der Bildungsforschung, auf deren Grundlage Politik gemacht wird. Leidenschaftslos, ohne Mut – Hauptsache, die Vorschriften sind richtig eingehalten.“

FOCUS online: Herr Taylor, was waren Ihre Gedanken, als Sie das Interview gelesen haben?

Tayfun Taylor: Zwei Dinge. Erstens: Zum Glück habe ich diesen Job damals nicht gemacht und war weitsichtig genug, das Angebot abzulehnen.

Welchen Job meinen Sie? Schulleiter?

Ja, ich war bereits als Rektor an einer Schule im Gespräch. Aber ich habe den Schirm gezogen, bin heute in der freien Wirtschaft tätig.

Und Ihr zweiter Gedanke?

Das ein wichtiger Aspekt im Interview fehlt. Das Thema Führungskompetenz. Verständlich, dass der Schulleiter das ausspart und nur die eigene Perspektive beleuchtet. Ich will dem Pädagogen auch keinesfalls pauschal Führungsschwäche oder so etwas unterstellen.

Im Interview hat er viele gute Sachen gesagt, den Finger in die Wunde gelegt. Er hat das schwierige Thema Motivation bei Lehrern angesprochen. Dann die schwerfälligen Behörden. Und natürlich die teils wirklich schwierige Klientel.

„Der Aspekt der Führungskompetenz darf nicht ausgelassen werden“

Aber?

Wenn wir das System Schule ernsthaft verändern wollen, müssen wir uns darüber hinaus die Führungsthematik anschauen. Ich denke da zum Beispiel an meine eigene Zeit als Lehrer zurück – und an eine dauerüberforderte Rektorin. Ich hatte gerade mein Referendariat abgeschlossen, war Beamter auf Probe.

Heißt: Ich hatte keinerlei Sicherheit und hätte es schon allein deswegen nicht gewagt, mich auf die Hinterfüße zu stellen. Schon einen Tageslichtprojektor, der im Lehrerzimmer an der falschen Stelle stand, genügte, und die Schulleiterin ist völlig ausgeflippt und hat angefangen herumzuschreien.

Auch im Umgang mit der Schülerschaft war das Verhalten der Dame unterirdisch. Ein Beispiel: Zwei meiner Schüler sollten ein Referat halten, hatten aber ihre Materialien nicht dabei. Ich gab jeweils eine Sechs. Daraufhin wurde ich zusammen mit den Schülern zur Schulleiterin zitiert.

Ich sollte die Noten vor den beiden Jugendlichen zurückziehen. Ich sag mal so: Mehr Führungsschwäche geht nicht. Über die Art der Benotung hätte man natürlich sprechen können. Aber erst mal unter vier Augen. Nicht vor den Schülern!

Glauben Sie, dass Schulleiter oft führungsschwach sind?

Ehrlicherweise ja.

Fehlender Leistungsanreiz

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ein Punkt ist sicher der fehlende Leistungsanreiz. Finanziell hat man kaum was davon, wenn man Schulleiter wird. Konkret: Als Lehrer an einer Grund-, Haupt- oder Realschule bin ich in der Besoldungsgruppe A 12. Als Rektor einer kleineren Schule bekomme ich vielleicht A12 Z.

Das Z steht für Zulage. Das sind brutto um die 150 €. Im Klartext: Der jährliche Stundenlohn sinkt durch den Aufstieg, denn dieser bedeutet Mehrarbeit. Kein Manager würde so etwas machen. Für jemanden, der in der freien Wirtschaft Geld verdient hat, ist so etwas der Wahnsinn.

Lohnt die Leitung einer größeren Schule eher?

In einigen Fällen bekommt man als Schulleiter hier tatsächlich A 13, in seltenen Ausnahmefällen A 14. Wir reden hier über ein Plus von drei- bis vierhundert € brutto. Davon bleiben am Ende vielleicht 200 € übrig. Noch mal: Wer macht so etwas? Wofür?

Ist eine zu schlechte Bezahlung aus Ihrer Sicht das Hauptproblem in Sachen Führung an Schulen?

Ja, neben der fehlenden Ausbildung. Ein Beispiel: In der Schweiz, im Kanton Zürich etwa, durchlaufen Lehrer zwei Jahre lang eine separate Ausbildung zum Schulleiter. Böse gesagt: Da wird man nicht deswegen genommen, weil man sich gut verhalten hat – da gibt es eine Qualifikation, die der Sache eine gewisse Substanz verleiht.

Ich kenne die Inhalte der Ausbildung nicht im Detail, aber ich bin sicher: Führung ist ein Thema. Ich habe selbst an einer Schweizer Schule gearbeitet und gespürt: Da weht ein anderer Wind.

„Der Rektor ist eher Rudelführer“

Das klingt sehr allgemein.

Es wird größer gedacht, könnte man vielleicht auch sagen – wirtschaftlicher. Klar, das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Lehrer in der Schweiz nicht verbeamtet sind.

Wenn man ein Team führen möchte und keinen Hebel hat, ist das relativ schwierig. In Deutschland gilt nun mal das Prinzip „Primus inter pares“. Das ist Latein…

… und bedeutet?

Der Erste unter seinesgleichen. Ich übersetze mal frei: Der Rektor ist nicht so richtig Chef, eher Rudelführer.

Und wo liegt der Unterschied?

Die Nummer eins im Rudel ist schnell mal angezählt und hat dann nichts mehr zu sagen. Siehe der in die Jahre gekommene Wolf. Sicher, auch Chefs treten ab, aber der Prozess ist ein anderer. Im Rudel fehlt neben den Hebeln einfach diese gewisse Distanz, die in der freien Wirtschaft selbstverständlich ist.

Die kommt schon allein durch das Prinzip der Gewinnmaximierung. Als Chef will ich, dass das Unternehmen besser läuft. Ich kann mir das schlicht nicht leisten, wenn die meisten Mitarbeitenden so rumschlumpfen. Übrigens, damit fängt es ja schon an. Mit dem Begriff Mitarbeitende. Mitarbeitende sind was anderes als Kollegen – so wie an einer Schule.

Wenn Freunde zum Chef werden

Bitte erklären Sie uns auch hier den Unterschied.

Der kommt vor allem bei der Leitungsebene zum Tragen. Gerade an den kleinen Schulen kommt die Schulleitung oft aus den eigenen Reihen. Plötzlich ist man also Führungskraft. Freundschaften im Lehrerkollegium sind Usus. Das bedeutet: Mein Freund ist jetzt also mein Chef.

Das ist schwierig. Dazu kommt, dass es den vermeintlichen Führungskräften an Erfahrung fehlt. Und Erfahrung ist nun mal das A und O, wenn man führen möchte. Du bist jetzt Schulleiter – so funktioniert das nicht. Das müsste man anders organisieren.

Wie?

Der Pädagoge oder die Pädagogin sollte erst mal nur für einen Bereich die Verantwortung tragen. Und sowieso: Weshalb sollten nur Pädagogen Schulen leiten können? Möglicherweise sind Kräfte, die eben nicht aus den eigenen Reihen kommen, viel besser geeignet. Nochmal: Eine gewisse Distanz würde guttun.

Machen wir uns klar, Führung die mit Abstand schwierigste Aufgabe im Unternehmen. Unternehmen, die gut geführt sind, funktionieren selbstverständlich besser als führungsschwache Organisationen.

Die Ausführungen des Schulleiters, den wir interviewt haben, wurden unterschiedlich kommentiert. Es gab viel Zustimmung. Von „zutreffender Analyse“ war die Rede, der Schulleiter würde es „auf den Punkt“ bringen, hieß es. Ein ehemaliger Schulleiter hingegen widersprach dem Kollegen – „und zwar gründlich“.

Ich zitiere: „Alles, was er sagt, kommt tatsächlich so vor. Aber das muss nicht so sein. Wenn ein Schulleiter mit seinem Führungsteam und allen Instrumenten einer guten inneren Führung alle im Boot hat (…) – dann sieht es völlig anders aus.“ Dafür gebe es genug lebendige Beispiele.

Jede Schule ist anders. Wir finden Schulen in Gemeinden, die Geld haben, wir finden Brennpunktschulen… es wäre doch ein Witz, dass alles in einen Topf werfen zu wollen.

Der eigentliche Chef ist die Landesschulbehörde

Allerdings hört und liest man immer wieder Beispiele von Brennpunktschulen, die besonders gut aufgestellt sind.

Es gibt auch Beispiele von Menschen, die im Lotto gewonnen haben – und die anderen 6 Millionen haben das nicht. Schule ist extrem reguliert, das ist Fakt. Ich vermute, der Spielraum des Rektors ist wirklich sehr gering. Wir dürfen nicht vergessen: Als Schulleiter entscheidest du nicht allein. Ganz und gar nicht. Dein Chef ist die Landesschulbehörde.

Gibt es etwas, was Sie dem Leiter eines Gymnasiums spontan raten würden?

Schwierig. Etwas Distanz würde sicherlich guttun. Der Mann sitzt zwischen ziemlich vielen Stühlen, scheint mir ziemlich belastet zu sein. Daher wird es ihm vermutlich schwerfallen, seiner wichtigsten Aufgabe nachzukommen.

Was halten Sie denn für die wichtigste Aufgabe?

Ein Schulleiter muss Rückgrat haben. Er muss zu den Dingen stehen, die er sagt. Dafür braucht er zunächst mal einen Fahrplan: Wofür steht diese Schule? Wo will ich mit ihr hin?

Als Schulleiter kann man es nicht allen recht machen

Das klingt groß.

Natürlich. In einer leitenden Position benötige ich eine Vision. Leute aus der freien Wirtschaft wissen das. Sie wissen: Ich kann nicht alles erreichen, muss mir Schwerpunkte aussuchen. Ganz einfach deshalb, weil es immer Schwerpunkte gibt, die in Konkurrenz zueinander stehen.

Ganz banal: Als Schulleiter werde ich es nie in allen Situationen, sowohl meinem Kollegium als auch der Elternschaft, recht machen können.

Und wie löse ich das dann?

Ich muss mich als Rektor hinter mein Kollegium stellen. Aber nicht wachsweich und beliebig, sondern auf Grundlage einer eigenen Schulkultur. Die kann zum Beispiel so aussehen, dass unter anderem klar ist: Wenn ein Schüler keine Leistung erbringt, gibt es eine Sechs.

Nur, weil vielleicht zwei Popel-Eltern Druck machen, knicke ich nicht ein.

„Kein Manager wird an die Schule gehen“ – Tipp für die Schulen

Kommen wir noch mal zum Punkt Schulleiter-Ausbildung. Für einige Bundesländer wird derzeit diskutiert, ob ein Teil der Leitungsaufgaben an Schulen von so genannten „Schulmanagern“ übernommen werden könnte*. In NRW wurde am Ministerium eine Arbeitsgruppe dazu gebildet

Sorry, diese Diskussion ist für den A… Kein Manager wird an die Schule gehen. Was soll er da? Bei einem Unternehmen kann er die Umsätze steigern, er kann ein kleines Unternehmen zu einem großen Unternehmen machen. Die Grundschule wird immer eine Grundschule bleiben.

Das kommt jetzt ehrlich gesagt so rüber, als würde sich das Ding zwangsläufig im Kreis drehen. Frust ist aus Ihrer Sicht bei Schulleitern früher oder später programmiert – verstehe ich das richtig? Im Hinblick auf ein insgesamt krisengebeuteltes Bildungssystem klingt das einigermaßen aussichtslos…

… finde ich nicht. Ich sehe durchaus Möglichkeiten für eine Entwicklung zum Besseren.

Und welche wären das?

Das Wichtigste: Es muss eine eigene Ausbildung für Schulleiter geben. Schulleiter muss auch jemand werden können, der bislang nichts mit dem System Schule zu tun hatte.

Klar sollte er eine Idee vom Unterrichten haben. Aber dafür reichen Einblicke, dafür muss man nicht Lehrer gewesen sein. Vermutlich ist es sogar besser, man war genau das nicht.





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