Brüssel. Die EU-Staaten haben nach wochenlangen Nachverhandlungen dem europäischen Lieferkettengesetz und der neuen Verpackungsrichtlinie zugestimmt. Beim Treffen der EU-Botschafter in Brüssel gab es für beide Gesetzestexte eine qualifizierte Mehrheit, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus Diplomatenkreisen erfuhr. Da Deutschland dem Lieferkettengesetz wegen Bedenken der FDP nicht zustimmen konnte, galt eine Mehrheit lange Zeit als unsicher. Der belgischen Ratspräsidentschaft gelang es schließlich, Deutschland in den Verhandlungen zu isolieren und mit anderen Ländern eine Mehrheit zu organisieren. Bei der Verpackungsrichtlinie war das nicht nötig, da sich die Ampelregierung überraschend doch noch auf eine Zustimmung einigte. Allerdings fügte sie eine Protokollerklärung mit Bedenken hinzu.
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Die Verpackungsrichtlinie soll Müll reduzieren und Unternehmen dazu verpflichten, weniger oder zumindest nachhaltigere Verpackungen zu verwenden. Die Wirtschaft soll in der abgeschwächten Version aber nicht wie geplant für die Kosten aufkommen, die den Städten durch das Einsammeln des Verpackungsmülls entstehen.
Lieferkettengesetz nur für 5000 Unternehmen in der EU
Der größere Streitpunkt, das neue Lieferkettengesetz, soll Unternehmen verpflichten, Zwangs- und Kinderarbeit in der Lieferkette ihrer Produkte zu verhindern. Verstoßen sie dabei gegen ihre Sorgfaltspflicht, können sie haftbar gemacht werden. Dies wollte die FDP verhindern. Dazu soll sich Italien sogar zunächst auf einen Kuhhandel mit der FDP eingelassen haben: Verhindern die Italiener das Lieferkettengesetz, unterstützt die FDP sie bei der Blockade der Verpackungsregeln. Die Liberalen hatten dies offiziell zurückgewiesen. Kritiker warfen der FDP vor, die Blockaden seien „ideologisch motiviert“ und reiner Wahlkampf.
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„In Nachverhandlungen zur EU-Verpackungsverordnung konnten wir die italienische Zustimmung sowohl zur Verpackungsverordnung als auch zum EU-Lieferkettengesetz sichern“, sagte die SPD-Politikerin Delara Burkhardt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Dank kleiner Zugeständnisse konnten wir so die Blockade lösen und damit endlich das Lieferkettengesetz auf den Weg bringen, das weltweit zu mehr Umweltschutz und höheren Arbeitsstandards führen wird.“
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Das abgeschwächte Lieferkettengesetz soll nun erst für Unternehmen ab 1000 Angestellten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro gelten. Deutschland hat bereits ein eigenes Lieferkettengesetz für Konzerne mit mehr als 1000 Beschäftigten, das aber keine Umsatzschwelle und keine Haftung vorsieht. Das neue Gesetz betrifft nun gerade einmal 5000 Unternehmen in der ganzen EU.
Kritik an der FDP
„Menschenrechte siegen über eine massive Lobbykampagne und FDP-Klientelpolitik“, sagte die Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Anna Cavazzini (Grüne). Sie kritisiert, dass die FDP ihre Blockadehaltung bis zum Schluss beibehalten habe, obwohl der vorgeschlagene Kompromiss allen ihren Forderungen entgegengekommen sei. „Ein Bundeskanzler, der einen solch großen Schaden zu verantworten hat, sollte noch mal seinen europapolitischen Kompass prüfen.“ Die Union spricht von einem „PR-Gag“ der FDP. „Durch dieses Manöver war die Ampelregierung bei sämtlichen weiteren Verhandlungen außen vor“, so CDU-Politiker Daniel Caspary.
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Noch im vergangenen Jahr waren die Liberalen belächelt worden, als die FDP das Ende von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 blockierte. Seither drohte jedoch eine ganze Reihe von Kompromissen, auf die sich Parlament und Mitgliedsstaaten in nächtelangen Verhandlungen geeinigt hatten, an der Blockade der FDP zu scheitern. Beim Gesetz gegen Zwangsarbeit, bei strengeren CO₂-Grenzwerten für Lastwagen, bei Regeln für große Plattformen wie Uber oder jetzt beim Lieferkettengesetz: Die FDP sorgte mit ihrem Veto aus Berlin dafür, dass Deutschland nicht zustimmen konnte. Am Ende gab es dennoch eine Mehrheit, ob mit oder ohne deutsche Zustimmung.
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„Die Schattendiplomatie der FDP hinter dem Rücken der Bundesregierung zur Sabotage von EU-Gesetzen ist gescheitert“, sagte Burkhardt. „Dem Ruf der Bundesrepublik als verlässlichem Partner schadet die FDP damit jedoch weiterhin.“
Die Liberalen blockierten auffällig jene Gesetze, die Europa sozialer machen sollen. Als Grund führten sie fast immer eine aus ihrer Sicht zu hohe bürokratische Belastung für Unternehmen an. SPD und Grüne haben diese Argumentation immer wieder zurückgewiesen.
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Dass sich Deutschland gegen längst ausgehandelte Kompromisse stellt, stößt in Brüssel seit Monaten auf heftige Kritik. Möglich wird das Veto durch eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Danach muss sich Deutschland im Europäischen Rat enthalten, wenn auch nur ein Koalitionspartner ein EU-Gesetz ablehnt. Diese Möglichkeit nutzte der Juniorpartner FDP zuletzt immer häufiger. Da Deutschland als bevölkerungsreiches Land bei Abstimmungen viel Gewicht hat und eine Enthaltung wie eine Ablehnung zählt, war die Mehrheitsfindung immer schwieriger geworden.