Es ist keine Rückkehr: Es gab bloß plötzlich die Gelegenheit, noch einmal mit ihren beiden Töchtern auf diese Insel zu kommen, Korsika, wo sie einst verheiratet war und das sie überstürzt verließ. Jetzt, 15 Jahre später, nimmt Khédidja das Angebot einer wohlhabenden Pariser Familie an, im Urlaub für sie zu arbeiten. Und schon als die Arbeitgeberin am Fähranleger erscheint, liegt da bereits diese übertriebene Freundlichkeit in der Luft. Die Freundlichkeit der Reichen, die nicht reich genug sind, um ihr schlechtes Gewissen zu vergessen.

Die Rückkehr nach Korsika von Catherine Corsini handelt von einer Mutter und ihren beiden Töchtern, die sich der Frage nach ihrer Zugehörigkeit stellen. Khédidja (Aïssatou Diallo Sagna), Französin afrikanischer Herkunft, verströmt den Stolz einer Frau, die sich und ihre Kinder mit Putz- und Haushaltsjobs durchgekämpft hat. Die 18-jährige Jessica und die 15-jährige Farah hat sie allein aufgezogen. Die Ältere ist ehrgeizig, studiert Politikwissenschaften, die Jüngere eckt an, wo sie nur kann. Auf Korsika wird diese Kleinfamilie auseinanderfliegen und überraschend wieder zusammenfinden.

Suzy Bemba und Esther Gohourou, die Darstellerinnen der beiden Mädchen, sind schlichtweg eine Sensation. Ihr Spiel ist physisch, buchstäblich geladen, immer kurz vor der Explosion, sie fetzen und beleidigen einander: “Du baust nur Scheiße und hast nur Scheiße im Kopf!” Es ist ein cholerischer Pas de deux, eine Schwesternbeziehung zwischen heftiger Ablehnung und inniger Liebe. Im ersten Moment rasseln die beiden wie Kämpferinnen aneinander, im nächsten verbünden sie sich gegen ihre Mutter. Auf Dauer ist das Holzhäuschen in der Ferienkolonie aber zu stickig für Streit. Draußen locken Strand, Meer, das flirrende Licht und alles, was man in den Ferien mit Gleichaltrigen anstellen kann.

Immer wieder erzählt die 67-jährige Regisseurin Catherine Corsini von Prägungen, Vorurteilen, Klassenunterschieden, die in Beziehungen kollidieren. In Die Affäre (2009) sind es eine Frau aus der oberen Gesellschaft und ein Bauarbeiter, in Belle Saison (2015) eine Pariser Intellektuelle und eine junge Frau vom Land, für die Gefühle zu Standpunkten werden. In den besten Händen (2021) folgt unterschiedlichsten Menschen, Schicksalen in einer Pariser Notaufnahme während der Gelbwestenproteste. In Rückkehr nach Korsika (im Original: Le Retour) zeigt Corsini, was alltäglicher Rassismus für ihre Heldinnen bedeutet, einen permanenten Heimatentzug. Da ist das Gefühl, mit dem “falschen” Vornamen aufzuwachsen: “Was glaubst du, wer es leichter im Leben hat, Jessica oder ich?”, schreit Farah ihrer Mutter entgegen. Da ist der kurze, abweisende Blick eines weißen Urlaubers bei der Ankunft von Mutter und Töchtern in der Ferienkolonie. Der ausschließlich von Weißen bevölkerte Strand. Oder ein scheinbar unbeschwertes, von Rosé umspültes Abendessen: Wer steht auf und schneidet den Kindern der Pariser Familie das Grillgut?

Der korsische Vater der beiden halbwüchsigen Mädchen starb vor 15 Jahren bei einem Autounfall. Es sei schwer, ihn zu vergessen, da sie so wenige Erinnerungen an ihn habe, sagt Jessica. Ihre Mutter, das wird bald klar, ist ihr halbes Leben vor der Erinnerung geflohen. In diesem Film muss vieles endlich raus: die Angst vor der Vergangenheit, mütterliche Schuldgefühle, schwesterliche Eifersucht. Und auch die Liebe.

Zwischen den Szenen und Begegnungen zeigt Corsini die hitzeflirrende korsische Landschaft. Es sind Momente des Innehaltens, Fragens. Dann wieder verbündet sich die Kamera mit den Empfindungen der Figuren. Nach stürmischen Momenten erhebt sich der Wind, fährt durch die Bäume, wühlt das Meer auf. Am Ende ist der Blick auf die Insel klarer.

Rückkehr nach Korsika mag hochdramatische Momente haben, doch der Film ist auch getragen von einer großen Ruhe. Weil er seine Figuren sein lässt. Weil er ihnen die Freiheit des Sommers schenkt. Und immer wieder Situationen auslotet, in denen Figuren unterschiedlicher Generationen auf entspannte Weise Sex, keinen Sex oder irgendwas dazwischen haben.



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