Portugal steht vor einem politischen Richtungswechsel. Nach acht Jahren unter sozialistischer Regierung entfielen bei der Parlamentswahl am Sonntag mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf rechte Parteien. Als stärkste Kraft ging das konservative Wahlbündnis Aliança Democrática (AD) aus der Abstimmung hervor. Nach der Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen holte es zusammen mit seinem Ableger auf Madeira rund 29,5 Prozent. Die seit acht Jahren regierenden Sozialisten (PS) wurden, wenngleich knapp dahinter, nur noch zweitstärkste Kraft und kamen auf 28,7 Prozent.

AD-Spitzenkandidat Luís Montenegro erklärte sein Parteienbündnis in der Nacht zum Sieger, sein sozialistischer Rivale Pedro Nuno Santos räumte seine Niederlage ein und kündigte den Gang in die Opposition an. Die rechtspopulistische Partei Chega (“Genug”) entsprach den Vorhersagen der Wahlforscher und kam auf mehr als 18 Prozent.

Das Mitte-rechts-Bündnis kann versuchen, eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen

Rein rechnerisch kämen die Parteien rechts der Mitte somit auf eine absolute Mehrheit. Doch AD-Anführer Montenegro hatte bereits vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit dem Rechtsausleger Chega ausgeschlossen und dies auch in der Nacht zum Montag bestätigt. Bleibt er dabei, muss Montenegro trotz einer möglichen Unterstützung seitens der wirtschaftsliberalen Partei Iniciativa Liberal (IL, etwa fünf Prozent) versuchen, eine Minderheitsregierung auf die Beine zu stellen. Er werde “Dialog und Beratungen zwischen Parteien” anstreben, sagte Montenegro in seiner Siegesrede.

Dabei könnte AD-Chef Montenegro allerdings unter Druck geraten, da Teile seiner Partei einen Schulterschluss mit Chega befürworten. Der Spitzenkandidat der Sozialisten, Pedro Nuno Santos, gestand in der Wahlnacht seine Niederlage ein. Eine Minderheitsregierung der gemäßigt Konservativen werde er nicht mittragen, erklärte er.

Bricht nun die Brandmauer nach rechts? Chega-Spitzenkandidat André Ventura erklärte noch vor der Auszählung aller Stimmen, für eine Koalition mit der AD bereitzustehen und appellierte an die Verantwortung seiner politischen Konkurrenten. Portugal habe für ein Bündnis von AD und Chega gestimmt, sagte Ventura.

Es könnte in der PS zu einem Machtkampf kommen

Bei der Wahl im Januar 2022 hatte die sozialistische Partei PS unter Führung des bisherigen Premiers António Costa noch eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze erlangt. Nach dem Rücktritt des Premierministers im vergangenen November wurden die Sozialisten von dessen ehemaligem Infrastrukturminister Nuno Santos in die vorgezogene Neuwahl geführt und verzeichnen deutliche Stimmverluste. Auch gemeinsam mit weiteren linken und kommunistischen Parteien bleibt der linke Block in der Minderheit. Ob innerhalb der PS nun ein Machtkampf entflammt, dürfte sich in den kommenden Tagen zeigen.

Gut 10,8 Millionen Wahlberechtigte im In- und Ausland waren am Sonntag dazu aufgerufen, das mit 230 Abgeordneten besetzte portugiesische Parlament neu zu wählen. Noch vor Schließung der Wahllokale zeichnete sich ab, dass die Wahlbeteiligung diesmal deutlich höher liegen würde als bei den vorangegangenen Abstimmungen der Jahre 2019 und 2022. Fast zwei Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung gingen am Sonntag zu den Urnen, bei den letzten Wahlen lag die Beteiligung nur knapp über 50 Prozent.

Mit Spannung war das Abschneiden der Rechtspopulisten von Chega beobachtet worden, die noch vor fünf Jahren eine Ein-Prozent-Partei war. Ihr Chef Ventura konnte von einer laut Meinungsforschern weitverbreiteten Verdrossenheit profitieren. Er stellte sich als einzig unbelasteter Politiker dar und punktete in einem aggressiv geführten Wahlkampf mit populistischen Thesen zu Korruption, Sozialpolitik und Einwanderung.

Der Präsident muss nun über eine Regierungsbildung entscheiden

Zur Abstimmung standen 19 Parteien und Parteienbündnisse. Manche Parteien hatten sich zu sogenannten Vorwahlkoalitionen zusammengeschlossen. Eine solche war auch die Aliança Democrática (AD), die aus der Volkspartei PSD sowie zwei kleineren rechten Parteien besteht. Ihr Anführer, der PSD-Abgeordnete Luís Montenegro, hatte im Wahlkampf auf scharfe Töne verzichtet und versucht, eine möglichst breite Wählerschicht von seinen Zielen zu überzeugen.

Den Regierungschef wählt in Portugal indes nicht das Parlament. Diese Entscheidung bleibt dem Staatspräsidenten vorbehalten. Dieser, Marcelo Rebelo de Sousa, wird nun bis Ende dieser Woche mit allen Parteien sprechen und dann vermutlich den Kandidaten der Partei mit den meisten Stimmen beauftragen, eine Regierung zu bilden und ein Regierungsprogramm vorzulegen. Das Parlament wiederum hätte das Recht, diesen Vorschlag abzulehnen – was allerdings bislang erst einmal in der Demokratiegeschichte des Landes passiert ist.

Die vorgezogene Wahl war nötig geworden, nachdem ein Korruptionsskandal im November zu Verhaftungen und Hausdurchsuchungen in höchsten Regierungskreisen geführt hatte. Die Ereignisse bewogen den seit 2015 regierenden Premierminister Costa unmittelbar nach Bekanntwerden der Ermittlungen zum Rücktritt, und Präsident Rebelo de Sousa rief Neuwahlen aus. Die Justiz belastet Costa allerdings bis heute nicht persönlich.

Der 62-Jährige konnte im Laufe seiner Amtszeit solide wirtschaftspolitische Daten vorweisen und war auch im Ausland angesehen. Innenpolitisch gärte es jedoch. Vor allem in den vergangenen 18 Monaten stieg die Unzufriedenheit im öffentlichen Dienst sowie bei Lehrern, Polizisten und Medizinpersonal dramatisch. Vor allem in den Städten ist das Leben für viele Arbeitnehmer in Portugal kaum mehr bezahlbar.



Source link www.sueddeutsche.de