Spannend hätte sie werden können, die 96. Oscarverleihung – als die große Feier des Kinos nach Horrorjahren: geprägt durch Corona und die lähmenden Streiks der Drehbuchautoren und Schauspielerinnen und Schauspielern. Und dann räumt der Favorit in einer kurzen und bündigen Verleihung ab: Dreizehnmal nominiert geht “Oppenheimer” mit sieben Oscars nach Hause – darunter in den Königskategorien “Bester Film”, “Beste Regie” und mit dem “Besten Hauptdarsteller” Cillian Murphy, der den schillernden Atomphysiker spielt, den “Vater der Atombombe”.
Eine Feier des Kinos: “Oppenheimer” ist großer Oscar-Gewinner 2024
Das Bemerkenswerte daran ist, dass Christopher Nolan mit diesem Film etwas ins Kino brachte, was eigentlich kein Blockbuster hätte sein dürfen: drei Stunden lang und ein Stilwirbel zwischen Schwarz-weiß und Farbe mit Trickaufnahmen ohne Computeranimation, weil Nolan das physisch erlebbare Kino feiert und daran glaubt, dass zu viel Digitales das Kinoerlebnis sterilisiert.
“Oppenheimer” ist actionfrei, und alles dreht sich um eine Person, die kein klassischer Sympathieträger ist: ein bombenberechnender Physik-Nerd: undurchschaubar, in Liebesdingen unzuverlässig, politisch unbequem, dabei auch kein amerikanischer Patriot, sondern ein international denkender kritischer Mahner, nachdem seine Bombe als Triumph der Wissenschaft gezündet hatte. Und trotzdem spielte “Oppenheimer” knapp eine Milliarde Dollar weltweit ein.
Dass also die globalisierte Filmwelt – natürlich US-dominiert beim Oscar – diesen Film so stark hervorgehoben hat, ist eine Feier des Kinos in seiner unersetzlichen Großleinwandform und als intellektuelles, künstlerisches Erlebnis.
Emma Stone räumt Oscar als “Beste Hauptdarstellerin” ab
Und an dieses Kino-Glaubensbekenntnis schließen sich auch gleich noch die vier Oscars für den großen Konkurrenten an: “Poor Things” von Yorgos Lanthimos. Und hier – auch wenn es für die Königskategorien bis auf eine nicht gelangt hat – ist auch ein Film in den Himmel gehoben worden, der ein herausfordernder Kinogenuss ist: eine bizarre, feministische, irritierende Frankensteingeschichte mit Emma Stone, die auch gleich den Oscar als Beste Darstellerin bekam, weil sie radikal, mit Mut zu Hässlichkeit und Sex in einem bizarren Setting eine Frau spielt, die die Entwicklung durchläuft von einer Kindfrau über eine selbstbestimmte Sexarbeiterin bis hin zur Medizinprofessorin.
Nach Nominierungsskandal: “Barbie” gewinnt einen Oscar
Auch zu so einer Geschichte entschließt man sich als Zuschauer nicht am Laptop oder vor dem Fernseher, sondern auch hier gilt, der etwas veraltete Spruch: Kino – dafür werden Filme gemacht. Was zum zweiten alten Kinowerbespruch führt: Mach Dir ein paar schöne Stunden: Geh‘ ins Kino. Was für Margot Robbies “Barbie” in der vergangenen und jetzt oscar-gefeierten Kinosaison gegolten hat. Aber das pinke Werk wurde schon bei den Nominierungen abgestraft – und ist rückblickend vielleicht auch als das erkannt worden, was er ist: pseudofeministisch und letztlich doch zuckerwattig anbiedernd statt kritisch. Fast war es also trotzig, dass Robbie nach ihren pinken Propaganda-Outfits des letzten Jahres diesmal im schwarzen Abendkleid erschien.
Zurück bleibt als Eindruck also vor allem der jetzt oscarprämierte Song von Billie Eilish und Finneas O’Connell “What Was I Made For?” – aber genau diese geschlechtsspezifische Identitätsfrage konnte der Film ja auch nicht klären.
Oscars 2024: Kein Award für Sandra Hüller
Bleibt noch die Frage, warum die 96. Oscarverleihung kein deutscher oder indirekt deutscher Triumph wurde? Ilker Catak war ja mit seinem packenden Schuldrama “Das Lehrerzimmer” in der herausragenden Kategorie “Bester internationaler Film” nominiert. Aber verlor gegen “The Zone of Interest” von Jonathan Glazer, der das große Thema des Holocaust ganz besonders – und wie “Oppenheimer” und “Poor Things” – ebenfalls nur kinotauglich angeht. “Das Klassenzimmer” war im Vergleich dazu vielleicht doch zu deutsch, zu nischig, zu kammerspielartig, aber allein die Nominierung war eine riesige Anerkennung für dieses starke, aufwühlende Drama.
Im Falle von Glazers “The Zone of Interest” muss man noch eine Nebenkategorie erwähnen: “Bester Ton”! Denn Glazer bohrt sich ganz stark über die Ohren ins Gehirn seiner Zuschauer: Beklemmung und Grauen werden hier über die Tonspur subtil und doch explizit und vor allem unentrinnbar spürbar gemacht. Das Drama war auch als “Bester Film” nominiert, was ebenfalls bemerkenswert war, weil er auf Deutsch gedreht ist – die Tätersprache der Familie Höß, die in der KZ-Kommandantenvilla in Auschwitz wohnt. Dass ein derart kunstvoller und harter Film in deutschen Kino-Charts auf Platz zwei nach “Dune” steht, spricht für auch in diesem Fall für die Kraft des Kinos. Und Sandra Hüller, die als “Beste Darstellerin” für den französischen Film “Anatomie eines Falls” nominiert war, trägt auch diesen Film entscheidend mit als Hedwig Höß. So bleibt sie auch ohne Oscar eine der großen Figuren und Frauen des diesjährigen Oscars.
Und Wim Wenders? Auch er konnte sich gegen Glazer nicht durchsetzen mit seinem japanischen wunderschönen Alltags-Weisheits-Film “Perfect Days”. Aber auch hier gilt die oft als Trost missverstanden Floskel: Dabeisein ist alles! Vor allem in einem derart guten Umfeld, das zeigt: Das Kino lebt! Und nicht nur die Wüste, die mit “Dune” gerade zeigt: Es geht auch wieder im ganz Großen.