Lübeck. Für viele Kinder der 90er Jahre ist er ein Held: Matthias Roeingh, alias Dr. Motte, ist Mitbegründer der Loveparade. Für ihn war dieses Großevent aber immer mehr als eine Techno-Party: Es war ein politisches Statement. Als es 2010 zu dem tragischen Unglück mit 21 Toten in Duisburg kam, war Dr. Motte lange als Veranstalter der Loveparade ausgestiegen – im Tanzen sieht er aber immer noch eine politische Wucht, wie er im Interview mit den „Lübecker Nachrichten“ erklärt.

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Dr. Motte, Sie haben es mit der Loveparade 1995 in Grass’ Buch „Mein Jahrhundert“ geschafft und sind bei der Eröffnung der neuen Ausstellung zu Gast in Lübeck.

Ja, großartig. Ich hab schon in meiner Kindheit viel mit Grass zu tun gehabt, meine Mutter hat ihn sehr gerne gelesen, „Der Butt“ zum Beispiel. Und dann gibt’s ja noch „Die Blechtrommel“ und den Film von Volker Schlöndorff dazu. Was ist das bitte für ein toller antifaschistischer Film?!

Loveparade ’95 ein „emotionaler Höhepunkt“

Lesen Sie noch Bücher oder hat man es als Produzent digitaler Musik mehr mit digitalem Lesen zu tun?

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Ich bin da ganz konservativ: Bücher kaufen, in der Hand halten, lesen.

Und was lesen Sie gerne?

Alles Mögliche. Vor allem Spirituelles, weil eigentlich bin ich ein fauler Mensch, das war ich schon in der Schule. Für mich war Lesen immer anstrengend. Dann aber hatte ich in den 90er Jahren ganz bestimmte Lebensfragen und ein persönliches Aha-Erlebnis. Seitdem denke ich viel nach und lese, um den Sachen auf den Grund zu gehen. Ich beschäftige mich intensiv mit dem Buddhismus, der Vergänglichkeit und dem Meditieren als Form einer Lebenskultur.

Meditieren Sie regelmäßig?

Die ganze Zeit. Ich versuche immer, im Zustand der bewussten Präsenz zu sein.

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Erinnern Sie sich an die Loveparade 1995? Das war ja die letzte, die auf dem Ku’Damm stattfand.

Oh ja, das war ein sehr heißer Sommer damals. Ich erinnere mich, wie ich mit einem Freund auf dem ersten Wagen saß und zur Parade gefahren bin. Dieser Moment sorgt bis heute für Gänsehaut. Als die Leute uns bemerkt haben, sind sie aus allen Richtungen auf uns zugerannt. Es war knallvoll, wir haben uns gefragt, wie wir mit unserem Wagen überhaupt durch diese Menge kommen. 95 war ein emotionaler Höhepunkt. Wir haben etwas zelebriert, das es in seiner Energie bis dahin so in Deutschland noch nicht gegeben hatte. Freiheit, Musik, Rhythmus, alle miteinander im Tanzen vereint. Das war Wahnsinn.

Im Tanzen vereint

Das Motto damals war „Peace on Earth“: Wie hieße Ihr Motto 2024?

Love is stronger.

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Warum?

Es ist wichtig, Zeichen zu setzen und das, was wir in der elektronischen Musik-Kultur tun, in eine Form zu bringen. Wir können nicht immer gegen etwas sein, wir sollten mehr miteinander für etwas sein.

Meinen Sie, so eine Parade hätte auch in diesen Tagen die Kraft, Menschen im Tanzen zu vereinen?

Absolut. Wir haben es mit „Rave The Planet“ wieder gemacht und wir arbeiten gerade an der Ausgabe 2024. Wenn man sich anschaut, wie viel Gewalt auf der Welt herrscht und wie viel Hass, so viel Trennendes, muss man die Leute daran erinnern, wie schön das Leben gemeinsam auf diesem Planeten sein kann. Musik hat auf ihrer Ebene die Kraft, ihren Beitrag dazu zu leisten. Wir wollen doch alle geliebt und verstanden werden. Und deswegen sagen wir: Liebe ist stärker.

Berlin im Sommer 2023:  Die neue Parade von Dr. Motte namens „Rave the Planet“ zieht mit Hunderttausdenden Besuchern durch die Hauptstadt.

Berlin im Sommer 2023: Die neue Parade von Dr. Motte namens „Rave the Planet“ zieht mit Hunderttausdenden Besuchern durch die Hauptstadt.

Wie schön das wäre . . .

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Wir leben in einer viel zu oberflächlichen Welt und müssen viel mehr Teilhabe ermöglichen, um das Leiden anzuhalten und gemeinsam positiv in die Zukunft zu schauen. Tanzen bringt die Menschen zusammen. Tanzen ist Freiheit.

Unglück bei Loveparade in Duisburg schwingt mit

Traurig, dass man mit der Loveparade am Ende auch das Unglück von Duisburg verbindet.

Ja, das ist sehr traurig, dass das mitschwingt. Aber selbst Betroffene von damals sagen, dass das Unglück mit der Berliner Loveparade nichts zu tun hat. Die wurde ja leider 2005 verkauft. Und das tut mir im Nachhinein unendlich leid, weil ich das hätte verhindern können. Ich hätte damals ein Veto einlegen können, dass die Marke nicht verkauft wird.

Fühlen Sie sich schuldig?

Nein. Ich kann ja nichts dafür, dass Leute, mit denen ich nichts zu tun habe, danach nur Dollarzeichen in den Augen hatten. Das ist ein sehr komplexes Thema, da will ich kein Pauschalurteil fällen. Es sind einfach sehr viele Fehlentscheidungen zusammengekommen, die zu dieser Tragödie geführt haben.

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Sie sind mittlerweile 63 – ist man für den DJ-Job nicht irgendwann zu alt?

Würden wir diese Frage auch einem klassischen Musiker stellen? 2022 wurde Herbert Blomstedt mit dem Bundesverdienstorden geehrt. Der Mann war mit damals 95 Jahren der älteste international auftretende Dirigent. In der Kunst und der Musik kennt man kein Alter. Die Seele übrigens auch nicht. Musik ist Musik.

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Wegbereiter der Techno-Musik

Mögen Sie es, wenn man Sie als Ikone bezeichnet?

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Mögen oder nicht – die Leute nennen einen so. Ich würde sagen, dass ich Wegbereiter in der Techno-Musik war, wobei ich da kein Alleinstellungsmerkmal will. Ich sage immer: Wir alle tun, was wir lieben.

Hätten Sie rückblickend gedacht, dass Techno-Musik sich als Genre so etabliert?

Nein. Ich hatte damals nur eine Vision: Wir sind alle eine Familie, vereint im Tanzen. So auch kam die Idee mit der Loveparade. Techno ist Frieden.

Westbam hat im vergangenen Jahr auf dem Superkunstfestival alte Klassiker gespielt – was werden Sie in Lübeck auflegen?

Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde vorbereitet sein. Ich mag das Innovative, das Hier und Jetzt und ich werde schauen, auf welches Empfinden und welchen Bass man in Lübeck Lust hat.

Ausstellung in der Kulturwerft Gollan in Lübeck

Am 27. März kommt Dr. Motte zur Eröffnung der neuen Ausstellung „Grass Tanzbar“ des Günter-Grass-Hauses in die Kulturwerft Gollan in Lübeck.

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Die Vernissage beginnt um 19 Uhr. Mit dabei ist auch das Schauspieler-Ehepaar Charly Hübner und Lina Beckmann. Nach Ende der Vernissage spielt Dr. Motte ein zweistündiges Live-Set. Wer nur zur Party kommen möchte, kann das ab 21 Uhr tun. Karten zum Preis von 15 Euro gibt es direkt bei der Kultuwerft Gollan.

KN



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