Leipzig. Jens Lehmann beschäftigt sich sonst mit Marschflugkörpern und Präzisionsgewehren. Nun betritt der Leipziger CDU-Mann aus dem Verteidigungsausschuss des Bundestags einen Raum, in dem eine leicht süßliche Wolke hängt. „Meine Kinder sagen, ich erzähle zu dem Thema nur Quatsch“, sagt Lehmann.

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Im Bundestag stimmte er gegen die Cannabis-Legalisierung der Ampelregierung. Woraufhin ihn ein Unternehmen aus seinem eigenen Wahlkreis kontaktierte: Bei „Grünhorn“ in Leipzig-Sellerhausen bestellen, verarbeiten und versenden schon heute rund 150 Angestellte Cannabis. Mit der Legalisierung könnte das Unternehmen deutlich wachsen. Ob ihn, Lehmann, das nicht interessiere?

Deshalb sitzt er nun hier. Ein umgebautes Parkhaus an der Permoserstraße im Leipziger Osten. Und Lehmann gegenüber: Carsten Schütz und Sven-Roger von Schilling. In ruhigem Ton künden die Gründer und Möglichmacher von „Grünhorn“ von ihrer großen Revolution. „Die Idee ist, dass Cannabis künftig eine bedeutende Rolle in der Schmerztherapie einnimmt“, sagt Schütz. Er erzählt von Tumorpatienten, die dank hoch dosierten THC-Tropfen endlich durchschlafen könnten, während herkömmliche Schmerzmittel meist nachts aufhören zu wirken.

Leipzigs CDU-Bundestagsabgeordneter Jens Lehmann lässt sich das "Grünhorn" zeigen – nachdem er im Bundestag gegen eine Legalisierung gestimmt hat.

Leipzigs CDU-Bundestagsabgeordneter Jens Lehmann lässt sich das “Grünhorn” zeigen – nachdem er im Bundestag gegen eine Legalisierung gestimmt hat.

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Fast zwei Tonnen Cannabis in einem halben Jahr

Von Schilling erklärt dem Leipziger Lehmann die wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Folgen seines Geschäfts. „Wir glauben, dass viele aus dem Schwarzmarkt zu Apotheken wie Grünhorn wechseln werden“, sagt er. „Wenn dann die Zahl der Cannabis-Rezepte in den Arztpraxen sprunghaft ansteigt, kann Grünhorn den Output mittelfristig verdoppeln.“

Was ist das hier für ein Ort, an dem nicht nur ein medizinisches Wunder, sondern auch ein kriminologisches vorbereitet werden soll?

Zunächst: In Leipzigs Cannabis-Apotheke wächst kein einziges duftendes Pflänzchen. Die THC-haltigen Blüten werden aus Kanada, den Niederlanden oder vom Anbauer „Demecan“ bei Dresden hierher bestellt. Wo früher im oberen Parkdeck Autos rangierten, erzeugen heute mitunter promovierte Chemiker in weißen Kitteln Extrakte und Öle in einer eigenen Manufaktur.

Allein der Gaschromatograph mit Massenspektrometer, sonst eher in komplexen Forschungszentren zu finden, kostete 150 000 Euro in der Anschaffung. Aber mit ihm lässt sich der Terpengehalt von Cannabisblüten maßgenau bestimmen – und damit ihre passgenaue Wirkung für jeden Bedarf. „Grünhorn“ behauptet von sich, Grundlagenforschung in Sachen Cannabis zu betreiben.

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Hinter einer weiteren Tür befindet sich das Versandzentrum. Pharmazeutisch Technische Assistenten in Haarnetz und Handschuhen füllen sorgsam Cannabis-Blüten aufs Gramm genau in Pakete, die nach München, Münster oder Schwäbisch Gmünd verschickt werden. Auf einem Computer läuft ein sanfter bassiger Techno-Mix zu psychedelischen Visuals.

Nach Angaben seiner Gründer ist „Grünhorn“ heute die größte Cannabis-Apotheke Europas. Allein in Deutschland geht jedes vierte deutsche THC-Rezept durch die Permoserstraße 19. Seit ihrer Gründung 2021 verschickte die Firma mehrere Tonnen an Patienten in ganz Deutschland. 1,9 Tonnen waren es im zweiten Halbjahr 2019. Die dazugehörigen fast 60 000 Rezepte stellten mehr als 4000 Ärztinnen und Ärzte aus.

Neben dem Verkauf von Cannabisblüten zum inhalieren wird im hauseigenen Labor auch an neuen Rezepturen wie zum Beispiel Cannabis-Öl gearbeitet.

Neben dem Verkauf von Cannabisblüten zum inhalieren wird im hauseigenen Labor auch an neuen Rezepturen wie zum Beispiel Cannabis-Öl gearbeitet.

Cannabis von „Grünhorn“, nur einen Klick entfernt?

Die Empfänger des Stoffs haben oft schwere Erkrankungen. Sie leiden an unerträglichen Schmerzen, Multipler Sklerose (MS), Tourette oder ADHS. Dass sie mit Cannabis therapiert werden können, wurde 2016 einst in Leipzig entschieden. Ein MS-Patient hatte sich bis vors Bundesverwaltungsgericht geklagt. Die Leipziger Richter erlaubten ihm, zu Hause sein eigenes Gras anzubauen. Die damalige CDU-Regierung zog das Urteil mit einem Gesetz nach. Das beinhaltete allerdings hohe Hürden: Medizinisches Cannabis bekam nur, wer schon zwei erfolglose Therapien hinter sich hatte.

Mit der geplanten Legalisierung würde Cannabis ab dem 1. April aber ganz aus dem Betäubungsmittelgesetz fallen. Ärzte könnten es so problemlos verschreiben wie hochdosiertes Ibuprofen oder einen starken Hustensaft. Manche Praxen, auch aus Leipzig, lassen sich schon auf der Grünhorn-Website listen: Wer mit Einschlafproblemen oder Rückenschmerzen zu tun habe, könne ganz einfach bald zu ihnen kommen.

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Cannabis, schon für kleinere Wehwehchen und nur einen Klick entfernt auf Rezept von Dr. Gras – ist es wirklich so einfach? Und ist es eine gute Idee?

Per Hand und Feinwaage werden hier selten verkaufte Sorten abgefüllt.

Per Hand und Feinwaage werden hier selten verkaufte Sorten abgefüllt.

4,5 Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland

Als Jens Lehmann an diesem Tag die Apotheke verlässt, sagt er: „Ich bin kein Cannabis-Experte.“ Er sagt auch: „Ich habe aber keine ideologischen Scheuklappen.“ Er wolle das Thema jetzt in sein Fachgebiet holen. Mit dem Inspekteur der Bundeswehr wolle er über Gras fürs Heer sprechen. Bei Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung sei Cannabis ein erprobtes Mittel.

Zurück bei den beiden Gründern Carsten Schütz und Sven-Roger von Schilling. Kürzlich, erzählt Schilling, besuchte auch der ukrainische Gesundheitsminister die Cannabis-Apotheke im Leipziger Osten. Ein geheimer Termin, ohne Presse. Erst kürzlich hatte die Ukraine Cannabis für ihre Soldaten legalisiert. Schilling will nun ein paar Kilo in das vom Krieg betroffene Land liefern – als Spende.

Aber Schilling glaubt auch, dass das medizinische Cannabis der Apotheke künftig für einen noch breiteren Teil der Gesellschaft in Frage kommen könnte. Etwa 4,5 Millionen Deutsche konsumieren Cannabis einmal im Monat – eben größtenteils illegal. Und manche aus triftigen Gründen. Etwa, weil sie nicht schlafen, nicht lange sitzen oder sich nicht konzentrieren können.

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Neben der Arbeit in den Laboren hört man des öfteren leise elektronische Musik spielen.

Neben der Arbeit in den Laboren hört man des öfteren leise elektronische Musik spielen.

White Widow, Apple Crumble oder Legendary Larry

Von Schilling ist euphorisch, wenn er davon spricht. Das war nicht immer so. „Ich habe mit Kiffen nichts am Hut“, sagt er. Seine Mutter sei skeptisch gewesen, als er ihr von seinem neuen Engagement bei einer Cannabis-Apotheke erzählte. „Wirst du jetzt ein Drogen-Baron?“, habe sie ihn gefragt.

Heute sei auch sie „überzeugt, dass medizinisches Cannabis viele Probleme löst“. Grünhorn-Produkte hätten nicht nur eine bessere Qualität als illegale Ware, es sei sogar billiger. „Ich wüsste nicht, warum jemand in Zukunft noch illegal beim Dealer einkaufen sollte.“

Auf seiner Website hat „Grünhorn“ einen „Blütenfinder“. Co-Gründer Schütz nennt das „eine Art Amazon für Cannabis“. Wer dort den gewünschten Bewusstseinszustand eingibt – etwa fokussierend, entspannend oder inspirierend – dem spuckt der Finder die passende Blüte aus. Etwa White Widow, Apple Crumble oder Legendary Larry.

Die passende Sorte, sagt Schütz, könne man dann seinem Arzt vorschlagen. Damit Sachsens Ärzte künftig wissen, was sie tun, bietet „Grünhorn“ in seiner hauseigenen Akademie Weiterbildungen an.

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Wie sehen Sachsens Ärzte die Thematik? Das kann man Dr. Stefan Windau fragen, niedergelassener Arzt in Leipzig und Vizepräsident der Sächsischen Ärztekammer. „Selbstverständlich kann Cannabis in manchen Fällen sinnvoll sein“, sagt er. Aber nicht jeder Schmerzpatient komme dafür in Frage. Einen Ersatz für Ibuprofen stelle Cannabis schon gar nicht da. „Es wird oft vergessen, dass Cannabis im Gegensatz zu erprobten Medikamenten noch eine Menge Nebenwirkungen und ein gewisses Suchtpotenzial mit sich bringt.“

Sven-Roger von Schilling (l.) und und Carsten Schütz (r.) – die Möglichmacher und Gründer von Grünhorn.

Sven-Roger von Schilling (l.) und und Carsten Schütz (r.) – die Möglichmacher und Gründer von Grünhorn.

Am 22. März entscheidet der Bundesrat über die Legalisierung

Das größte Problem stellt für Windau die Vorbildfunktion dar. Mit der Legalisierung gerate ganz allgemein mehr Cannabis in die Gesellschaft, auch medizinisches. „Ich habe ein Problem damit“, sagt Windau. „Wenn Sie es Erwachsenen gestatten, kommen auch Jugendliche auf den Gedanken, dass es so schlimm schon nicht sein kann.“

Das Gegenteil sei der Fall: Bei Jugendlichen könne Cannabis unter Aspekten der Hirnreifung schwere Schäden anrichten. Dazu käme, so Windau, der Aspekt der Einstiegsdroge. „Ich bin kein Hardliner, aber ich glaube, wir bekommen mehr Probleme.“

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Bislang brauchten Ärzte eine Zusatzqualifikation, um Cannabis zu verschreiben. Dr. Windau möchte seinen Ärzten, sollte Cannabis entkriminalisiert werden, mindestens eine Handreichung geben.

Ob es dazu kommt, entscheidet sich am 22. März. Dann muss der Bundesrat die Legalisierungs-Pläne der Ampel bestätigen. Zumindest einer Apotheke im Leipziger Osten würde dann ein gutes Geschäft blühen.

Dieser Artikel erschien erstmals in der Leipziger Volkszeitung.



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