Wir verstehen äußeren Zwang als Selbstverwirklichung, sagt die Ökonomin Friederike Habermann. Sich dem Anpassungsdruck zu entziehen, ist möglich.

Eine Person hält eine Handtasche in der Hand.

Nicht alles, was wir als selbstbestimmt empfinden, ist es auch Foto: Edward Berthelot/getty

taz: Frau Habermann, Sie forschen seit Jahrzehnten zum Thema gesellschaftliche Emanzipation. Was hat sich in dieser Zeit in Bezug auf Schönheitsideale für Frauen geändert?

Friederike Habermann: Wenig. Das Grundmodell ist geblieben: Wir haben zwar unterschiedliche Voraussetzungen, aber wir streben alle danach, einsetzbar zu sein, anstellbar zu sein. Das wird gut an Barbiepuppen deutlich: Früher waren sie weiß, schlank und hellhäutig. Dann kamen identische in Braun-Schwarz hinzu, jüngst auch vielfältigere. Doch auch diese wirken wie Abweichungen vom alten Ideal.

Sie bringen Schönheit mit Anstellbarkeit und mit Verwertbarkeit zusammen. Wieso?

Das gehört zusammen, weil dahinter die Verinnerlichung der äußeren Anrufungen an uns steht. Wir alle haben gelernt: Wir wollen erfolgreich sein, wir wollen schön sein, wir wollen den Normen entsprechen, um Anerkennung zu bekommen. Das wird eher als Ausdruck von Selbstverwirklichung verstanden denn als das Übernehmen des äußeren Zwangs.

Wir glauben, schön sein zu wollen, dabei müssen wir es?

Auf diese Art und Weise funktioniert unsere Gesellschaft. Der Philosoph Michel Foucault hat das deutlich gemacht an der Gefängnisform eines Panoptikums: Wenn die Zellen immer einsehbar sind, dann müssen die Insassen sich wie gewünscht verhalten. Nur wenn sie die Anforderungen an sie verinnerlicht haben, werden sie in die Gesellschaft entlassen. Die bürgerliche Gesellschaft sagt, dass wir die Disziplinierung verinnerlichen und als unser Bedürfnis lernen müssen. Es gibt keinen König oder Chef, der sagt: Du musst das und das tun. Sondern wir als Ich-AG versuchen, Anerkennung zu bekommen.

geboren 1967, ist Volkswirtin und Historikerin. Sie forscht, lehrt und publiziert als freie Wissenschaftlerin.

Der Kapitalismus bietet für Frauen in jeder Lebensphase Optimierungsstrategien für ihr Äußeres an, von Kleidung über Kosmetik bis zu Operationen. Haben Frauen eine Chance, dem zu entkommen?

Nur auf Kosten der Gefahr, tendenziell Außenseiterinnen zu sein. Das gilt für jeden Menschen, alle Geschlechter und alle Altersgruppen.

Aus kapitalistischer Sicht zählt doch in erster Linie Leistung. Warum ist Schönheit ein Abbild für Leistungsfähigkeit?

Weil das Äußere als Ausdruck der Disziplinierungsfähigkeit aufgefasst wird. Wenn du gut bist, dann kannst du es auch schaffen, schlank und sportlich zu sein. Das hängt mit dem Ideal des leistungsfähigen Homo Oeconomicus zusammen. Und führt dazu, dass Menschen statt dem inneren Wohlgefühl lieber die äußere Form wählen – also zum Beispiel ein Lifting machen lassen, das die Mimik stört.

Und das ist wirklich für alle Geschlechter gleich?

Diese Anrufung ist für Frauen viel stärker. Mit der Marktwirtschaft im Übergang zur Neuzeit lebten die Menschen nicht mehr in Subsistenzwirtschaft, in der sie in kleinen Einheiten für den eigenen Bedarf produzierten. Eigentum ist entstanden, also die absolute Sachherrschaft, in der Frauen und Männer sehr unterschiedlich definiert wurden. Es ist ein Eigentumsverhältnis für Männer etabliert worden gegenüber Frauen.

Das es so zum Glück nicht mehr gibt.

Rein rechtlich gibt es dieses Eigentumsverhältnis nicht mehr. Die Philosophin Eva von Redecker aber spricht vom Phantom-Besitz, weil in unserem Geschlechterverhältnis noch etwas davon drinsteckt. Wir sind als Frauen eher Objekt und werden damit ganz anders beurteilt als Männer. Während die Männer diejenigen sind, die beurteilen. Und dem sind wir alltäglich ausgesetzt.

Weibliche Superstars begreifen sich zwar oft als feministisch, bedienen aber Schönheitsnormen. Ist das selbstbestimmt oder nur die Reproduktion alter Ideale?

Es kann natürlich nicht sein, dass als Ausdruck von Selbstbestimmung die gleichen Normen hochgehalten werden. Aber wir kommen auch nicht weiter, wenn wir sagen: Wir müssen jetzt alle das Gegenteil tun. Entscheidend ist, ob ich etwas mit Lust mache. Was ich nicht mit Lust mache, sondern weil zum Beispiel mein Job es verlangt, das ist interessant zu reflektieren.

Inwiefern spiegeln Schönheitsnormen auch Klassenfragen wider?

Historisch haben sich Schönheitsideale immer nach der jeweiligen Lage gerichtet: War wenig Essen da, war das Schönheitsideal, dass Menschen eher runder sind. Mussten die Leute viel in der Sonne arbeiten, war das Schönheitsideal, dass sie blass sind. Dieser Klassismus ist im Kapitalismus nicht zu trennen von gesellschaftlichen Normen.

Schönheit als Ausdruck des individuellen Selbst – Ist das im Grunde ein Mythos?

Es gibt kulturelle Zusammenhänge, in denen Menschen sich besser entwickeln können. Aber auch darin gibt es wieder Normen, denen die Menschen entsprechen. In Verbundenheit mit anderen prägen wir uns gegenseitig. Deshalb würde ich es nicht negativ sehen, dass wir tendenziell so aussehen wie die Menschen um uns herum – am besten aber selbst gewählt und mit Menschen, mit denen wir zusammen sein wollen in Beziehungsformen, die wir als nicht entfremdet empfinden.

Um keine Außenseiterinnen zu werden?

In den gegebenen Verhältnissen gilt: Wenn wir emanzipiert sein wollen, müssen wir uns auch anpassen. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass die jetzige nicht die einzige mögliche Gesellschaftsform ist. Wir könnten auch anders leben, jenseits der bestehenden Verwertungslogik. Das zu sehen, eröffnet auch die Möglichkeit, sich dem Druck auf Anpassung zu entziehen.

Wie kann das ohne Systemwechsel gelingen?

Es ist wichtig, Räume mit anderen Selbstverständlichkeiten zu haben, in denen es zum Beispiel selbstverständlich ist, queer oder anders als in der Mainstreamgesellschaft auszusehen. Wenn wir Räume schaffen, in denen wir uns gegenseitig anerkennen, wie wir sind, und das nach außen tragen, verändert das die Gesellschaft.

Sie glauben an eine Veränderung von unten?

Die Philosophin Bini Adamczak zeigt in ihrem Buch „Beziehungsweise Revolution“, dass die Revolution nicht einfach ein historischer Bruch ist. Sie findet statt, weil sich die Art der Beziehungsweisen verändert. Dafür braucht es diese subkulturellen Räume, in denen wir das leben, was wir für richtig halten. In diesen Bereichen können wir freier sein und gleichzeitig die Gesellschaft verändern. Wir müssen die Logiken überwinden, in denen wir gefangen sind: ­ Marktlogik, Tauschlogik, Bewertungslogik. Es geht darum, sich kooperativ und gleichberechtigt zu verhalten.

Sie fordern, Marktlogik und Tauschlogik durch solidarisches Wirtschaften abzulösen. Was hätten Frauen davon?

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Historisch ist das Modell der Zweigeschlechtlichkeit sehr stark mit der Marktwirtschaft verbunden. Der Homo Oeconomicus ist im Grunde ein männliches Ideal. Frauen wurde sehr schnell klar gemacht, dass sie wie Olympe de Gouges unter der Guillotine landen, wenn sie ihre Rechte einfordern. Der dann aufkommende Häuslichkeitskult begrenzte Frauen sehr stark. Die Emanzipationsbewegung war dann: Frauen sind so wie Männer. Dieser Prozess, in dem wir von Kleinkind an lernen, wir müssen uns verwerten im Leben – nichts weniger gilt es zu verlernen. Solidarische Räume gehen gerade für Frauen damit einher, weniger diesen äußeren Konkurrenzdruck zu haben. Und mehr Freiraum, so zu sein, wie wir sein wollen. Auch körperlich.



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