Sowohl das Kieler Institut für Weltwirtschaft als auch das ifo-Institut haben ihre Wachstumserwartungen für die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2024 deutlich auf 0,1 bzw. 0,2 Prozent nach unten korrigiert. Vor allem das erste Quartal fällt mit einer voraussichtlichen gesamtwirtschaftlichen Schrumpfung schwach aus. Die Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie befindet sich mit nur noch 81 Prozent auf Rezessionsniveau. Im Jahresverlauf ist allerdings mit einer langsamen Stabilisierung der Konjunktur zu rechnen. Dabei dürfte eine erwartete Belebung in vielen europäischen Staaten sowie ein anhaltend dynamisches Wachstum in der Region Südostasien die Exportnachfrage antreiben. Zudem werden Industrieunternehmen in Erwartung einer steigenden Nachfrage ihre zuletzt deutlich gesunkenen Lagerbestände aufstocken. Nicht zuletzt sollten die – derzeit durch hohe Lohnabschlüsse bei gleichzeitig weiter sinkender Inflation – stark steigenden Realeinkommen für eine höhere private Konsumgüternachfrage sorgen.

EZB senkt Inflationserwartungen

Die noch schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage mildert den Preissteigerungsdruck in der Eurozone. Folglich hat die EZB ihre eigenen Inflationsprojektionen deutlich auf 2,3 Prozent im Jahr 2024 und 2,0 Prozent im Folgejahr gesenkt. Christine Lagarde führte zwar die aktuell hohen Lohnsteigerungen als Grund für weiterhin bestehende Inflationsgefahren an, bemerkte jedoch gleichzeitig, dass ein Teil davon durch sinkende Margen von Unternehmen kompensiert wird. Zudem zeigte der Arbeitsmarktbericht für Deutschland im Februar einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit, sodass sich der Lohndruck nach dem Ende der laufenden Tarifverhandlungen und unter Berücksichtigung der hohen Inflationsraten der letzten zwei Jahre normalisieren sollte. Wir gehen davon aus, dass das Inflationsziel der EZB von 2 Prozent im Verlauf der nächsten Monate erreicht wird und die Notenbank vor diesem Hintergrund spätestens im Juni eine erste Leitzinssenkung vornehmen wird.

Für die US-Volkswirtschaft wird im Vergleich zum Vorjahr eine nachlassende Dynamik erwartet. Trotzdem wurden die Erwartungen auf rund 2 Prozent Wachstum nach oben korrigiert. Besonders der gut ausgelastete Arbeitsmarkt sorgt für eine starke Nachfrage bei Dienstleistungen und Konsumgütern. Das Szenario einer Rezession wird für die US-Volkswirtschaft immer unwahrscheinlicher. Trotz der vergleichsweise hohen Inflationsrate von rund 3 Prozent dürfte die US-Notenbank Fed im Laufe des Sommers die Leitzinsen senken, da das hohe Zinsniveau bereits zu zunehmenden Ausfallraten bei Konsumentenkrediten und Kreditkartenforderungen führt. Zudem sind US-Regionalbanken aufgrund des Preisverfalls im Segment der gewerblichen Immobilienfinanzierungen erheblich unter Druck.

Krieg zwischen Taiwan und China eher unwahrscheinlich

Der Nationale Volkskongress in China hat sich auf ein Wachstumsziel in Höhe von 5 Prozent für das Jahr 2024 festgelegt. Um dieses zu erreichen, werden weitere gezielte fiskal- und geldpolitische Stimuli nötig sein, die über eine Steigerung der Exportnachfrage auch den ausgeprägten Auftragsmangel deutscher Industrieunternehmen etwas lindern dürften. Zudem versucht die chinesische Regierung weiterhin den Binnenkonsum zu stärken und die Abhängigkeit insbesondere vom Handel mit westlichen Industriestaaten zu verringern. Gleichzeitig wurde eine Ausweitung der Militärausgaben beschlossen und betont, dass man Taiwan weiterhin als Teil Festlandchinas betrachte. Vor dem Hintergrund der potenziell enorm hohen ökonomischen Kosten für China halten wir eine kriegerische Eskalation des Taiwan-Konfliktes für vorerst unwahrscheinlich.

Die Perspektiven für die Aktienseite bleiben trotz vielfach erreichter Allzeithöchststände auf Indexebene konstruktiv. Vor allem europäische Aktienindizes sind aufgrund parallel ebenfalls gestiegener Unternehmensgewinne nicht überbewertet. Zudem sollten absehbare Zinssenkungen, die Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft und die anstehende US-Präsidentschaftswahl die Aktienmärkte unterstützen, wenngleich geopolitische Unsicherheiten als Risikofaktoren im Blick bleiben sollten. Wir gehen davon aus, dass der Selektion von Einzeltiteln eine große Bedeutung zukommen wird, denn insbesondere von der weiter steigenden Entwicklung und Nutzung Künstlicher Intelligenz werden einige, aber nicht alle Unternehmen deutlich profitieren.





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