Lübeck. Kinder, sagt Karine Le Gruyer-Conrad, sind der entscheidende Punkt. Wenn Kinder kommen, geraten die Frauen ins Hintertreffen. Im Job, zu Hause, in der Gesellschaft. Die 55-Jährige weiß, wovon sie spricht. Zu ihr kommen die Frauen, die wieder Anschluss im Beruf finden wollen oder Beratung suchen, um sich für die längst fällige Beförderung stark zu machen. Die gebürtige Französin trainiert als systemische Coachin Führungskräfte in Unternehmen und berät in allen Fragen beruflicher Orientierung.

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Frau Le Gruyer-Conrad, 2024 verdienen Frauen laut aktueller Statistik im Schnitt immer noch 18 Prozent weniger als Männer . . .

. . . und das verwundert, denn in der Schule und im Studium haben sie noch die Nase vorn, lernen fleißiger, machen bessere Abschlüsse – um dann in der Arbeitswelt von den Männern überholt zu werden. Ich frage mich: Wie kann das sein?

Ja, wie?

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Ich denke, da greifen immer noch tradierte Rollenbilder: Die Schule belohnt das an die Erwartungen angepasste Verhalten mit guten Noten, davon profitieren die lieben und netten Mädchen, die weniger Ärger machen als lauten Jungen. Später im Berufsleben bringt dieses Verhalten sie aber nicht weiter. Da wird es schwierig, wenn Frauen nicht auch ein Stück weit selbstbewusster auftreten und sich durchsetzen.

Frauen fühlen sich beruflich abgehängt

Wo müsste man ansetzen für mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit in Berufsleben?

Erstmal müssten die Frauen meinungsstärker sein und klar kommunizieren, was sie wirklich wollen. Das hat viel mit dem eigenen Verhalten zu tun – und das vergessen viele Frauen, glaube ich. Da fehlt auch viel Selbstbewusstsein.

Mit welchen Problemen und Zielen kommen Frauen zum Coaching?

Beispielsweise mit der Frage, wie kriege ich den Wiedereinstieg hin, wie soll ich mich bewerben und wie kann ich begründen, dass ich ein paar Jahre ausgesetzt habe? Und wie kann ich diese Fragen im Vorstellungsgespräch so gut beantworten, dass man ich überzeuge? Da sitzen dann Frauen mit qualifizierter Ausbildung oder Studium, aber sie fühlen sich abgehängt.

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Internationaler Frauentag

Zum Internationalen Frauentag am 8. März gehen Frauen weltweit für ihre Rechte an die Öffentlichkeit. Erste Anregungen kamen von Frauendemonstrationen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA.

1910 beschloss die Sozialistische Internationale der Frauen in Kopenhagen, jedes Jahr mit einem Aktionstag den Kampf der Frauen für mehr Rechte und bessere Lebensbedingungen voranzutreiben. Bereits im März 1911 gingen rund eine Million Frauen in Deutschland, Dänemark, Österreich-Ungarn und der Schweiz auf die Straßen. Erste Forderung war das Frauenwahlrecht, das in Deutschland 1918 durchgesetzt wurde. Während des Ersten Weltkriegs und unter der NS-Diktatur war der „sozialistische“ Feiertag verboten. Die Nationalsozialisten propagierten stattdessen den Muttertag, der ihrem Frauenbild eher entsprach.

Die Vereinten Nationen führten 1977 den Weltfrauentag als offiziellen UN-Tag ein. Das Land Berlin führte 2019 den Frauentag als gesetzlichen Feiertag ein, auch in Mecklenburg-Vorpommern ist der Frauentag mittlerweile ein Feiertag.

Warum fühlen sie sich abgehängt?

Weil die Care-Arbeit, die sie zu Hause verrichtet haben, gesellschaftlich nicht anerkannt wird. Auf die Skills, die Fähigkeiten, die sie in dieser Zeit erworben haben – wie beispielsweise Zeitmanagement oder strukturierte Organisation – wird bei Vorstellungsgesprächen gar nicht eingegangen. Das wird überhaupt nicht gesehen, als ob da ein schwarzer Fleck wäre, so nach dem Motto, da reden wir am besten gar nicht drüber. Oft bewerben sich Frauen für zu niedrig qualifizierte Jobs, weil sie sich zu wenig zutrauen.

Sehen Sie da einen Unterschied zu den Frauen der sogenannten Generation Z, die jetzt ins Berufsleben startet?

Ich glaube schon, dass die junge Generation selbstbewusster ist. Und ich habe das Gefühl, die sprechen auch in der Partnerschaft mehr darüber, bevor es überhaupt losgeht mit den Kindern. Das ist ja auch richtig, denn die Entscheidung, eine Familie zu gründen, ist eine, die man zu zweit trifft. Und trotzdem muss man sich als Frau – wie schon zu meiner Zeit – genau überlegen, ob man Kinder möchte und welche Konsequenzen diese Entscheidung beruflich hat. Die Frage der Kinderbetreuung ist ein enormes Problem – und wenn ich sehe, wie viele Plätze in Deutschland fehlen, habe ich das Gefühl, dass es heute sogar noch akuter ist als in meiner Zeit als junge Mutter.

Historisch propagiertes Frauenbild in Deutschland

Ist die mangelnde Kinderbetreuung Grund dafür, dass Frauen heute immer noch beruflich zurückstecken, wenn sie eine Familie gründen?

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Das ist ein Faktor, aber nicht der Hauptfaktor. Ich glaube, das ist ein historisch propagiertes Rollenbild, dass die Frau zu den Kindern gehört und sich um den Haushalt kümmert. Diese Hintergründe hatten wir in Frankreich nicht. Wenn man in Deutschland Kinder hat und als Frau sagt, ich gehe gerne arbeiten, dann wird man schon ein wenig komisch angeguckt.

Haben Sie das so wahrgenommen?

Ja. Ein gutes Beispiel ist die Reaktion von meinem Chef damals. Der fragte mich, als ich nach der Geburt meines Sohnes nach acht Wochen zurück in der Firma war und mein Mann beim Kind blieb: Und was macht ihr Mann den ganzen Tag zu Hause mit dem Baby? Das sagte schon alles.

Das ist in Frankreich anders?

In Frankreich arbeiten meist beide Partner, auch wenn die Kinder da sind. Die Kinderbetreuung ist gewährleistet, das ist überhaupt kein Thema. Es stehen wesentlich mehr Betreuungsplätze zur Verfügung. Was Frankreich auch von Deutschland unterscheidet, ist ein größeres Verständnis dafür, dass Frauen das Bedürfnis haben, arbeiten zu gehen.

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Viele alte weiße Männer in Politik und Wirtschaft

Aber auch in Frankreich bleiben Kindererziehung und Hausarbeit überwiegend bei den Frauen hängen oder?

Ja, es ist selbstverständlich, dass die Frau die Belastung trägt und den Spagat zwischen Familie und Beruf macht.

Wie kriegt man Männer dazu, sich diese Care-Arbeit zu teilen?

Es wird weiterhin nicht gern gesehen, wenn Männer ihre Arbeitszeit reduzieren oder zu Hause bleiben wollen mit den Kindern. Viele fragen auch gar nicht danach in der Angst, dadurch berufliche Nachteile zu erfahren – und das ist den Frauen gegenüber unfair.

Und daran hat auch das Erziehungsgeld mit den zwei Vätermonaten nichts geändert.

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Mein Eindruck ist, dass hier in Deutschland immer mal wieder was Neues versucht wird, ohne einen klaren Weg zu finden. Wir haben immer noch sehr viele alte weiße Männer in Politik und Wirtschaft auf hohen Posten – und das sind die Stimmen, die man wahrnimmt. Und wenn man hört, wie da über Gleichberechtigung gesprochen wird, bekommt man den Eindruck, die ist auch gar nicht gewollt. Ich glaube, dass manche Männer Angst vor selbstbewussten Frauen haben.

Links, die Frauen weiterhelfen

Als Business-Coach rät Karine Le Gruyer-Conrad ihren Kundinnen zur Vernetzung untereinander und verweist auf hilfreiche Anlaufstellen im Netz:

Kostenfreie berufliche Beratung: www.frau-und-beruf-sh.de

Mentoring-Training und Networking-Programm für Frauen, die sich entwickeln wollen: www.mentorme-ngo.org

Der Verein, Chef:innensach setzt sich unter anderem für Chancengleichheit ein: www.chefinnensache.de

Netzwerken mit einem kostenfreien Profil auf www.linkedin.de

Männer bilden, gerade in beruflichen Zusammenhängen, Seilschaften und knüpfen Netzwerke. Tun Frauen das noch zu wenig?

Unter Frauen gibt es zu wenig Solidarität. Das finde ich sehr bedauerlich, denn sie würden es sich viel leichter machen, wenn sie sich gegenseitig besser unterstützen würden. Deshalb ermutige ich im Coaching dazu, sich gezielt Unterstützung bei den Frauen-Netzwerken zu suchen, die es ja durchaus gibt, und beispielsweise Mentoring-Programme zu nutzen oder sich darin zu engagieren. Frauen müssen selbst etwas tun. Sie müssen deutlich selbstbewusster auftreten – und sich nicht schämen, weil sie Kinder kriegen. Viele haben schon Angst zu verkünden, dass sie schwanger sind, und leben in der Sorge, mit Kind beruflich abgeschrieben zu sein.

Wirtschaft und Betriebe müssen offener werden für Lebensarbeitszeit- und Jobsharing-Modelle?

Es ist wichtig, dass auch in den Firmen langsam ankommt, dass die Familiengründung nicht nur eine private Entscheidung ist, sondern eine, die auch wirtschaftlich relevant ist. Der Fachkräftemangel in Deutschland ist schon jetzt ein Problem – die Unternehmen brauchen gut ausgebildete Mitarbeitende – egal welchen Geschlechts. Und dafür muss Chancengleichheit geschaffen werden. Es gibt immer mehr Unternehmen, in denen sich Führungskräfte eine Führungsposition teilen. Und auch als Vollzeit-Führungskraft sollte man die Möglichkeit haben flexibel zu arbeiten, so dass man sich abends an den PC setzen kann, nachdem man nachmittags die Kinder betreut hat. Produktivität wird immer noch mit der Anwesenheit im Büro verwechselt. Firmen trennen sich leider ganz schlecht von dieser Denkweise.

LN



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