Herr Cerne, fangen wir an mit der Festnahme von RAF-Terroristin Daniela Klette. Kurz zuvor hatten Sie eine Sendung dazu gemacht. Was hat das in Ihnen ausgelöst?

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Ich hatte die Festnahme Klettes insgeheim erwartet, weil es sehr viele Reaktionen auf die Sendung gab. Daniela Klette, Burkhard Gerwig und Ernst Volker Staub haben sich seit 30 Jahren im Untergrund versteckt. Es sind immer wieder Bilder gezeigt worden, keine aktuellen, aber man hat gesehen, was bei den Raubüberfällen geschehen ist. Da dachte ich mir: Es muss doch möglich sein, irgendwen mal zu erkennen. Die heiße Spur kam laut Ermittlern aus dem vergangenen November. Aber wenn Sie überlegen, dass zwölf Tage nach der Ausstrahlung von „Aktenzeichen XY“ die Festnahme passierte, würde es mich schon schwer wundern, wenn es da keinen Zusammenhang gäbe.

Sie wurden selbst mal Ende der 70er-Jahre mit dem RAF-Terroristen Christian Klar verwechselt und kurz festgenommen. Haben Sie auch deshalb eine enge Bindung zu diesen Fällen?

Auf jeden Fall. Die RAF hat mich durch den Vorfall logischerweise immer wieder beschäftigt. Ich bin am 27. Dezember 1978 am Düsseldorfer Flughafen kurzfristig festgenommen worden. Das war damals die Hochzeit des Deutschen Herbsts, eine sehr nervöse Zeit. Ein paar Monate vorher war der RAF-Terrorist Willy Peter Stoll in der Düsseldorfer Innenstadt erschossen worden. Alles, was mit Mogadischu und der entführten „Landshut“ zusammenhing, hat man hautnah mitbekommen. Ich habe das Fahndungsfoto damals auch gesehen. Der RAF-Terrorist Christian Klar sah mir sehr ähnlich. Als ich festgenommen wurde, habe ich dem Polizisten sofort gesagt, dass es nur eine Verwechslung sein kann. Der sagte: „Bleiben Sie ruhig, das wird sich alles aufklären.“ So war es auch.

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Nach der Klette-Festnahme gab es zunächst auch weitere Festnahmen, bei denen es hieß, es könne sich um Garweg oder Staub handeln, was am Ende doch nicht der Fall war.

Ja, es gab eine Festnahme, von der ich hörte. An dem Tag habe ich mich damit auch intensiv beschäftigt. Wir haben uns ausgetauscht mit der Redaktion und ich habe auch an anderen Stellen mal nachgehört und da gab es eine Person, die wohl in Verdacht geraten war, aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Aber es gab natürlich nach der Sendung auch viele Hinweise, die in Richtung Garweg und Staub gegangen sind.

Wollen Sie dazu mit „Aktenzeichen XY“ nochmal nachlegen?

Das wird sich zeigen. Die zuständige Staatsanwaltschaft wird auf uns zukommen. Das ist die übliche Vorgehensweise bei Fällen, die bei uns präsentiert werden. Dann sind wir logischerweise immer bereit, die Ermittlungen zu unterstützen.

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Ende des Monats läuft die 600. Sendung „Aktenzeichen XY“. Welcher Kriminalfall hat Sie selbst bisher am meisten bewegt?

Ich würde gern zwei nennen. Der eine Fall ist der um Lolita Brieger. Die damals 18-Jährige verschwand 1982 und die Ermittler befürchteten von Anfang an ein Tötungsdelikt. Daraus hat sich aber nie was ergeben. 2011 waren dann der zuständige Kriminalhauptkommissar und der Staatsanwalt bei uns im Studio und noch während der Sendung hat sich eine Frau gemeldet, die ehemalige Freundin eines Mitwissers, und den entscheidenden Hinweis gegeben. Der Mitwisser war früher schon vernommen worden, aber in einer neuen Vernehmung hat er ausgepackt, auch unter der Voraussetzung, dass gewisse Mittäterschaften oder Mitwisserschaften verjähren, Mord hingegen nie. Man hat kurz darauf die Leiche auf einer Mülldeponie gefunden, aber die Mordmerkmale konnten nicht bewiesen werden und so ist der Täter nach 29 Jahren frei ausgegangen. Das ist zunächst mal ernüchternd. Aber die Mutter von Lolita Brieger hat uns mitteilen lassen, dass sie nun ein Grab habe, an dem sie trauern könne. Und das war sehr bewegend.

Welches ist der zweite Fall?

Der zweite Fall ist leider nicht geklärt worden. Es ist der Fall von Kirsten Sahling, 38 Jahre alt, die mit ihrem Freund im Spandauer Forst zum Sport unterwegs war. Sie hatte gerade eine Krebserkrankung überwunden. Der Freund war schon mal losgelaufen, während sie sich noch gedehnt hat, und in diesem Moment Zufallsopfer eines Messerstechers wurde. Passanten eilten zu Hilfe und das letzte, was sie vor ihrem Tod gesagt hat, war: „Sagen Sie meinem Mann bitte, dass ich ihn liebe“. Als wir diese Sequenz in unserem Vorführraum gesehen haben, war es mucksmäuschenstill. Es gibt immer wieder Hinweise dazu, die bisher leider noch nicht zum Erfolg führten. Aber es beschäftigt die Menschen.

Fühlen Sie sich manchmal selbst als Ermittler, oder können Sie das gut trennen?

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Das betone ich immer wieder: Ich bin kein Ermittler, ich fungiere nur als verlängerter Arm der Ermittlerinnen und Ermittler. Aber es ist natürlich ein Kompliment, wenn mir ein Ermittler in einem Vorgespräch sagt: „Rudi, du bist ja im Prinzip einer von uns.“ Aber ich sehe mich als Bindeglied zwischen den Ermittelnden und den Zuschauerinnen und Zuschauern. Ich versuche auch, der ruhende Pol für die Kommissarinnen und Kommissare im Studio zu sein, die sich natürlich im Klaren darüber sind, dass da ein Millionenpublikum zuguckt.

Es sind oft üble Fälle, die Sie da behandeln. Haben Sie davon manchmal Albträume?

Nein. Ich hatte kürzlich einen Albtraum, aber da ging es ums Eiskunstlaufen. Ich wurde in der Vergangenheit das eine oder andere Mal gefragt, ob ich noch aufs Eis gehe, und dann habe ich immer gesagt: Nein, meine Schuhe sind zwar nagelneu, aber seit zehn Jahren unangetastet und so hart und schwer. Und dann habe ich jetzt geträumt, dass die Schlittschuhe wie Betonklötze an meinen Füßen festgenagelt sind und ich nicht vorankomme. Entsetzlich.

Ich fühle mich geistig und körperlich noch topfit. Den biologischen Verfall merke ich höchstens, wenn ich aufs Eis gehe.

Moderator Rudi Cerne

Vor 40 Jahren haben Sie Ihre Eiskunstlaufkarriere beendet, mittlerweile sind Sie 65 Jahre alt und moderieren „Aktenzeichen XY“ seit mehr als 20 Jahren. Wollen Sie diese Karriere auch irgendwann beenden und sich zur Ruhe setzen?

Ich fühle mich geistig und körperlich noch topfit. Den biologischen Verfall merke ich höchstens, wenn ich aufs Eis gehe. Ansonsten ist alles wie vor 20 Jahren. Ich zitiere an dieser Stelle gern Peter Boenisch, ehemaliger „Bild“-Chef und Regierungssprecher unter Helmut Kohl, der mal zu mir sagte: „Wissen Sie, Herr Cerne, in unserem Job hört man erst auf, wenn man den Griffel wirklich aus der Hand gelegt hat.“

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Das ist auch Ihr Ziel?

Wissen Sie, seit drei Jahren produzieren wir einen Podcast. Vor vier Jahren wusste ich noch gar nicht, was ein Podcast ist. Und jetzt hat das so einen großen Erfolg. Ich habe die Möglichkeit, mit den Ermittlern und Ermittlerinnen noch mal tiefer einzutauchen in einen Fall, ohne eine tickende Uhr. Künftig wollen wir noch mehr auf Spezialthemen setzen: Themen und Geschichten, die uns im Rahmen der Recherchen zu den Fällen begegnen, die für die Sendung keine Rolle spielen können – uns aber trotzdem langfristig beschäftigen. Zum Beispiel von Menschen am Rande der Gesellschaft, aber auch Experten, die mit ihnen arbeiten. Der Podcast gibt uns die Möglichkeit, die kleinen Seitenaspekte genauer zu beleuchten. Man vergisst viel zu oft, wirklich hinzusehen, sich mit den Schicksalen auseinanderzusetzen, um sich dann erst ein Urteil zu bilden. Vielleicht können wir hier sogar noch einen kleinen Beitrag leisten.



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