Typisch Insel, dienen Nachrichten vom Kontinent kaum noch als Aufreger im Königreich. Nachdem aber bekannt wurde, dass die Russen ein Gespräch deutscher Offiziere abgehört und den Mitschnitt veröffentlicht hatten, schaffte es Olaf Scholz tatsächlich auf die Titelseiten britischer Zeitungen – begleitet von harscher Kritik. „Wir wissen, dass Deutschland von russischen Geheimdiensten unterwandert ist, und das ist nur ein Beweis dafür, dass es weder sicher noch zuverlässig ist“, urteilte Ex-Verteidigungsminister Ben Wallace.
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Downing Street bezeichnete den Verrat von Militärgeheimnissen vonseiten des Bundeskanzlers als „sehr ernste Angelegenheit“. Nach Ansicht der Tageszeitung „The Times“ ist Scholz das schwächste Glied im Kreis jener Nato-Verbündeten, die die Ukraine in besonderem Maße unterstützen. „In Berlin sollten einige Köpfe rollen“, verlangte der Kommentator.
„Deutschland ist ein zu wichtiger Verbündeter“
Beunruhigt reagierten die Britinnen und Briten zuletzt vor allem darauf, dass in dem geleakten Telefonat erneut behauptet wurde, das Königreich habe einige Leute im Kriegsgebiet, um seine an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper einsatzbereit zu machen. Schon letzte Woche wüteten in Westminster Politiker verschiedener Couleur, als dies Scholz erstmals in der Öffentlichkeit andeutete. Der SPD-Mann sei „der falsche Mann im falschen Job zur falschen Zeit“, urteilte Wallace.
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Der Kanzler habe gegen das ungeschriebene Gesetz unter den Nato-Partnern verstoßen, bei solchen Einsätzen weder die Anwesenheit noch den Standort von eingesetzten Truppen öffentlich zu machen, sagte der ehemalige britische Nato-Beamte Jamie Shea. Den langfristigen Schaden des „peinlichen“ Leaks schätzte er aber als eher gering ein. „Deutschland ist ein zu wichtiger Verbündeter, um daraus einen bilateralen Vorfall zu machen.“
Verschwörungstheorie vom deutschen Angriffsplan: Wer den Kremlspin zum Luftwaffen-Leak verbreitet
Das Abhören und Veröffentlichen einer Luftwaffen-Telefonkonferenz ist Teil von Russlands hybrider Kriegsführung. Die russischen Geheimdienste arbeiten dabei Hand in Hand mit den Staatsmedien. Und auch deutsche Medienaktivisten helfen dem Kreml. Ein Überblick.
„Man will nie die Dramen vorhersehen, die kommen“
Derweil erfuhr die Achse Paris–Berlin neue Erschütterungen, erneut ausgelöst durch eine Aussage von Präsident Emmanuel Macron. Die Aufregung um seinen Vorstoß von letzter Woche, er schließe den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht aus, war noch nicht abgeklungen, da legte er nach. „Wir nähern uns mit Sicherheit einem Moment in Europa, in dem es gilt, nicht feige zu sein“, sagte er am Dienstag. „Man will nie die Dramen vorhersehen, die kommen.“
Meinte er damit etwa Scholz, weil er der Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper liefern will und der Bodentruppenidee eine klare Absage erteilt hat? Immerhin folgt der Deutsche damit der Linie der Nato. Generalsekretär Jens Stoltenberg betont gebetsmühlenhaft, dass das Militärbündnis keinerlei Pläne habe, Soldatinnen und Soldaten in die Ukraine zu entsenden, auch wenn die Partner das kriegsgebeutelte Land „in noch nie da gewesener Weise“ unterstützten. Die Allianz will unbedingt vermeiden, in einen größeren Krieg mit dem atomar bewaffneten Russland hineingezogen zu werden. Gleichwohl hindert die einzelnen Nato-Mitglieder nichts daran, sich einzeln oder in Gruppen an einem solchen Unterfangen zu beteiligen. Die Organisation selbst würde sich jedoch nur engagieren, wenn alle 32 Verbündeten zustimmen.
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Obwohl es aus Macrons Umfeld hieß, Macrons Satz habe sich nicht auf Scholz bezogen, wurde die Retourkutsche von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius durchaus vernommen. Der sagte am Rande eines Besuchs in Schweden, Diskussionen über mehr oder weniger Mut seien „etwas, das nicht wirklich dazu beiträgt, die Probleme zu lösen“. Die Spitzen zeigen: Die oft gerühmte deutsch-französische Achse ist stark belastet.
Kritik an der deutschen Haltung zum Krieg
Hinzu kommt, dass sich unterschiedliche Positionen herauskristallisieren. Frankreich als einzige Atommacht in der EU pflegt die „strategische Ambiguität“, um Russland im Unklaren darüber zu lassen, wozu es bereit ist, Stichwort Bodentruppen. Zugleich hinkt die französische Militärhilfe zahlenmäßig im Vergleich deutlich hinterher. Appelle aus Berlin, mehr zu liefern, verärgerten Macron. Ausgerechnet diejenigen, die vor zwei Jahren nur Schlafsäcke und Helme angeboten hatten, forderten nun mehr?
Die Abhöraffäre sowie Scholz’ Andeutung bezüglich der Präsenz von britischer und französischer Einheiten in der Ukraine wurde zwar von offizieller Seite kaum kritisiert. Doch „Le Monde“ kommentierte, beides sage etwas über Deutschland und sein Führungspersonal aus: „Ihr Verhältnis zum Krieg bleibt irreal, unbequem, grenzt sogar an Verweigerung.“