Wegen ihres Umgangs mit Antisemitismusvorwürfen nach der Berlinale hat der jüdische Weltkongress deutliche Kritik an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) geübt. Roth halte den Antisemitismus anderer in der Kulturszene für ein
gravierendes Problem – aber leider nicht für ihres, schreibt Maram Stern, der
Vize-Chef des Jüdischen Weltkongresses, in einem offenen Brief, der ZEIT ONLINE vorliegt. Er forderte mehr Unterstützung. “Wenn Kunst antisemitisch wird, wenn
Künstler sich antisemitisch äußern, dann, Frau Roth, ist Ihr Platz nicht an der
Seite der Künstler, sondern an der Seite der Juden.”

Bei der Preisverleihung hatten sich mehrere Preisträger in
einer Weise zum Gaza-Krieg geäußert, die für Kritik sorgte. Einige Beteiligte
erhoben auf der Bühne einseitig Vorwürfe gegen Israel, ohne den Terrorangriff
der islamistischen Hamas vom Oktober 2023 zu erwähnen oder die Freilassung der
israelischen Geiseln zu fordern. Roth kündigte daraufhin eine Untersuchung der Vorfälle an.

Roth verhalte sich so, als
wäre sie “nur eine ganz normale Besucherin des Festivals und nicht die
zuständige Ministerin”, schreibt Stern. Eine Kulturstaatsministerin brauche man, um “nicht nur
Kulturförderung, sondern Kulturpolitik” zu betreiben. Dazu gehöre, sich mit unangenehmen,
strittigen Fragen zu beschäftigen – etwa mit dem Antisemitismus im Kunstbetrieb.

Documenta wiederholt sich

“Schon nach der Documenta
haben Sie wortreich die dort ausgestellten judenfeindlichen Kunstwerke beklagt,
sich aber geweigert, Verantwortung zu übernehmen. Das Gleiche wiederholt sich
bei der Berlinale”, schreibt Stern. Bereits im Vorfeld der
Documenta seien zahlreiche Warnungen in den Wind geschlagen worden. Spätestens
danach aber hätte jedem klar sein müssen, “dass Antisemitismus im Kulturbetrieb
mehr als eine Randerscheinung ist”.

Stern
erinnerte daran, dass seit dem Überfall auf Israel am 7. Oktober
die Anzahl der judenfeindlichen Straftaten weltweit explodiert sei. “Leider
haben wir auch erlebt, dass gerade aus Künstler- und Intellektuellenkreisen die
Mörder der Hamas in Schutz genommen und deren Gräueltaten als legitimer Akt des
Widerstands verteidigt wurden.” Israels Krieg sei nicht als Reaktion auf einen Massenmord,
sondern als Aggression interpretiert worden.

Dennoch: Kritik an Israel müsse gerade jetzt
erlaubt sein. “Man kann den Krieg im Gazastreifen für falsch halten oder
das Vorgehen der IDF für unproportional. Man darf die Frage stellen, ob die
Zahl der zivilen Opfer das Ziel rechtfertigt.” All dies sei legitim. Wer Israel
aber “Genozid” vorwerfe, verteufele einen ganzen Staat. “Dafür darf es keine
öffentliche und staatlich finanzierte Bühne geben, schon gar nicht in
Deutschland.”



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