Die Ampel-Koalition benimmt sich neuerdings wie eine ramponierte Kleinfamilie. Die Ehe ist zerrüttet, die Tochter rennt zur Klima-Sekte und der Junge kifft andauernd. Aber außer Haus soll strenge Etikette den Schein wahren: Kein lautes Wort, Messer und Gabel sind Pflicht und Rülpsen bei Tisch geht gar nicht. Vor allem SPD und Grüne tun sich dabei zusammen mit den angeschlossenen Funkhäusern besonders hervor.

Weil zu Hause nichts mehr stimmt, werden in der Öffentlichkeit verschärfte Tischregeln zur Wahrung von Ruhe und „Zusammenhalt“ angemahnt. In Talkshows und den politischen Feuilletons wird der erhobene Zeigefinger zur typischen Handbewegung, wenn im Debattengetümmel auch nur ein scharfes Wort fällt. „Das zahlt nur auf die Populisten ein“, heißt es, wann immer jemand der Ampel, insbesondere den Grünen, den Marsch bläst. Die ehemalige Versammlungssprenger- und Straßenkampf-Partei und die mit ihr ins Establishment aufgerückten Wahlhelfer in den Medien machen längst auf Etepetete.

Söder räumt die Redevergehen ab

Jetzt wurde Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, zu einem solchen B-Noten-Kolloquium bei Caren Miosga (ARD) geladen. „Wie geht Politik in ernsten Zeiten?“, hieß es im Stellungsbefehl. Während Politiker um „Auswege aus verschiedenen Krisen ringen“, werde der gesellschaftliche Zusammenhalt im Land auf die Probe gestellt. Der Ton werde rauer, der Protest wütender, so die Moderatorin im Eingangsplädoyer. Parteiveranstaltungen würden massiv gestört oder aus Sicherheitsgründen abgesagt. Zur Verstärkung hatte Miosga zwei weitere Anstandsdamen ins Studio geladen. Mariam Lau von der Zeit und die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach.

Zur Beweissicherung dienten Filmeinspielungen mit angeblichen Redevergehen aus jüngster Zeit, die den Sündenfall Söders vom Baum-Umarmer zum Grünen-Basher illustrieren sollten. Etwa beim letzten Politischen Aschermittwoch, als Söder Umweltministerin Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“ apostrophierte. Söder räumt das kurzerhand ab. Wenn er „Frau Lemke“ damit „verletzt“ habe, dann tue ihm das leid und er werde es nicht wiederholen, sagt Söder.

Schnodderiger Kanzler

Doch die Runde läßt nicht locker. Es sei „ja schön“, daß ihm so etwas leidtue, hakt Politologin Reuschenbach nach. Aber eigentlich müsse man darüber reden, ob Söder das richtig finde, „daß wir ständig Politischen Aschermittwoch haben und daß wir ständig an dem Punkt sind, daß man sich in ideologischen, wechselseitigen Grabenkämpfen und Schuldzuweisungen ergeht“ und daß deshalb das „Vertrauen der Menschen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik immer weiter abnimmt“.

Söder kontert frontal und plaudert aus dem Nähkästchen. Seit Antritt der Ampelregierung gehe es intern bei der Regierung „extrem schnodderig ab“, zum Beispiel bei Konferenzen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler. Da würden selbst Ministerpräsidenten der eigenen Partei regelrecht abgekanzelt. Wer also stiftet hier den angeblichen Niveauverlust? Vielleicht ständige Aschermittwochsrunden im Kanzleramt?

Die Aiwanger-Frage

Doch die Augenbrauen des Damen-Tribunals wollen sich nicht senken. Miosga zitiert Jürgen Trittin, der mit einem Tweet bei „X“ Störungen von Versammlungen der Grünen scharf kritisiert hatte. Markus Söder befördere „jene Enthemmung, die den rechten Mob gegen Cem Özdemir und Winfried Kretschmann befeuerte“, postete Trittin.

Zeit-Journalistin Lau vermutet hinter Söders mitunter ruppigem Konfrontationskurs gegen die Grünen sogar eine ganz lange Linie: Sie sei ja sehr selten mit Trittin einer Meinung, sagt sie und zieht das „e“ von „sehr“ so lang wie einen übergedehnten Melodiebogen vor dem Kontrapunkt. Aber da sei etwas dran. Manchmal müsse man den Eindruck haben, „weil Sie sich auf Gedeih und Verderb an jemanden wie Hubert Aiwanger gekettet haben, wollen Sie es jetzt auch für die gesamte Union unmöglich machen, sich andere Optionen offen zu halten“, schließt Lau in ihrer gewohnt originellen Art.

Und Lau weiter: Die Grünen würden „für eine Politik gehaßt, die sie sich seit Jahren nicht mehr zu machen getrauen“. Aha, die Grünen als Sündenbock und Söder auf einem Kurs à la Sonthofen 2.0, um mit Bayernpower die Schwesterpartei CDU ins konservative Korsett zu zwingen?

Franz-Josef Strauß gegen Söder in Stellung gebracht

Söder winkt ab, sucht und findet Argumente, warum sich seine „Hoffnungen“ auf „Vernunft“ bei den Grünen zerschlagen haben – „und was glauben Sie, was die Grünen über mich alles so sagen“, aber das drucke zum Glück ja keiner mehr, fügt Söder hinzu. Und ausgerechnet Jürgen Trittin, „der in seinem Leben solche Sachen angestellt hat, wo es einem grausen kann“, jetzt als „Moralvater“ zu positionieren, findet Söder völlig abwegig.

Doch der Geist von Sonthofen ist aus der Flasche und der große Vorsitzende nicht mehr weit. Er erscheint in Gestalt einer Rede von Franz Josef Strauß bei einem CSU-Parteitag im Jahr 1982, wo er sagte: „Solange die Liberal-Sozialisten an der Regierung sind, kann ich nur sagen: Eher legt sich ein Hund einen Salamivorrat an, als daß die eine einmal eingeführte Steuer wieder abschaffen würden.“ Das sei der Unterschied zu Söder, meint Zeit-Frau Mariam Lau. „Das piekt mit dem Florett“, während Söder mit „gröberem Werkzeug“ hantiere.

Der Versuch, Franz Josef Strauß posthum als politischen Sittenwächter gegen Söder in Stellung zu bringen, scheitert allerdings auf ganzer Linie – und das in doppelter Hinsicht. Zum einen weiß nun wirklich jeder, daß Strauß vor Lachen kaum in den Schlaf gekommen wäre, wenn ihm zu Lebzeiten feinsinniger Florett-Stil attestiert worden wäre. Zu Strauß´ Zeiten ging es ja noch ganz anders zur Sache, auf allen Seiten. Zum anderen outet sich Mariam Lau plötzlich als Strauß-Fan.

Triste Anstandsrunde

Sie habe „damals“ sogar einen entsprechenden „Button“ getragen, gesteht sie. Söder ist begeistert, kann sein Glück kaum fassen, rückt näher, man hebt das Glas. Lau und Söder stoßen auf Strauß an. Eine wahre Sternstunde der ARD-Talkshow-Geschichte. Die Front der Anstandsdamen gegen Söder bekommt tiefe Risse. Der CSU-Chef hat endgültig Oberwasser, auf dem er souverän bis zum Ende der Sendung durch die Moralfluten paddelt.

Eröffnet hat Miosga ihre Sendung mit einem Foto, das Söder im Cockpit eines Kampfjets zeigt. „Topgun in Bayern“, so hatte Söder dieses Foto in den sozialen Netzwerken untertitelt, „obwohl oder gerade weil er weiß, daß der Posterboy der Lüfte schnell wieder unsanft landen wird auf dem Boden der gerade sehr tristen Tatsachen in Deutschland und der Welt“, fabulierte die Moderatorin blumig.

Wenn etwas trist war, dann war es diese Anstandsrunde in der ARD – mit der einzigen Ausnahme der überraschenden Eloge auf Franz Josef Strauß. Und der „Posterboy der Lüfte“ breitete seine Schwingen aus und erhob sich mit Grandezza und bestens gelaunt über das im Studio versammelte Nörgel-Komitee hinweg ins offene Weite seiner bayerischen Heimat.



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