München – Der 02-Tower in Moosach ist mit 146 Metern das höchste Büro-Hochhaus der Stadt. In Zukunft will München keine reinen Bürotürme mehr bauen. Neue Hochhäuser sollen Wohnen und Arbeiten vereinen – und auch bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Für Häuser über 80 Meter sind die Vorgaben in der neuen Hochhausstudie der Stadt streng. Allzu hohe Gebäude sind nicht erwünscht. Mit Ausnahme der beiden 155-Meter-Türme an der Paketposthalle. Der Stadtrat befürwortet sie. Gegen ihren Bau kämpft die Initiative Hochausstop ab sofort mit Foto-Simulationen einer “Wolkenkratzer-Metropole-München”. Ihre Flyer zeigen ein Stadtpanorama der Zukunft mit einer klobig-düsteren Hochhaus-Skyline. Prof. Johannes Kappler (53) ist Dekan der Architekturfakultät an der Hochschule München. Er möchte dazu beitragen die hitzige Debatte auf eine sachliche Ebene zu heben.

“Der Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen Laptop und Lederhose gehört in Bayern zur DNA”

AZ: Herr Kappler, warum ist das Thema Hochhäuser in München so emotional?

JOHANNES KAPPLER: Das Thema ist insgesamt emotional. Nicht nur in München, sondern auch in anderen Städten wie Nürnberg oder Zürich. Hochhauspläne führen zu Kontroversen. Auch bei den vielen Türmen in Frankfurt bleibt die Frage: Wie fügt sich ein neues Hochhaus in die Umgebung ein. Das Entscheidende ist nun: Bringt ein Hochhaus einen Mehrwert für die Gesellschaft? Wenn das der Fall ist, steigt die Akzeptanz für Hochhäuser an.

Der Verein Hochhausstop kämpft gegen die Türme an der Paketposthalle, möchte einen Bürgerentscheid. Sind die Münchner besonders traditionsverhaftet?

Der Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen Laptop und Lederhose gehört in Bayern zur DNA. So versucht auch die Stadt die Balance zu finden zwischen dem Bewahren und Fortschreiben des Stadtbilds.

Der 53-Jährige ist Architekt und Stadtplaner. Er studierte in Chicago und New York. An der Hochschule ist er Dekan der Fakultät für Architektur.
Der 53-Jährige ist Architekt und Stadtplaner. Er studierte in Chicago und New York. An der Hochschule ist er Dekan der Fakultät für Architektur.
Der 53-Jährige ist Architekt und Stadtplaner. Er studierte in Chicago und New York. An der Hochschule ist er Dekan der Fakultät für Architektur. “}”>

BMW-Hochhaus: ” Das Haus passt zum Gesamtensemble Olympiapark

Entwerfen die Studenten an Ihrer Uni Hochhäuser?

Bei uns gibt es keine Lehrmodule, die sich explizit nur mit der Typologie von Hochhäusern beschäftigt. Bei Exkursionen nach Rotterdam oder Monaco haben Studierende gesehen, wie diese Städte in die Vertikale wachsen. Studierende haben in einer meiner Lehrveranstaltungen für eine Ecke am Luitpoldpark auch Hochhäuser entworfen. Denn dieser Ort eignet sich dafür: neben einer großen Grünfläche, mit guter Infrastruktur und guter Anbindung an den ÖPNV.

Welche Hochhäuser in München halten Sie für gelungen?

Das Backsteingebäude des Planungsreferats ist relativ unspektakulär, aber gut in die städtebauliche Struktur integriert. Das BMW-Hochhaus symbolisiert sehr bildhaft die Automarke. Das Haus passt zum Gesamtensemble Olympiapark – und steht für das Lebensgefühl der siebziger Jahre.

“Hochhaus-Debatte ist mir zu stark reduziert auf Sichtachsen und Stadtsilhouette”

Ein Hochhaus ist weit sichtbar.

Deshalb soll das Hochhaus nicht wie ein plumper Klotz daherkommen, sondern fein proportioniert sein und eine gewisse Schlankheit aufweisen. Je kleiner der Footprint ist, desto eleganter wirkt das Gebäudevolumen. Die Auswirkungen auf die direkte Umgebung, die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum sind sehr wichtig. Wie bezieht man die unteren Geschosse auf die Umgebung? Gibt es eine Idee für den Abschluss zum Himmel? Die Hochhaus-Debatte ist mir zu stark reduziert auf Sichtachsen und Stadtsilhouette.

Ab wann gilt ein Haus überhaupt als Hochhaus?

Ab 22 Metern. Das hängt mit den Auflagen für den Brandschutz und den Rettungswegen zusammen. 22 Meter ist die Höhe, an die die Feuerwehr noch anleitern kann. Höhere Häuser benötigen zwei bauliche Rettungswege oder Sicherheitstreppenhäuser. Und deshalb einen Erschließungskern, der zusätzlichen Platz braucht. Das Hochhaus braucht mehr als einen Aufzug. Windkräfte wirken, es gibt andere Anforderungen an die Statik und die Fassadenkonstruktion.

Am Ende entscheidet der Stadtrat

Die Initiative Hochhausstop zeigt die Horrorvision von München voller Hochhäuser – auf Gebieten, die die neue Hochhausstudie gerade dafür ausgewiesen hat.

Das ist ein Missverständnis. Die neue Hochhausstudie der Stadt sagt nicht, in diesen Gebieten soll es Hochhäuser geben. Sondern an der S-Bahn-Stammstrecke, im Korridor Ostbahnhof – Messe, und in Freiham im Norden, wo schon Hochhäuser stehen, gibt es punktuell Orte, die sich potenziell für Hochhäuser eignen. Es ist evident, dass keine Person in München, die ich kenne, das skizzierte Szenario der Hochhausgegner für gut befinden würde. Dieses Zukunftsbild ist nicht real. Am Ende entscheidet der Stadtrat über den Bau jedes einzelnen Hochhauses.

“Wehret den Anfängen” ist ein Slogan von Hochhausstop.

Dahinter steckt die Angst vor der Skyline. Ich sehe aber nicht, dass durch das ein oder andere Hochhausprojekt ein Automatismus entsteht. Wir müssen einen offenen, transparenten und kultivierten Reflexionsprozess führen, wie wir mit der Stadt umgehen wollen. Dafür werbe ich überall.

So hoch sollen sie werden: die 155-Meter-Türme an der Paketposthalle. Die Fassade ist in der Mache. Sie soll mäanderförmig sein. An der Stellung der Türme zueinander wird gefeilt.
So hoch sollen sie werden: die 155-Meter-Türme an der Paketposthalle. Die Fassade ist in der Mache. Sie soll mäanderförmig sein. An der Stellung der Türme zueinander wird gefeilt.
© Herzog & de Meuron
So hoch sollen sie werden: die 155-Meter-Türme an der Paketposthalle. Die Fassade ist in der Mache. Sie soll mäanderförmig sein. An der Stellung der Türme zueinander wird gefeilt.

von Herzog & de Meuron

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Investor Ralf Büschl darf die Türme an der Paketposthalle bauen. Sind 155 Meter das falsche oder das richtige Maß?

155 Meter sind extrem. Aber die Stadt lebt von einer Höhendifferenzierung. Gewisse Abweichungen ergeben eine Dramaturgie, wie auch kleine Plätze und schmale Gassen. Wo mehr Raum ist, kann die Bebauung an Höhe gewinnen. Wenn alle Häuser die gleiche Höhe hätten, wäre der Stadtraum spannungslos.

Gegner sagen, Hochhäuser sind klimaschädlich – wegen des höheren Energieverbrauchs. Architekt Fabian Ochs preist sie als nachhaltig. Sie sparen Fläche, machen bei ÖPNV-Anschluss die Wege kurz. Ihre Fassade könnte sogar Energie erzeugen. Sind Hochhäuser jetzt nachhaltig oder nicht?

Das ist eine sehr komplexe Frage. Es hängt auch von Materialwahl und Konstruktionsweise ab. Der Aufwand Hochhäuser zu bauen ist natürlich höher. Hochhäuser sind sicher nicht per se nachhaltig. Aber sie können einen Beitrag für eine nachhaltige Stadtentwicklung leisten. Oft wird nur die ökologische Nachhaltigkeit gesehen, aber es gibt auch die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Es ist sicherlich nachhaltiger, ein Hochhaus an einer gut erschlossenen Stelle in der Stadt zu bauen als eine Einfamilienhaus-Siedlung auf einer grünen Wiese am Stadtrand.

“Die soziale Mischung in Wohnhochhäusern ist sehr wichtig”

Können Hochhäuser das Wohnungsproblem in der Stadt lösen?

Pauschal kann ich das nicht sagen. Die soziale Mischung in Wohnhochhäusern ist sehr wichtig. An der Paketposthalle fordert die Stadt vom Investor günstigen Wohnraum zu schaffen. Das wird nach meiner Einschätzung aus den Erträgen der teuren Appartements querfinanziert. In der Vergangenheit wurde bezahlbarer Wohnraum häufig mit einem hohen Anteil an vorgefertigten Bauteilen geschaffen. Das gilt auch für die Hochhäuser in Neuperlach.

Ein neues Hochhaus nimmt Bürgern Luftraum weg, heißt es.

Damit ist die Verschattung gemeint. Das ist eine Einschränkung für die, die daneben wohnen. Aber die Sonne ist nicht statisch. Bei den Türmen an der Paketposthalle spielt der Schattenwurf auf die Halle und das Gleisfeld eine untergeordnete Rolle, aber der Schatten fürs Quartier muss überprüft werden.

Kappler zum Werksviertel: “Aus der Brache ist ein attraktiver und hipper Ort geworden”

Häuser über 80 Meter müssen nun einen Mehrwert für die Umgebung bieten. Was heißt das?

Ein Hochhaus, das sich nur auf sich bezieht, wirkt autistisch und egoistisch. Ist unten ein Türsteher, hat es keinen Mehrwert. Entsteht unten dagegen ein öffentlicher Platz, ein zugängliches Café in Lobby, in Zwischengeschossen vielleicht eine kulturelle Nutzung und ein Fitnesscenter, dann nimmt es Bezug zu dem Ort und den Bewohnern. Aus Wien kenne ich ein Haus, wo der Architekt bewusst auf die teuren Penthouse-Wohnungen verzichtet hat, zugunsten der Waschküche für die Gemeinschaft ganz oben. Der Pool auf dem Dach war für das ganze Quartier.

Wie wünschen Sie sich das München von morgen?

Ich mache mir Gedanken, wie man die Stadt nachhaltig bauen kann. Es geht um den Bestand, die Umnutzung von Büros zu Wohnungen und die Umnutzung von Leerstand. Das Werksviertel hat gerade den Deutschen Städtebaupreis bekommen. Aus der Brache ist ein attraktiver und hipper Ort geworden, der eine spezielle Atmosphäre vermittelt. Bestandsgebäude wurden umgenutzt und weitergebaut, der etwas grobe Maßstab blieb erhalten. Es gibt eine gewisse gute unaufgeräumte Ordnung, kann man sagen. Das Werksviertel als neues Stadtquartier hat Charakter.

Als Student im vierten Semester besuchten Sie einmal die Münchner Paketposthalle.

Es war großartig unter ihrem Tonnendach zu stehen. Dieser Raum ist mir in Erinnerung geblieben. Diese Qualität! Ich finde die Idee toll, die Paketposthalle umzunutzen. Dass die große Halle öffentlich zugänglich gemacht werden soll – und belebt wird – ist absolut richtig und bereichernd.





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